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Vermischungsschäden Reinheitsgebot

Foto: Jacek Bilski, Imago, Montage Götz Mannchen

Frachtführer haften nicht für Folgeschäden – theoretisch. In der Praxis versuchen Auftraggeber jedoch verstärkt, das Risiko auf ihre Transportdienstleister abzuwälzen. Versicherer sehen das kritisch. Sofern sie entsprechende Policen anbieten, lassen sie sich das gut bezahlen.

Heute ist der Tag der Gelben Engel. Immer wieder muss der ADAC im Raum München ausrücken, um liegen gebliebene Autos wieder flottzubekommen. Die betroffenen Fahrer hat es mitten im Berufsverkehr erwischt. Die mobilen Kfz-Meister versuchen zu retten, was zu retten ist. Aber oft lässt sich das Abschleppen nicht vermeiden. Die Ursache der Pannen: Fehlbetankungen. 20.000 Mal rückte der ADAC voriges Jahr nach eigenen Angaben aus, um Motorschäden wegen falsch gewählten Sprits zu verhindern. Erst kürzlich erneuerte die Organisation ihren Appell an die Autohersteller, entsprechende Schutzmechanismen an den Tanks einzubauen.

Wenn Benzin in den Dieseltank fließt

Dass es wie im konstruierten Eingangsbeispiel so viele Fahrer auf einmal und dazu noch im selben Ballungsraum erwischt, ist eher ungewöhnlich. Das lässt den Schluss zu, dass die Autofahrer allesamt Opfer eines Folgeschadens wurden. Ausgelöst werden kann eine solche Kettenreaktion etwa durch den Fahrer eines Tanklastwagens, der achtlos Benzin in den Dieseltank einer Tankstelle gepumpt hat.

Eigentlich, so sollte man meinen, lassen moderne Tankanlagen derartige Fehlbetankungen nicht mehr zu. Doch wie aus der Versicherungswirtschaft zu hören ist, gibt es je nach Tankstelle eine unterschiedliche Qualität der Wareneingangskontrollen. Der "Faktor" Mensch – im Speziellen der Fahrer des Tankfahrzeugs – kann also noch immer größere Schäden anrichten. Die Konsequenz: Nicht nur der Kraftstoff ist im Eimer – das ist der typische Güterschaden. Auch die Folgen sind immens,  wenn die Tanks von Dutzenden Autos gereinigt werden müssen – das ist dann der Folgeschaden.

BGH: Frachtführer muss nicht haften

Theoretisch können Spediteure das Thema Vermischungsschäden mit der nötigen Gelassenheit sehen. Denn im Oktober 2006 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass der Frachtführer für Folgeschäden nicht haften muss. Andernfalls würde er immense Risiken eingehen. Die Richter spielten den Ball an die Warenempfänger weiter. Sie sind aufgefordert, mit technischen und organisatorischen Maßnahmen Folgeschäden zu unterbinden. Misslingt das, muss der Frachtführer nur einspringen, wenn qualifiziertes Verschulden vorliegt – etwa bei Vorsatz. Den Güterschaden muss der Transporteur freilich begleichen. Gemäß HGB (Paragrafen 425 ff.) haftet er mit 8,33 Sonderziehungsrechten je Kilo. Hier springt die Verkehrshaftung ein.

Doch Spediteure können sich eben nur theoretisch zurücklehnen. "Immer mehr Auftraggeber verlangen von ihren Spediteuren, eine Deckung nicht nur für den Güterschaden, sondern auch für mögliche Folgeschäden einzukaufen", berichtet Ralph Feldbauer, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Risk Guard aus Nürnberg.

Ungleiches Spiel der Kräfte

Konzerne scheuten zunehmend dieses Risiko und versuchten, es auf ihre Logistikpartner zu übertragen. Ein ungleiches Spiel der Kräfte, doch Letztere stimmen oft zähneknirschend zu. "Spätestens, wenn die Auftraggeber unverhohlen drohen, künftige Aufträge an den Wettbewerb zu vergeben, spielen die Logistikdienstleister mit", sagt Feldbauer. Also bleibt ihnen nichts anderes übrig, als bei den Versicherern nach entsprechenden Angeboten und Deckungen dieser Risiken zu fragen.

Aufgrund des hohen Schadenpotenzials rennen Spediteure dabei nicht überall offene Türen ein, wie Feldbauer beobachtet. "Einige Versicherer zeichnen dieses Risiko mit dem Hinweis der fehlenden Haftung generell nicht, die anderen bauen – ebenfalls unter Kundendruck stehend – unterschiedlich einschränkend formulierte Deckungserweiterungen auf", sagt der Berater. In jedem Fall ließen sich die wenigen Versicherer, die solche Angebote vorhalten und sich des Risikopotenzials bewusst sind, das Ganze etwas kosten.
Der Versicherungskonzern Allianz kann auf Anfrage mit entsprechenden Angeboten dienen. "Wir haben uns dafür entschieden, auf Verlangen im Einzelfall dem Frachtführer schriftlich zu bestätigen, dass wir uns im Fall eines Güter-/Vermischungs-Folgeschadens auf die mangelnde Haftung nicht berufen", erläutert Hans-Peter Martin, Experte aus dem Bereich Firmen Kraft-Betrieb. Damit habe man auf entsprechende Wünsche der Kunden reagiert. "Diese wollen den Schaden trotz fehlender Haftung ersetzt haben, weil ihre Kunden genau das von ihnen erwarten."

Schäden werden mit bis zu 2,5 Millionen Euro reguliert

So haben die Kunden im Schadensfall handfeste Unterstützung: Unter Berücksichtigung eines eventuellen Mitverschuldens des Anspruchstellers würden Schäden mit bis zu 2,5 Millionen Euro reguliert, heißt es von der Allianz.

Risiken bleiben in jedem Fall. Riskmanager Feldbauer ist aber überzeugt, dass die Logistikwirtschaft zwischen unkalkulierbaren Risiken im Fall von Folgeschäden und hohen Versicherungsprämien die Balance finden kann. Die Unternehmen könnten aktiv dazu beitragen, Kosten und Risiken zu begrenzen. Das geht laut dem Risk Guard-Chef aber nur in Zusammenspiel mit den Auftraggebern. Diese könnten durch technische und elektronische Sicherungssysteme Vermischungsschäden weitgehend einen Riegel vorschieben. Beispiele aus anderen Bereichen zeigten, dass eine beim Empfänger angesiedelte Wareneingangskontrolle gut funktionieren könne.

Tank- und Silospeditionen sollten Riskmanagement-Systemen aufbauen

Doch nicht immer werden technische Systeme greifen oder die Empfänger einen Mann zur Kontrolle abstellen können. Doch dieses Restrisiko hält Ralph Feldbauer für beherrschbar. Er empfiehlt Tank- und Silospeditionen den Aufbau von Riskmanagement-Systemen zur Schadenprävention. Diese müssten alle Bereiche im Unternehmen einbeziehen und umfangreiche Schulungen aller Beteiligten umfassen. Wer sich hier erfolgreich profiliere, schlage mehrere Fliegen mit einer Klappe.Denn sieht der Versicherer die Bemühungen bei seinem Transportkunden, hat dieser bei Gesprächen in jedem Fall bessere Karten.

Wenn also Spediteure schon in Nöten sind, die Haftung von Folgeschäden zu übernehmen, müssen sie sich nicht blind ins Abenteuer stürzen. Sie können einiges dafür tun, um die Risiken überschaubar zu halten. Mineralölspediteure, die entsprechende Vorkehrungen treffen, müssen dann nicht mehr zittern, wenn sie Meldungen über liegen gebliebene Autos im Radio hören. Der schwarze Peter muss ja nicht immer beim Spediteur sein. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist der Grund nicht das Fehlverhalten des Spediteurs, sondern die Schusseligkeit des Autofahrers.

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