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VDA-Präsident Matthias Wissmann Signale aus Brüssel

Matthias Wissmann Foto: werner Popp

 VDA-Präsident Matthias Wissmann freut sich über eine gut gebuchte IAA. Die Zukunft der Nutzfahrzeugbranche sieht er zumindest weltweit rosig, trotz der Eintrübung auf dem westeuropäischen Markt. Und er rechnet mit Zugeständnissen bei den Längenmaßen.


?: Nutzfahrzeuge – Motor der Zukunft. So lautet das Motto der IAA. Wie genau sieht die Zukunft des Nutzfahrzeugs aus wirtschaftlicher Sicht aus?

Wissmann: Wir haben 2008/2009 die bislang schwerste Krise der Nutzfahrzeugindustrie erlebt. Vor diesem Hintergrund war die Entwicklung der beiden vergangenen Jahre sehr erfreulich. 2012 weht wieder ein rauerer Wind. In Westeuropa wird der Absatz von schweren Lkw über sechs Tonnen in diesem Jahr voraussichtlich um bis zu vier Prozent auf 250.000 Einheiten  zurückgehen. Allerdings bleibt der Weltmarkt für schwere Nutzfahrzeuge auf Wachstumskurs. Er wird 2012 um fünf Prozent auf knapp 3,3 Mio. Einheiten zulegen. Es ergibt sich also ein gemischtes Bild.

?: Warum wird es  der Branche nicht so ergehen wie zu Ende des Jahres 2008?

Wissmann: Damals hatten wir sechs Jahre Boom, bevor der plötzliche Einbruch kam, der alle Märkte betraf. Heute sind die Unternehmen wesentlich flexibler aufgestellt. Zudem sehen wir starkes Wachstum in wichtigen Regionen. So wird allein der US-Markt in diesem Jahr um ein Fünftel zulegen. Auch in Russland geht es nach vorn. Außerdem bringen unsere Hersteller hoch effiziente Fahrzeuge auf den Markt. Die innovativsten Unternehmen werden sich durchsetzen. Und genau diese Unternehmen werden auf der IAA zu sehen sein.

?: Welchen Zuspruch verzeichnet die IAA 2012?

Wissmann: Das Wachstum der weltweit wichtigsten Transport-, Logistik- und Mobilitätsmesse ist ungebrochen. 1.900 Aussteller aus 46 Ländern präsentieren insgesamt 345 Weltpremieren.

?: Woher kommen die Zuwächse?

Wissmann: Sie kommen aus allen Regionen der Welt und aus allen Herstellergruppen. Insbesondere Aussteller aus China und der Türkei sind stark vertreten.

?: Nutzfahrzeuge – Motor der Zukunft. Das Motto hat doch auch einen technischen Hintergrund?

Wissmann: Die IAA-Besucher werden erleben, welche enormen technologischen Fortschritte die Lkw-Hersteller und die Zulieferindustrie in den vergangenen zwei Jahren gemacht haben – bei der Reduzierung des Verbrauchs und der Verminderung von Schadstoffen. Mit Euro 6 sind es beispielsweise 98 Prozent weniger Stickoxide gegenüber der ersten Euro-Norm. Und obwohl die technischen Maßnahmen teilweise gegenläufige Effekte haben, ist es uns dennoch gelungen, den Verbrauch zu senken. Ich betone das, weil heute oft nur noch über CO2 gesprochen wird und die klassischen Schadstoffe darüber fast in Vergessenheit geraten.

?: Was ist wichtiger: maximale Schadstoffreduzierung mit Euro-6-Fahrzeugen oder so viel wie möglich CO2 sparen und noch einen Euro-5-Lkw oder Bus kaufen?

Wissmann: Die letzten Spuren der Schadstoffe sind bei Euro 6 kaum noch aufzufinden. Daher ist es richtig, sich auf CO2- und damit Verbrauchsreduktion zu konzentrieren. Fuhrunternehmer leben schließlich von der Wirtschaftlichkeit des Fahrzeugs.

?: Die Lkw-Industrie setzt hierbei vor allem auf eine verbesserte Aerodynamik.

Wissmann: Rund 40 Prozent des Verbrauchs sind beim Lkw auf den Luftwiderstand zurückzuführen. Wenn man die Aerodynamik optimiert – das tun alle großen Hersteller und Zulieferer –, dann wird man beim Verbrauch noch große Schritte machen. Je mehr Flexibilität wir also bei den Längenmaßen bekommen, desto größer ist die Chance mehr CO2  zu sparen.

?: Sie gehen also davon aus, dass es in Europa keine weiteren Schritte geben wird, die Emissionen noch mehr zu senken?

Wissmann: Aus Kosten-Nutzen-Sicht ist das nicht mehr sinnvoll. Ich befürworte daher eine klare Fokussierung auf den Verbrauch.

?: Sicher ist, dass eine CO2-Regulierung für schwere Nutzfahrzeuge kommt. Wie wird diese ausfallen?

Wissmann: Ich habe kürzlich Gespräche mit Connie Hedegaard, der EU-Kommissarin für Klimaschutz, und den Generaldirektionen geführt. Das Erfreuliche ist, dass offensichtlich auch in Brüssel verstanden wird, wie vielfältig die Aufbauten und Spezifikationen von Nutzfahrzeugen sind, und dass daher eine simple Regulierung nicht zielführend ist. Die Kommission macht nun zweierlei. Sie hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, wie die Emissionen schwerer Nutzfahrzeuge individuell erfasst werden können. Zum Zweiten will sie wissen, welche Möglichkeiten überhaupt existieren, um den Verbrauch weiter zu senken. Ich rechne damit, dass wir noch vor Ablauf der Legislaturperiode, also 2014, wissen, wohin die Reise führt.

?: Was ist Ihre Empfehlung an die EU-Kommission?

Wissmann: Macht die Regulierung so praxisnah wie möglich! Die Politik muss eines erkennen: Die Nutzfahrzeugindustrie  hat – gerade weil der Spediteur mit jedem Liter Sprit rechnen muss – seit jeher ein ureigenes Interesse, die CO2-Emissionen zu senken.

?: Welche Impulse wird die IAA hier geben?

Wissmann: Aerodynamik, Fahrzeugabmessungen, Optimierungen am Dieselmotor stehen im Fokus der Industrie. Insbesondere bei Stadtfahrzeugen und im Verteilerverkehr werden der batterieelektrische Antrieb und Hybridantriebe eine wachsende Rolle spielen. Leichtere Materialien werden das Fahrzeuggewicht weiter reduzieren. Hinzu kommen weiterentwickelte Getriebe.

?: Wobei man den deutschen Herstellern gerade bei modernen Antriebsformen Behäbigkeit nachsagt.

Wissmann: Das ist ein vorschnelles Urteil. Vor zwei, drei Jahren haben einige, die sich im Automobilgeschäft offenbar nicht so gut auskennen, gemeint, die Chinesen seien uns bei den batterieelektrischen Fahrzeugen weit voraus. Heute wissen wir, dass die Chinesen durchaus interessante Unternehmen haben, aber in einer McKinsey-Studie wird klar festgestellt, dass Deutschland bei der Entwicklung von Batterien und batterie-elektrischen Antrieben vor China steht.

?: Die Industrie hat eine Vielzahl von aerodynamisch günstigen Lkw vorgestellt. Nur hat sich immer wieder gezeigt, dass die Politik die höchstzulässigen Fahrzeuglängen nicht aufweichen will.

Wissmann: Bei geringfügigen Anpassungen, die den Ladeumfang nicht betreffen, hoffen wir, dass es schon bald Signale aus Brüssel gibt. Außerdem hat die Kommission im Weißbuch angekündigt, die Regelungen zu Gewichten und Abmessungen an neue Anforderungen wie eine verbesserte Aerodynamik anzupassen. Sobald es um größere Änderungen geht, wie beim Feldversuch Lang-Lkw, merkt man, dass es in der Öffentlichkeit und Teilen der Politik offenbar noch Vorbehalte gibt, die sachlich nicht zu begründen sind. Um es noch einmal klar zu sagen: Es geht beim Lang-Lkw nicht um den 60-Tonner. Fakt ist, dass man mit zwei Lang-Lkw dasselbe Volumen transportieren kann wie zuvor mit drei herkömmlichen Lkw. Das ist ein erheblicher Vorteil für die Umwelt  und macht auch ökonomisch Sinn.

?: Was genau bedeutet "kleine Veränderungen der Länge"?

Wissmann: Solche, die die Ladelänge nicht beeinflussen. Da hören wir, dass im Herbst Veränderungen aus Brüssel kommen werden, die beispielsweise aerodynamische Heckklappen mit bis zu 500 Millimeter Länge am Heck möglich machen. Das löst natürlich nicht unser größeres Problem – das Güteraufkommen.

?: Gerade im Segment der leichten Nutzfahrzeuge spielt die E-Mobilität eine immer wichtigere Rolle. Welche Zeichen setzt die IAA hier?

Wissmann: Die Elektromobilität ist ein Schwerpunkt dieser IAA. Wir veranstalten gemeinsam mit anderen Verbänden in Hannover den Fachkongress Elektromobilität, der sich mit allen Facetten beschäftigt. Da geht es auch darum, wie wir weltweit Standards erreichen, wie wir intelligente Netze und smarte IT-Lösungen für Elektromobilität schaffen. Rein elektrisches Fahren ist bei Fahrzeugen bis 3,5 Tonnen heute schon möglich und bei schwereren Lieferfahrzeugen kommt der Hybridantrieb.

?: Wie sieht der Verkehr auf der letzten Meile in Zukunft aus?

Wissmann: Das elektrische Fahren im Stadtverkehr hat ein erhebliches Potenzial, da hier die Reichweite keine große Rolle spielt. Hinzu kommen Umwelt- und Geräuschvorteile. Die klassischen Antriebsarten werden in der Stadt nach und nach an Bedeutung verlieren.  Aber wir konzentrieren  uns nicht auf nur eine Antriebsart, sondern haben auch Brennstoffzelle und Erdgasantriebe auf der Agenda. Gerade Erdgas ist wichtig, die Zahl der Tankstellen steigt stetig. Und wenn dann noch der Gaspreis vom Dieselpreis entkoppelt wird – wie es in den USA schon der Fall ist –, dann kommt der Erdgasantrieb noch stärker.

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