Unfallforscher Siegfried Brockmann im Interview "Nicht einfach zur Tagesordnung übergehen"

asdfasdf Foto: Karl-Heinz Augustin

Unfallforscher Siegfried Brockmann zeigt sich schockiert über den Stand der strukturellen Sicherheit von Reisebussen.

Wie entstehen Busbrände für gewöhnlich, Herr Brockmann?

Brockmann: Wir hatten in der Vergangenheit häufig Brände im Motorraum, was ja auch naheliegend ist aufgrund der baulichen Gegebenheiten dort. Zudem besteht hierbei immer die Gefahr, dass der Fahrer den Brand lange nicht bemerkt, da er weit weg ist vom Motorraum. Diesem Umstand hat die EU-Kommission ja bereits teilweise einen Riegel vorgeschoben, indem seit 2014 im Rahmen einer "kleinen Lösung" eine Brandmeldeanlage in Reisebussen verbaut sein muss, und ab 2020 sogar eine automatische Löschanlage gesetzlich vorgeschrieben sein wird. Da viele Busse alle drei Jahre erneuert werden, sollte ab 2023 dann das Thema Brände im Motorraum weitgehend gelöst sein.
Der neuerliche Unfall auf der A9 mit bedauerlichen 18 Toten hat uns jetzt aber deutlich gezeigt, dass ein solcher Brand auch relativ leicht vorne im Fahrzeug entstehen kann. Ich persönlich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ein Unfall mit einer so geringen Differenzgeschwindigkeit von knapp 40 km/h solche massiven Folgen wie einen komplett aufgerissenen Tank haben kann. Die Zutaten, die im Bus üblichen Druckluftsysteme sowie die im Unfallwagen vorne verbauten, an dieser Stelle nicht abgesicherten Batterien als Zündquelle, können den Bus dann sehr schnell in ein Inferno verwandeln. Wenn ich als Pkw-Fahrer wüsste, dass mein Wagen bei einem Heckaufprall mit 40 km/h so schnell in Flammen aufgehen kann, würde ich in dieses Auto schlichtweg nicht mehr einsteigen. Daher wundert es mich, dass wir beim Thema Bus so leicht zur Tagesordnung übergehen, und diesen Umstand nicht deutlicher thematisieren. Aus meiner Sicht darf es solche massiven Folgen nicht geben. Das führt natürlich zur Frage, wo gehören diese Bauteile hin, da ich ja aufgrund der Gegebenheiten der Nutzung des mittleren Fahrzeugbereiches für den Gepäckraum nicht viele Möglichkeiten habe. Wenn ich diese Bauteile so im Vorderwagen im Sinne einer unheiligen Allianz verbaue, dann muss ich dafür sorgen, dass die bei einem Unfall auftretenden, massiven Kräfte konstruktiv so von der Struktur aufgenommen werden, dass sie eben nicht diese Bauteile so einfach in Mitleidenschaft ziehen können. Eine Eindringtiefe des Unfallgegners von rund 1,5 Meter, wie sie hier gegeben war, ist für ein modernes Fahrzeug bei dieser geringen Geschwindigkeit fast unvorstellbar. Sicher hat die Industrie in den letzten Jahren schon einiges gemacht, aber dass die gesamte Konstruktion derart gestaucht werden kann, halte ich nicht für tragbar. 

Wäre hierbei der im Lkw angewendete ECE R29 Pendelschlagtest ein richtiger Schritt für den Bus?

Brockmann: Immerhin würde es neben den Bestimmungen für den Überschlag überhaupt mal eine Crashnorm geben für die Busstruktur. Das kann aber nur der Beginn einer Diskussion sein, eigentlich müsste man für Lkw und Bus das reale Unfallgeschehen viel genauer abbilden. Das müsste dann auch die geringe Überdeckung der Front, wie im vorliegenden Fall, als durchaus mögliches Crashszenario einschließen. Das Thema wird bei der Elektromobilität nochmal spannend, da die heutigen Lithium-Ionen-Batterien nicht löschbar sind, wenn sie einmal in Brand geraten. Hier wird die Crashsicherheit sozusagen zwingend werden, und das ist allen Herstellern auch klar.

Es gibt also aus Ihrer Sicht viele unerkannte Risiken im Bus für Brände, die nicht auf die klassisch bekannten Ursachen, sondern womöglich auf Konstruktionsfehler zurückzuführen sind?

Brockmann: Ja genau, so ist es. Wir brauchen aus meiner Sicht dringend einen Prozess, der diese Risiken identifiziert, und dann entsprechende Normen festlegt. Das wäre vor allem eine politische Aufgabe für die EU-Kommission, die zunächst eine Stakeholder-Anhörung einleiten sollte und dann in der Folge einen konkreten Forschungsauftrag ausschreiben sollte. Wenn ich eine Crashnorm festlegen will, dann muss ich sehr ins Detail gehen und genau definieren, welche Kräfte exakt wie aufgenommen werden müssen, sonst läuft die Norm ins Leere. Das muss dann wiederum am realen Unfallgeschehen und auch an den konstruktiven Möglichkeiten eines Busses gespiegelt werden. Derzeit sehe ich aber nicht, dass jemand aus der Situation Konsequenzen  ziehen wollte. Wenn überhaupt werden die Verbände und andere Institutionen das Thema "minimalinvasiv" lösen wollen.

Halten Sie es für hilfreich, wenn man so schnell wie möglich für Schienenfahrzeuge zugelassene Materialen auch in Bussen verbaut?

Brockmann: Das wäre schon deshalb ein gangbarer Weg, weil die Bahn ja deutlich zeigt, dass dies ohne Komforteinbußen möglich ist. Es kann also nur um die höheren Kosten gehen, und die können nach meiner Auffassung kein Kriterium sein. Was mir sehr zu denken gibt ist, dass Feuerwehren immer wieder betonen, dass es bei brennenden Bussen schon nach sehr kurzer Zeit nichts mehr zu löschen gibt, da das Fahrzeug sehr schnell vollständig in Flammen steht. Das hat nach meiner Einschätzung sehr viel mit den Innenraummaterialien zu tun, wie eine Studie von BAM und BAST aus dem Jahr 2015 deutlich gezeigt hat. 

Die Unfallforschung muss an dieser Stelle einen langen Atem haben. Die Industrie hat nur ein überschaubares Interesse an Veränderungen, weil das alles Kostenpunkte sind, die im Wettbewerb entscheidend sein können. Deshalb ist es jetzt wichtig, dass die Politik das Heft in die Hand nimmt und für alle die gleichen Bedingungen schafft. 

Welchen Einfluss hat die Evakuierungsgeschwindigkeit eines Busses auf die Unfallfolgen aus Ihrer Sicht?

Brockmann: Schon nach wenigen Minuten eines Feuers im Bus sind die Handlungsmöglichkeiten der Passagiere sehr eingeschränkt, zumal die Materialien auch giftige Gase absondern, was nicht gesetzlich geregelt ist. Daraus müsste sich eigentlich eine sehr schnelle Ausstiegszeit wie im Flugzeug ableiten lassen, wo wir ja von 90 Sekunden für alle Passagiere über die Hälfte der Ausstiege reden. Für den Bus wäre das bei dann nur einem Ausstieg absolut utopisch. Aber es würde ja schon einmal sehr helfen, wenn man eine Mindestnorm von drei Minuten über beide Ausstiege anvisieren würde – was schon ein  großes Entgegenkommen wäre. Es gibt leider aber gar keine Norm für die Evakuierung, und auch die gängige Praxis des Einbaus von Komfortsitzen, die in den Mittelgang ausgeschoben werden können, also direkt in den Fluchtweg, ist hierbei extrem hinderlich. In keinem anderem anderen Verkehrsmittel oder Veranstaltungsort würde man das zulassen. 

Wie sollte eine konzertierte Unfallforschung für Busse aussehen?

Brockmann: Das gibt es leider in wenigen Bereichen. Auch die geringen Fallzahlen im Busbereich machen das Thema sehr schwierig. Wir haben selbst ca. 250 Busunfälle dokumentiert, die wir gerade auswerten.

Welches Fazit würden sie also ziehen zur Bussicherheit?

Brockmann: Wir haben genau drei Baustellen in der Bussicherheit. Das ist zuerst einmal die Entflammbarkeit der Materialien, zudem die Evakuierungsgeschwindigkeit für die Passagiere und last but not least die Crashsicherheit im Frontbereich. Alle drei Punkte müssen aus unserer Sicht dringend verbessert werden.

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