Selbstfahrender Navya Arma Baustart eines autonomen Kleinbusses

Autonomes Fahren Schreiber Rüdiger Foto: Rüdiger Schreiber 7 Bilder

Es war nur eine Frage der Zeit – nach autonom fahrenden Lkw wird auch ein Bus kommen. Navya hat den Bau eines autonom und elektrisch fahrenden Kleinbusses gestartet.

Autonomes Fahren ist Realität, auch wenn die Systeme den Fahrer erst in einigen Jahren im Alltag ganz entlasten dürfen. Maximale Flexibilität beim ÖPNV ist dank Smartphone und einem autonom fahrenden Kleinbus dagegen schon heute kein Zukunftsmärchen mehr – wenn man nicht auf öffentlichen Straßen fährt. Um Deutschland die Vorreiterrolle beim autonomen Fahren zu sichern, hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt Gesetzesänderungen im Verkehrsrecht vorgeschlagen. Automatisierte und autonome Systeme, die die volle Kontrolle über ein Fahrzeug haben, sollten den Fahrern rechtlich gleichgestellt werden. Und: Eine ordnungsgemäße Nutzung automatisierter und vernetzter Fahrzeuge sollte für die Fahrer keine Sorgfaltspflichtverletzung darstellen. Gerichte werden aber im Einzelfall immer prüfen, wer – also Fahrer oder System – den Unfall verursacht hätte.

Noch stockt die Diskussion, weil es kaum Erfahrungen aus der Praxis gibt. Erst im September 2015 hatte das Bundeskabinett die von Dobrindt vorgelegte "Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren" beschlossen. Mitte April verabschiedete es dann den vom Bundesverkehrsministerium ausgearbeiteten Gesetzentwurf zur Umsetzung, um Rechtssicherheit für den Einsatz automatisierter Fahrsysteme zu schaffen. Doch bevor sie sich frei im öffentlichen Straßenverkehr bewegen dürfen, müssen noch Haftungsfragen geklärt und Änderungen im Verkehrsrecht vorgenommen werden.

"Autonomes Fahren erlaubt im ÖPNV maximale Flexibilität"

Bisher ist in Deutschland in Einklang mit dem ursprünglichen Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968 kein Autofahren ohne Fahrer erlaubt. Im vergangenen Jahr wurde der Vertrag von den Vereinten Nationen jedoch dahingehend ergänzt, dass auch teilautonome Fahrzeuge zugelassen sind, sofern ein Fahrer jederzeit eingreifen kann. Einen Schritt weiter geht der französische Hersteller Navya mit einem rein elektrisch angetriebenen Kleinbus namens Arma. Hier ist kein Fahrer mit an Bord. Stattdessen sorgen Stereokameras, GPS-System, Lidar-Sensoren und Computer für das, was zurzeit die Branche bewegt. "Autonomes Fahren erlaubt im ÖPNV maximale Flexibilität", sagt Christoph Marquardt, der sich als Verkehrsplaner einen Namen gemacht hat. Mit Constantin Pitzen, einem Profi für Fahrpläne sowie Holger Michelmann als Angebotsplaner, stehen drei Partner gemeinsam mit dem französischen Hersteller Navya für die Erprobung autonom gesteuerter Busse unter verschiedenen Bedingungen.

Ziel der Präsentationen, die im Frühjahr bundesweit stattfanden, war es, mögliche Einsatzfelder aufzuzeigen. "Die autonom gesteuerten Elektro-Kleinbusse namens Arma erschließen die letzte Meile für den ÖPNV", erklärt Marquardt. Sie würden einen Linienverkehr im Werks- oder Parkgelände erlauben und touristische Ziele erschließen. "Auch in der Logistik können die Fahrzeuge für Shuttleverkehre oder als Zubringer eingesetzt werden, um Prozesse zu optimieren", ergänzt Holger Michelmann. Das Projektkonsortium namens "Büro autoBus" geht davon aus, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen schnell ändern werden. Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies nahm den autonom fahrenden Arma bei Erprobungsfahrten im Nordseebad Dangast in Augenschein und erläuterte dabei das Vorgehen Niedersachsens, um das autonome Fahren zu erproben. Auch scheinbar unbedeutende Strecken wie vom Kurhaus des Nordseebades hinter dem Deich zum nahe gelegenen Hafen – eine Strecke, die auch öffentliche Verkehrswege kreuzt – müssten Teil der Erprobung sein, um viele unterschiedliche Daten zu generieren. In der Schweiz bei Post-Auto sind bereits zwei fahrerlose Busse von Navya im Einsatz. Dort haben Behörden die Bewilligung für den Pilotbetrieb in einer bestimmten Zone der Stadt erteilt.

Optimale Ergänzung für das bestehende Streckennetz

Der Arma ist nicht Teil des regulären Fahrplans, sondern ein Abrufangebot, das sich je nach Bedarf mit dem Smartphone anfordern lässt. Nach Ansicht des Ministers müssten alle Angebote vom Pkw über den Lkw bis hin zum Omnibus in der Testphase berücksichtigt werden. Für strukturschwache und ländliche Gebiete seien fahrerlose Busse auf Abruf eine ideale Lösung für den ÖPNV. Die Fahrzeuge ersetzen aber in der Schweiz keine bereits fahrenden Busse. Auch bei Navya fängt man klein an: Der Arma ist 4,80 Meter lang, 2,55 Meter hoch und 2,05 Meter breit. An Bord gibt es elf Sitz- und vier Stehplätze. Die geringe Größe sei aber nach Ansicht der Franzosen auch ein Vorteil: Mit ihrer Wendigkeit und der kompakten Bauweise können die Busse das bestehende Streckennetz ergänzen. Eine optische Bereicherung für das standardisierte Fahrzeugangebot des ÖPNV ist die glasfaserverstärkte Kunststoffkarosserie allemal.

Die Karosse sitzt auf einem Alu-Rahmen, der auch die Batterien trägt. Geladen wird induktiv. Sinkt die Leistung unter zehn Prozent, fährt der Arma automatisch zur Ladestation. Nach fünf bis zwölf Stunden sind die Batterien wieder geladen. Das Leergewicht beträgt 2.100 Kilogramm, was recht hoch erscheint und auf die Batterien (LiFe P04 mit 33 kWh) zurückzuführen ist. Maximal zwölf Prozent Steigung und 45 km/h sind drin. Als Reichweite könnte man nach den Tests 200 Kilometer nennen. Noch sind die Stückzahlen klein und die Anschaffungspreise hoch: 200.000 Euro für einen autonom fahrenden Kleinbus. 70 Arma werden in diesem Jahr gebaut. "40 sind schon verkauft", sagte Navya-Manager Frédéric Sartou. Das scheint ein Selbstläufer zu werden.

Im Interview: Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies zum autonomen Fahren.

Niedersachsen ist ein Mobilitätsland mit bedeutenden Produktions- und Entwicklungskapazitäten im Telematikbereich. Entsprechend sind auch in Niedersachsen bereits vielfältige Entwicklungsaktivitäten angelaufen. So haben die TU Braunschweig sowie das Niedersächsische Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) und der Standort Braunschweig des DLR die Autos "Caroline" und "Leonie" entwickelt, die seit 2010 autonom im Stadtring von Braunschweig unterwegs sind. Außerdem wurde beim DLR in Braunschweig das deutschlandweit einzigartige Testfeld AIM (Anwendungsplattform Intelligente Infrastruktur) mit Unterstützung des Niedersächsischen Wirtschaftsministeriums (5,25 Millionen Euro) und des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (1,25 Millionen Euro) installiert. Im Innenstadtbereich wird hier die Telematiktechnologie zur Verkehrserfassung und -steuerung eingesetzt. Autos, die mit Fahrassistenzsystemen ausgestattet sind, können innerhalb dieses Testfeldes zum Beispiel mit Ampeln kommunizieren.

Herr Lies, was plant Niedersachsen in Sachen des autonomen Fahrens?

Lies: Niedersachsen will für die Testphase autonomer Fahrzeuge eine Vorreiterrolle einnehmen, knapp 300 Kilometer Straßenkilometer stehen für Fahrerprobungen auf Autobahnen, Landstraßen sowie Straßen der Stadt Braunschweig zur Verfügung.

Ist autonomes Fahren nicht noch ein Zukunftsmärchen?

Lies: Die Innovationen, die zum autonomen Fahren gebraucht werden, sind bereits für aktuelle Fahrzeuggenerationen interessant und finden schon den Weg in den Markt. Sie können einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Verbesserung der Verkehrssicherheit leisten. Wir müssen aufpassen, dass Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nicht aufgrund einfacherer Genehmigungsverfahren vorwiegend im Ausland stattfinden.

Warum engagieren Sie sich für ein weiteres Testfeld neben dem der A9?

Lies: Dass eine Erprobung der Technologien nicht ausschließlich auf dem vom BMWI vorgeschlagenen Digitalen Testfeld Autobahn (A9) stattfindet, sondern auch in anderen Streckenabschnitten in Deutschland, trägt der Vielfältigkeit der FuE-Aktivitäten in den Bundesländern besser Rechnung und unterstützt die vielfältigen regionalen Aktivitäten der Fahrzeughersteller und Zulieferer.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Lao 08 2016 Titel
lastauto omnibus 08 / 2016
11. Juli 2016
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