SCR-Nachrüstung für Stadtbusse SCR reduziert Stickoxide bis unter die Nachweisgrenze

Foto: Padersprinter

Der ostwestfälische Verkehrsbetrieb Padersprinter in Paderborn beginnt damit, seine Stadtbusse ohne SCR-System nachzurüsten und so die Stickoxide um den Faktor 100 zu reduzieren. Der Knackpunkt: für eine öffentliche Förderung fehlen sowohl finale Testvorgaben als auch eine Nachrüstrichtinie.

Deutschland in der Dieselkrise: Fahrverbote, Nachrüstungsversprechen und Auslaufszenarien allenthalben. Hysterie wechselt sich ab mit Panikmache und Ignoranz. Verunsicherung pur bei den Kunden. Die Hersteller haben aus der Feinstaubhysterie der Nuller Jahre offensichtlich nichts gelernt, und haben die politischen Implikationen der Immissions- auf die Emissionsgesetzgebung wiederum gnadenlos unterschätzt.
Hinzu kommt der pikante Umstand, dass die bis vor einigen Jahren noch nicht stark im Fokus stehenden Stickoxide (NOx) gerade im Nutzfahrzeug nur mit dem SCR-Konzept mit AdBlue-Zusatz hinreichend gesenkt werden können, nicht ganz so gut aber mit AGR-Systemen, die zum Beispiel MAN bis zur Abgasstufe EEV unter dem schmissigen Label "MAN Pure Diesel" verkaufte. Der damals entbrannte Kulturkampf um "AGR gegen SCR" erscheint unter den neuen Bedingungen schon absurd – alleine es laufen Tausende von Bussen in Europa, deren offener PM-Kat geradezu NO2 produziert und die noch lange nicht abgeschrieben sind. Euro 5 bzw. der freiwillige EEV-Standard war bis Ende 2013 die geltende Norm, ein Stadtbus läuft aber bis zu 12 Jahre, je nach Unternehmen.

"Der Diesel ist nicht das Problem, es ist der Wettbewerb und der Lobbyismus der Hersteller", ist sich Peter Bronnenberg, Geschäftsführer von Padersprinter, der in 
Paderborn mit rund 100 Bussen den Verkehr bedient, sicher. "Wir sind zwar nur ein Bonsai-Unternehmen, aber bei uns gilt auch in Sachen Abgastechnik das Motto ‚Geht nicht – gibt’s nicht’, zum Leidwesen der Hersteller." Die bezeichnet er gerne als "Dickschiffe", die sich auf "bewegliche und innovative" Kunden ungern einstellen würden. 

Saubere Busflotte in Paderborn

Padersprinter hat bereits seit 1991 enorme Anstrengungen unternommen, um die kleine Busflotte, die direkt durch die Innenstadt fährt (Werbeslogan: "Kein verschnarchtes Städtchen"), besonders sauber zu machen. Damals waren Bronnenberg und seine Kollegen die ersten, die sich an die Verwendung von schwefelarmen Diesel wagten. Trotz eines vorher gescheiterten Großversuchs des Umweltbundesamtes führte man 1995 dann die ersten Rußpartikelfilter ein, bereits 1998 schmückte die SCR-Technologie in Ostwestfalen einen umgerüsteten Bus. 2012 kamen die ersten Euro 6-Busse auf den Hof, 2013 testete man synthetische Kraftstoffe aus Gas (GtL) und Kohle (CtL), solche aus Biomasse (BtL) wurden nie geliefert, sonst wäre man dankbarer Abnehmer gewesen. Lohn der Bemühungen: zweimalige Nominierung für den deutschen Umweltpreis, 1999 
sogar eine vom VDA. Und die Kooperation einer Stadtverwaltung, die dankbar die neuerlichen Tests aufnimmt, und zwar schon bevor eine Luftreinhalterichtlinie in Kraft tritt. Bürgermeister Michael Dreier (CDU) steht voll hinter den Bestrebungen und hält das Nachrüstunterfangen für "deutlichst günstiger, als auf das Pferd der Elektromobilität zu setzen." Zumal die noch nicht serienreif ist, zumindest bei den beiden deutschen Herstellern.

Zur Präsentation der Testergebnisse des ersten von 30 zeitnah nachzurüstenden Bussen, die überwiegend aus dem Hause MAN kommen, hat sich denn trotz breiter Einladung neben vielen ÖPNV-Experten auch nur ein Vertriebsmitarbeiter von Mercedes-Benz gewagt, der brav die umwelttechnischen Bemühungen lobt und sich nicht vorstellen kann, dass in seinem Haus "jemand auf der Bremse steht bei dem Thema."

Nachrüstrichtlinie auf Bundesebene

Das kann Carsten Linnemann (39) umso besser. Er ist Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung und sitzt zum zweiten Mal für den Wahlkreis Paderborn im Bundestag. Er spricht (wahl-)kämpferisch von einer "starken Lobby der Hersteller, die in erster Linie neue Busse verkaufen wollen." Und gemeinsam mit dem anwesenden NRW-Ministerialrat Andreas Wille sowie Ralph Pütz, Professor und ehemalige VDV-Technikreferent, will er einen Termin in Sachen "Nachrüstrichtlinie" im Bundesverkehrsministerium anberaumen. "Denn ohne diese Richtlinie ist nichts gewonnen bei der Nachrüstung von hunderten Bussen, die noch lange laufen werden," wie Linneman ausführt. Zudem ist eine solche Richtlinie wichtig für eine staatliche Förderung, worauf Lars Wagner, Sprecher des VDV hinweist: "Bei einer Nachrüstrichtlinie, die wir grundsätzlich begrüßen, muss zum Beispiel dringend auch die Finanzierung der Nachrüstung durch den Bund geklärt sein, die notwendigen Investitionen darf man nicht allein den Verkehrsunternehmen überlassen."

Um die Wirksamkeit der Nachrüstung zu belegen hat Bronnenberg das Institut des Landshuter Professors Ralph Pütz gewonnen – kein Unbekannter in der Busszene. Bronnenberg: "Reine Prüfstandsmessungen überzeugen uns nicht, wir wollen realitätsnahe Tests auf der Straße." Diese PEMS-Tests hat Pütz auch schon in Aachen durchgeführt, wo Mercedes-Busse mit einem vergleichbaren SCR-System umgebaut wurden und bereits seit einiger Zeit laufen. Dieses Vorgehen unterstützt auch der VDV 
explizit: "Wir stehen Umrüstungen positiv gegenüber, sofern Sie über ein unabhängiges Institut an den jeweiligen umzubauenden Fahrzeugen getestet worden sind und die gewünschten Werte tatsächlich auch erreicht werden."

Testergebnisse falls positiv aus

Die Ergebnisse der Test des Nachrüstsystems des finnischen Herstellers Proventia sind sehr ermutigend, laut Pütz sogar "ein Novum und das neue Benchmark-System, das Euro 3 bis Euro 5-Busse auf Euro 6-Werte senken kann." Bei der mehrfachen Testfahrt auf der Linie 1 und 9 (SORT 2-3) lagen die NOxe sogar unter der Nachweisgrenze und zumeist unter 0,1 g/km, beim Grenzwert von 0,46 g/kWh. "Wir sprechen hier von einer 99-prozentigen SCR-Effizienz des Systems bei vernachlässigbarem Mehrverbrauch von rund 0,8 Prozent", erläutert Pütz. Das Proventia-System arbeitet grundlegend genauso mit AdBlue wie die der Hersteller, es ist aber auf maximale Reinigungswirkung ausgelegt. "Dazu verwenden wir eine spezielle Beschichtung des SCR-Katalysators und eine Spezialisolierung aller Bauteile, die die Temperatur um 20-30 Grad erhöht", erklärt Joachim Diringer, Geschäftsführer der Firma Bluekat, die das rund 20.000 Euro teure System, das zuerst für den Offroad-Bereich entwickelt wurde, vertreibt. Das ist besonders wichtig, da im Stadtverkehr nicht immer die erforderlichen 200 Grad Abgastemperatur erreicht werden. Seitens der Hersteller gebe es weder Interesse noch hochrangige Gespräche, sagt Diringer. Daimler nennt auf Nachfrage die Produkthaftung als Begründung, MAN nennt gar keinen Grund für die Untätigkeit in Sachen Nachrüstung. "Trotz allem fährt in Paderborn zum zweiten Mal der sauberste Diesel-Stadtbus der Welt, und das sogar zum Jubiläum", freut sich Peter Bronnenberg und kann sich ein schelmisches Lachen nicht verkneifen.

Mehr zum Thema und ein Interview mit ÖPNV- und Abgasexperte Prof. Ralph Pütz, Belicon-Institut, FH Landshut finden Sie in lastauto omnibus 9/2017.

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