Parkplatzmangel Fernfahrer stecken im Dilemma

Sven Krahnert, Leiter POLIZEIDIREKTION CHEMNITZ Foto: Schneider GmbH

Die Situation spitzt sich zu: Jeden Abend kämpfen Fahrerinnen und Fahrer mit den Folgen eines ungezügelten Transportaufkommens.

Seit über 17 Jahren fährt Stephanie Ebert, 39, aus Gengenbach nun im internationalen Fernverkehr. Sie ist mit einem Sattelzug für die Spedition Bross & Pliwischkies aus Willstätt nach England oder Schottland unterwegs. Sie liebt ihren Beruf, aber die Freude daran vergeht schlagartig, wenn sie sich am Abend auf einer der deutschen Transitautobahnen einen Parkplatz suchen muss. "Der eklatante Mangel an Stellplätzen ist mittlerweile für alle Verkehrsteilnehmer gefährlich", klagt sie. "Aber vor allem wir Fahrerinnen und Fahrer müssen es ausbaden."

Anlass für den Unmut ist eine Situation, die sie dem FERNFAHRER geschildert hat. Eine Hilflosigkeit, wie sie Fahrer mittlerweile jeden Werktag erleben. Stephanie kam über die A 6 aus Nürnberg und wollte auf den Speditionshof. Dafür hätte ihre tägliche Lenkzeit gereicht.

Polizei schickt Lkw-Fahrerin weg und droht mit Anzeige

In Höhe Sinsheim hat sie dann im Radio von einem elf Kilometer langen Stau auf der A 5 gehört und so gehandelt, wie es in jedem seriösen Modul über die Lenk- und Ruhezeiten vermittelt wird: "Ich habe mich entschlossen, schon vor diesem Megastau meine tägliche Ruhezeit einzulegen. Wäre ich in den Stau gefahren, dann hätte ich mir meine Fahrerkarte ruiniert, was ich mir bei den teils empfindlichen Bußgeldern im Ausland nicht leisten kann." Drei Lkw-Parkplätze fuhr sie auf diesen beiden ständig überlasteten Teilstücken der A 6 und A 5 an, suchte nach einer Möglichkeit und musste weiterfahren, weil diese bereits belegt waren. Schließlich traf sie eine Entscheidung ganz im Sinne der Leitlinie 1 zur EU-Verordnung 561/2006 über die Lenk- und Ruhezeiten. "Ich wusste aus Erfahrung, dass ich weder auf dem Autohof Karlsdorf noch im umliegenden Gewerbegebiet etwas finden werde. Und so fuhr ich als letzte Chance vor dem Stau auf die Raststätte Bruchsal. Die war natürlich auch schon überfüllt, daher habe ich den Sattelzug um 17.30 Uhr auf den dort nicht markierten Pkw-Plätzen abgestellt. Es war kaum etwas los."

Was danach passierte, zeigt das Dilemma, in dem viele Fahrer seit dem ungezügelten Wachstum des Lkw-Verkehrs in den letzten Jahren stecken: Um 21.30 Uhr klopfte es an ihrer Tür und zwei jüngere Polizeibeamte schickten sie und andere Fahrer nach einer längeren Diskussion wieder auf die Bahn – eben weil sie die Pkw-Parkplätze blockieren würden. "Ich habe noch nicht einmal einen Kontrollstempel auf den Ausdruck des digitalen Tachos bekommen, sondern lediglich eine Visitenkarte", ärgert sich Stephanie. "Meine Argumentation, dass ich nun einen Verstoß begehen würde, interessierte die Polizei nicht. Sie überprüften meine Papiere und drohten mir mit einer Anzeige. So etwas habe ich in all den Jahren auch im Ausland noch nicht erlebt. Ich hatte gerade etwas geschlafen. Und ich frage mich seither, auch angesichts der Erfahrung von anderen Kollegen, was es für die allgemeine Verkehrssicherheit bringt, wenn Fahrer, die nach einem langen Arbeitstag todmüde sind, zurück auf die Bahn geschickt werden?"

Sven Krahnert, Leiter POLIZEIDIREKTION CHEMNITZ Foto: Polizei Chemnitz
Polizeihauptkommissar Sven Krahnert aus Chemnitz beobachtet das Wachstum des Lkw-Verkehrs seit 1990. Er kennt die vielen Probleme, die Fahrer auf der A 4 mit den überfüllten Autobahnparkplätzen haben.

Bis Ende 2025 werden etwa 13.000 Lkw-Stellplätze fehlen

Leider wird sich an diesem Zustand vorerst nichts ändern: Obwohl auf einigen Routen in ländlicher Region sichtbar neue Parkplätze gebaut werden, kommt der dringend erforderliche Ausbau dem ständigen Wachstum des Verkehrs im größten Transitland Europas schlicht nicht mehr hinterher: Nach den jüngsten Zahlen aus dem Bundesverkehrsministerium (BMVI) sollen bis Ende 2025 immer noch etwa 13.000 Lkw-Stellplätze fehlen, 2013 gab es bereits ein Manko von 11.000 Stellplätzen. Neue Prognosen sollen erst 2018 erstellt werden. Immerhin: In Nordrhein-Westfalen, zugleich auch das größte Stauland im Bund, sind es allein rund 4.000 fehlende Plätze, ganze 453 sind im Bau. Die meisten jedoch abseits der Ballungsgebiete, wo immer öfter Bürgerinitiativen den Neubau verhindern wollen. Erschwerend kommt hinzu: Auch weil die lange vernachlässigte Infrastruktur nun repariert wird, kam es im vergangenen Jahr laut ADAC zu 1.900 Staus.

Marode und daher gesperrte Brücken, wie auf der A 1 bei Köln und nun auf der A 40 bei Duisburg, zwingen die Fahrer zu Umwegen. All das führt dazu, dass viele Fahrer im normalen Fernverkehr am Ende des Tages so gut wie keine zeitliche Reserve mehr haben, wenn sie sich abends einen Parkplatz suchen müssen. Die Fahrer der vielen nächtlichen Linienverkehre sind von diesem Problem relativ unberührt. Zwar dringt der Parkplatzmangel über TV-Sender und Publikumszeitungen nun immer öfter in die konsumierende Gesellschaft – aber das löst die oft dramatische Situation vor Ort vorerst nicht. Und der brandaktuelle Vorschlag der Partei 'Die Linke' aus ihrem Programm für die Bundestagswahl im September, den Güterverkehr analog zur Schweiz in der Nacht ganz zu verbieten und am Freitagnachmittag bereits einzustellen, würde nicht nur das akute Parkplatzproblem weiter verschlimmern. Immer häufiger sehen sich Fahrer sogar gezwungen, in ihrer Not in den Verzögerungs- oder Beschleunigungsstreifen der Raststätten oder Parkplätze stehen zu bleiben.

Sven Krahnert, Leiter POLIZEIDIREKTION CHEMNITZ Foto: Enrico Früh
Stefanie Ebert: "Was bringt es, Fahrer zurück auf die bahn zu schicken, wenn sie immer noch todmüde sind?"

Man darf nirgendwo parken, wo es gesetzlich verboten ist

Der Bußgeldkatalog ist den Ordnungshütern hier kein wirkliches Druckmittel. Das Halten auf dem Standstreifen der Autobahn kostet 30 Euro. Es wird auch im Stau gerne von Fahrern aus Osteuropa für 15 oder 30 Minuten praktiziert. Das Halten auf der Ein- oder Ausfahrspur kostet dagegen "nur" 10 Euro, mit Behinderung 15 Euro. "An diesen Stellen müssen wir dann wirklich eingreifen und die Fahrer auffordern, sich einen anderen Parkplatz zu suchen", sagt Polizeihauptkommissar Sven Krahnert, 48. Er ist seit 1990 für die Verkehrspolizei Chemnitz für insgesamt 130 Kilometer der Teilstücke der A 4 und A 72 in Sachsen verantwortlich. "In der Wirtschaftskrise ab 2008 war die Situation für rund zwei Jahre etwas entspannter, aber seither schlägt auch bei uns der Parkplatzmangel voll durch. Schließlich sind wir eine der wichtigsten Ost-West-Achsen in Deutschland." Krahnert hat auf Nachfrage überhaupt kein Verständnis dafür, dass seine Kollegen aus Süddeutschland in einer solchen Situation Lkw-Fahrer von Pkw-Parkplätzen zurück auf die Bahn schicken.

Im Gegenteil: Er kann sich eher mit der Idee seiner Kollegen aus Bremen anfreunden, die nun vorgeschlagen haben, dass zu bestimmten nächtlichen Zeiten ein großer Teil der Pkw-Parkplätze nur von Lkw-Fahrern genutzt werden darf. Auch der ADAC findet Gefallen an dieser Idee. Doch bis dahin gilt die bestehende Straßenverkehrsordnung, wie der Fachanwalt für Verkehrsrecht, Matthias Pfitzenmaier, ab Seite 10 Punkt für Punkt erläutert. Grundsätzlich gilt: Man darf nirgendwo parken, wo es gesetzlich verboten ist. In einer klaren Notsituation sollten die Fahrer die Suche nach einem Parkplatz auf dem Ausdruck dokumentieren, wenn sie schließlich doch eine Stelle gefunden haben. Es ist aber kein Freibrief, ewig ohne Pause weiterzufahren. In der Tat: Der in vielen Fällen unfreiwillig begangene Verstoß begleitet die Fahrerinnen und Fahrer noch mindestens die nächsten 27 Tage – auf der Fahrerkarte. Stephanie Ebert hat dieses Mal Glück gehabt, wie sie aus England berichtet. "Auf der Fahrt nach London kam ich in eine Kontrolle. Der Polizist hat meinen Tagesausdruck und meine Erklärung der Situation akzeptiert."

Talk am Truck auf der NUFAM

Im Rahmen der Karlsruher Nutzfahrzeugmesse (Nufam) werden wir am Samstag, 30. September um 13:00 Uhr auf der FERNFAHRER-Bühne (Halle 3, Stand 302) den Parkplatzmangel und dessen Folgen diskutieren.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FF 10 2017 Titel
FERNFAHRER 10 / 2017
2. September 2017
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2. September 2017
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