Organisationsverschulden Besondere Gefahrenlage

Lkw, Warendiebstahl Foto: Anke Schiller-Mönch
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Wertvolle Ware beim Transport gestohlen – Schadensersatzforderung. Wer muss haften? Wann liegt ein Organisationsverschulden vor?

Heinz*, seines Zeichens Transportunternehmer, grübelt. Ein befreundeter Spediteur hat ihm erzählt, dass er einen Megaprozess an der Backe habe. Ein Transportversicherer will Schadensersatz von ihm als Frachtführer, weil die Ladung gestohlen wurde. Paul, so heißt der Kumpel, war von einem Speditionsunternehmen mit einer Lieferung beauftragt worden. Sein stets zuverlässiger Fahrer hatte aber eine Pause einlegen müssen, in Belgien auf einem unbewachten Parkplatz. Er hätte lieber einen gesicherten angesteuert, aber dazu hätte die verbliebene Lenkzeit nicht mehr ausgereicht. Und was das angeht, da gehe der Fahrer keine Kompromisse ein.

Jedenfalls schlitzten Diebe die Planen auf und holten die Ladung vom Laster: jede Menge Handys. Nun meint der Transportversicherer, Paul hätte diebstahlgefährdete Ladung erst gar nicht mit einem Planenanhänger ausliefern dürfen. Schließlich hätte auf dem Auftrag groß und deutlich "Achtung, diebstahlgefährdete Ware" gestanden. Dass es Handys waren, wusste Paul nicht. Auch zahlte der Auftraggeber nur die "normale" Fracht. Kumpel Heinz lässt die Sache keine Ruhe. Muss er immer genau fragen, aus was die Ladung besteht und ob das denn vielleicht für Langfinger besonders interessant sein könnte – oder hat der, der das Gut aufgibt, nicht die größere Verantwortung und muss ihn auf diese "besondere Gefahrenlage" hinweisen?

Laut BGH muss der Auftraggeber auf besondere Gefahrenlage hinweisen

Ja, sagt der BGH in seiner Entscheidung vom 1. Juli 2011, Az.: I ZR 176/08. Der Fall war ähnlich und die obersten Richter entschieden: Grundsätzlich haftet der Frachtführer, erstens, im grenzüberschreitenden Straßenverkehrsgütertransport nach dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR). Vollen Schadensersatz (über die Beschränkung des Art. 23, Abs. 2 und 7 CMR hinaus) hat er aber, zweitens, nur zu leisten, wenn er sich "Vorsatz oder dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden" vorwerfen lassen muss, Art. 29, Abs. 1 CMR. Dabei haftet der Unternehmer und Frachtführer auch für das Fehlverhalten der Bediensteten. Doch wann sind diese Haftungsbeschränkungen des CMR durchbrochen?
Was heißt "dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden"? Grobe Fahrlässigkeit reicht hier nicht aus.

Seit Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 ist "leichtfertiges Verhalten" erforderlich, außerdem "das Bewusstsein, dass mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden eintreten werde" (BGH vom 1. Juli 2011, Az.: I ZR, 176/08, m.w.Nw.). Diese "bewusste Leichtfertigkeit" fordert einen besonders schweren Pflichtverstoß. Der Frachtführer müsse sich "in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen", so das Gericht.

Der Auftraggeber hätte einen höheren Wert angeben müssen

Die Vorinstanzen warfen dem Unternehmer "schwerwiegendes Organisationsverschulden" vor, er habe leichtfertig die Sicherungsmaßnahmen ignoriert. Das sahen die obersten Richter anders. Der Frachtführer habe wegen der Aufschrift: "Achtung, diebstahlgefährdet" nicht vom Bestehen einer "besonderen Gefahrenlage" ausgehen müssen. Außerdem wusste er im vom BGH entschiedenen Fall nicht, dass Autoradios geladen waren. Dabei handelt es sich aber um beliebte Hehlerware, was wiederum die besondere Gefahrenlage mit begründet. Dieses Risiko muss für den Frachtführer oder dessen Bediensteten "hinreichend konkret" erkennbar sein, sagt der BGH. An der Stelle kommt der Auftraggeber ins Spiel.
Der hat es nämlich in der Hand, einen höheren Wert im Frachtbrief anzugeben, etwa durch einen entsprechenden Zuschlag zur Fracht. Das war aber bei Paul, seinem Fahrer und dem Transport der Handys auch nicht der Fall. Es fehlten weiterhin Anhaltspunkte zur Annahme einer "besonderen Gefahrenlage". Also waren der Transport mit einem Planenanhänger und die Pause auf dem unbewachten Parkplatz völlig okay. Im Ergebnis haftet der Frachtführer nur in Höhe von maximal 8,33 Rechnungseinheiten für jedes fehlende Kilogramm des Rohgewichtes, Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR, jedenfalls nicht für den weitergehenden Schaden – Heinz atmet auf. Die Welt ist am Ende wieder in Ordnung.

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