Die Anreise eines Fahrers zu einem Lkw, der nicht am Standort des Unternehmens parkt, ist Arbeitszeit und muss im Tacho nachgetragen werden. Trägt der Fahrer die Zeit nicht nach, fällt es nicht auf.
Von Bukarest nach Aachen sind es rund 2.000 Kilometer. Ein großer Teil der Strecke führt über Landstraße und dauert rund 24 Stunden. Das errechnet der belgische Hauptinspektor Raymond Lausberg, wenn er bei einer Lkw-Kontrolle die osteuropäischen Fahrer fragt, wo sie gerade herkommen. Oft klafft in den Aufzeichnungen ihres digitalen Tachos respektive der Fahrerkarte eine Lücke, wenn sie den Lkw an der Grenze bei Aachen oder irgendwo in Belgien übernommen haben.
Immer öfter greifen westeuropäische Frachtführer auf Fahrer aus Osteuropa zurück, die jeweils mehrere Wochen auf Tour gehen. Meistens "vergessen" die Fahrer aber, die Anreise nachzutragen. In Artikel 9 (3) der VO (EG) 561/2006 heißt es eindeutig: "Die von einem Fahrer verbrachte Zeit, um mit einem nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallenden Fahrzeug zu einem in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallenden Fahrzeug, das sich nicht am Wohnsitz des Fahrers oder der Betriebsstätte des Arbeitgebers, dem der Fahrer normalerweise zugeordnet ist, befindet, anzureisen oder von diesem zurückzureisen, ist als andere Arbeiten anzusehen."
Fahrerwechsel an der Raststätte
Diese Vorschrift hat Konsequenzen: Spätestens nach 6 mal 24 Stunden muss der Fahrer eine wöchentliche Ruhezeit einlegen. In einem Fall, den Lausberg kontrolliert hat, nutzte der Fahrer Samstag und Sonntag zur Anreise. Er begann seine Tour in der Nacht zu Montag und war bis zur darauffolgenden Samstagnacht im Lkw unterwegs. Die Lenk- und Ruhezeiten waren in Ordnung. "Aber der Fahrer hat die Arbeitszeit am Samstag um 19 Uhr mit der Abfahrt im Bus begonnen", erklärt Lausberg. "Somit wäre seine Arbeitszeit für diese Woche am Freitagabend um 19 Uhr abgelaufen. Er hätte seine wöchentliche Pause also ab Freitag nehmen müssen."
Dieser aufgedeckte Verstoß wird in Belgien mit 660 Euro Bußgeld bestraft. Einzulösen vom Arbeitgeber, denn der hat es in der Regel angeordnet. Aber auch in Deutschland finden immer öfter Fahrerwechsel auf Autobahnraststätten oder auf Autohöfen statt. Doch das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) hält sich zurück. Denn um zu kontrollieren, ob der Fahrer seine Anreise nachträgt, müsste ihn das BAG auf frischer Tat erwischen – in der Regel also am Sonntagabend, wenn das Fahrverbot für Lkw in Deutschland endet. Bei einer Kontrolle während der Woche erkennen die Beamten nur, der Lkw hat am Wochenende gestanden. Trägt der Fahrer diese Zeit nicht nach, fällt es kaum auf, ist aber ein klarer Verstoß.
Diesen Zustand nutzen nun auch immer öfter deutsche Spediteure, um meist Fahrer aus den neuen Bundesländern, die immer noch weniger verdienen als die Kollegen in Westdeutschland, mit Bussen oder per Mietwagen zu den Standorten ihrer Fahrzeuge zu bringen. Der so entstandene Wettbewerbsvorteil trägt allerdings dazu bei, die ohnehin niedrigen Preise für Frachten weiter zu senken. Den Nachteil hat der heimische Unternehmer, der höhere Löhne zahlt.
Der Arbeitgeber muss es regeln können
Es ist ein durchweg illegales Konzept: Wenn beispielsweise Fahrer jeden Freitagabend vom Stellplatz ihres Lkw in Bayern mit dem Pkw Richtung Sachsen oder sogar Polen reisen, dort erst in der Nacht zu Samstag ankommen und sich am Sonntag bereits wieder auf den Weg zu ihrem Lkw machen, haben sie so gut wie nie eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit. Auch hier ist die Rechtslage klar: Die Spedition muss die Arbeit ihrer Fahrer so organisieren, dass diese sich an die Sozialvorschriften halten können.
Erhält der Unternehmer Kenntnis davon, dass seine Fahrer sich nicht daran halten, muss er sie entsprechend unterweisen. In letzter Konsequenz ist das auch ein Verstoß gegen das deutsche Mindestlohngesetz. Zur Berechnung der durchschnittlichen 8,50 Euro pro Stunde in einem pauschalen Monatslohn zählt auch die Zeit der Anreise.