In Berlin zeichnet sich ein Milliarden-Deal zwischen der Bundesregierung und dem Konsortium hinter dem Mautbetreiber Toll Collect ab. Das Schiedsverfahren wäre vom Tisch.
Wie geht es weiter in Sachen Lkw-Maut und Toll Collect? Eine Einigung zwischen Bund und dem Betreiberkonsortium wird für Anfang 2013 vorausgesagt. Hintergrund ist das seit Jahren schwebende Schiedsverfahren, mit dem der Bund Schadenersatzforderungen gegenüber den Toll-Collect-Gesellschaftern Daimler und Telekom von insgesamt mehr als sieben Milliarden Euro erhebt. Daneben spielen der zum 31. Dezember 2014 auslaufende Betreibervertrag von Toll Collect und die in dem Zusammenhang normalerweise notwendig werdende Neu-Ausschreibung über die Fortsetzung eine Rolle.
Die Toll-Collect-Konsorten Daimler und Telekom
Wie es heißt, soll für beide Seiten eine Win-Win-Situation entstehen. Der Bund sei bereit, auf mehrere Milliarden seiner Ansprüche zu verzichten. Zugleich könnte er von einer Option zur Übernahme des Mautbetreibers Toll Collect Gebrauch machen. Die damit verbundenen Vorteile: keine Neu-Ausschreibung, kein Systemwechsel, womöglich hin zu einem ausländischen Anbieter. Andererseits, so wird in Berlin unterstrichen, hätten besonders die Toll-Collect-Konsorten Daimler und Telekom das für sie leidige Schiedsverfahren vom Tisch und seien damit frei, sich an etwaigen neuen Ausschreibungen, etwa für eine Pkw-Maut, zu beteiligen.
Erschwert werden die Verhandlungen durch ein aktuelles Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, wonach es "an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die Mauterhebung fehlt". Die Bundesregierung habe seinerzeit "in der maßgeblichen Mauthöheverordnung die Höhe der für jeden gefahrenen Kilometer zu zahlenden Maut nicht sachgerecht geregelt". Zwar gilt seit 19. Juli 2011 eine neue Verordnung; gleichwohl ist offen, inwieweit das Urteil Auswirkungen auf in der Vergangenheit gezahlte Mautbeträge hat – und deshalb womöglich relevant ist für die jetzigen Verhandlungen mit Toll Collect.
Unterschiedliche Vorstellungen bei den Unterhändlern
Offen sind nach Angaben eingeweihter Kreise auch die einzelnen Verrechnungsgrößen: Unterschiedliche Vorstellungen bestehen bei den Unterhändlern beider Parteien wohl über den Unternehmenswert von Toll Collect als Teil der Kompensation und dabei vor allem über die Frage, ob neben den technischen Gerätschaften, etwa den Mautbrücken, auch die entsprechenden Lizenzen enthalten sind. Zugleich wird die technische Begrenztheit des Systems diskutiert, die sich schon bei Einführung der Bundesstraßenmaut gezeigt hat. Da beabsichtigt ist, das restliche 2.000 Kilometer lange Bundesstraßennetz ins System einzubeziehen und auch eine Absenkung auf 7,5-Tonnen- beziehungsweise 3,5-Tonnen-Lkw diskutiert wird, müssen leistungsfähigere On-Board-Units entwickelt und in die Lkw eingebaut werden. Die entsprechenden Planungen und Erprobungen bei der Industrie laufen bereits, heißt es.
Abgeordnete aller Fraktionen haben derweil den Bund vor Verlusten durch die Übernahme von Toll Collect gewarnt und die Einbeziehung des Bundestages gefordert. So verwies Dr. Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses, "auf die Drohkulisse von Toll Collect". Abgeordnete würden unter Druck gesetzt, sollte man nicht weiter auf Toll Collect bauen. Deshalb dürfe nicht alles still und heimlich verhandelt werden. Auch Abgeordnete der Koalition warnten den Bund vor Verlusten bei einer Übernahme des Mautbetreibers. "Die Maut sollte zur Finanzierung der Fernstraßen da sein und kein Minusgeschäft werden", erklärte Unions-Fraktionsvize Dr. Michael Meister. Haushalts- und Verkehrsausschuss sollten vor Abschluss einer Einigung auf jeden Fall informiert werden, forderte auch FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic.
Der Aufbau und Wartung der Mautbrücken
Eine parteiübergreifende Kulisse, die im Haus von Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer (CSU) Eindruck hinterlassen hat. Am Donnerstag voriger Woche informierte Unterabteilungsleiter Dr. Gerhard Schulz die für den Verkehrsetat zuständigen Berichterstatter des Haushaltsausschusses über den Stand der Dinge. Wie Teilnehmer gegenüber trans aktuell berichten, hat der Beamte dabei deutlich gemacht, dass "an der Aktualität des Vorganges absolut nichts dran ist". Nach wie vor werde in seinem Ministerium die Neuausschreibung des Betreibervertrages vorbereitet. Dafür habe sein Haus mit einer Sachverständigenorganisation, der Kanzlei Beiten Burkhardt und der Unternehmensberatung KPMG, unterstützenden Sachverstand eingekauft.
Offenbar erfolgte diese Unterrichtung, die das Ministerium als "Transparenzbeweis" gewertet wissen möchte, auch angesichts der inzwischen veröffentlichten Teile des Mautvertrags durch Wikileaks. Danach soll Toll Collect in seinem Angebot vom
31. Mai 2002 eine Nettorendite von 1,117 Milliarden Euro gefordert haben. Als Gesamtvergütung seien 5,7 Milliarden Euro, unter anderem für die Pflege der Software, für Aufbau und Wartung der Mautbrücken sowie für Personal und Steuern, verlangt worden, was eine Rendite von gut 19 Prozent ergibt – manch ein Unternehmen würde davon träumen. Klar, dass die Transportbranche jetzt sensibilisiert ist und etwaige Mautanpassungen nach oben politisch kaum mehr durchsetzbar sein werden.
Das Schiedsverfahren
Das zwischen dem Bund und Toll Collect seit 2004 laufende Schiedsverfahren enthält zwei Teile. Im ersten Verfahren macht der Bund als Kläger gegen die Toll
Collect GbR und deren Konsorten Daimler Financial Services und Deutsche Telekom rund 3,3 Milliarden Euro Schadenersatz wegen der um 16 Monate verspäteten Mauteinführung sowie rund 1,65 Milliarden Euro wegen anderer Verletzungen des Mautvertrags geltend – zuzüglich Zinsen. Laut einem Bericht des Verkehrsministeriums lassen Gutachteraussagen den Schluss zu, dass es bei Toll Collect kein funktionierendes Risikomanagement gegeben habe, was als "grobes professionelles Fehlverhalten" zu werten sei. Im zweiten Verfahren klagt die Toll Collect GmbH als Betreiberin des Systems gegen den Bund auf Zahlung angeblich ausstehender Betreibervergütungen. Zusätzlich werden etwa eine Milliarde Euro für Leistungen in der Aufbauphase des Mautsystems geltend gemacht, die nicht Gegenstand des Betreibervertrags gewesen seien. Beobachter sehen in dem jetzt verhandelten Vertrag zwischen Bund und Toll Collect eine Art Vergleich angesichts horrender Anwaltskosten von rund 300 Millionen Euro, die beide Seiten inzwischen bezahlt haben sollen.