Arbeitsbedingungen im Lkw Mensch im Mittelpunkt

Lkw-Fahrer und deren Bedürfnisse Foto: Daimler 8 Bilder

Lkw-Fahrer und deren Bedürfnisse sind das Fach­gebiet von Siegfried Rothe. Für Daimler forscht er nach optimalen Arbeitsbedingungen im Laster.

Nutzfahrzeughersteller bauen Lkw – sie schrauben, nieten und formen Metall, stecken Elektronik und diverse andere Bauteile hinein und drücken am Ende des Montagebands einem Fahrer den Zündschlüssel in die Hand. Auftrag erfüllt, man sieht sich. Bestenfalls zum Service, im schlechtesten Fall zu einer außerplanmäßigen Reparatur. Der Mensch, der mit dem neuen Laster davonfährt, fällt nicht mehr in die Zuständigkeit des Herstellers, oder?

Mensch-Maschine-Schnittstelle im Mittelpunkt

Doch, tut er. Zumindest, wenn es nach Siegfried Rothe geht. Der 58-jährige Schwabe ist Manager Condition Enhancement und arbeitet im Customer Research Center, der Kundenforschung von Daimler. "Wir beschäftigen uns mit den sogenannten Human Factors, der Mensch-Maschine-Schnittstelle, und mit den Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für den Fahrer. Zumindest mit denen, die wir als Hersteller beeinflussen können", erklärt Rothe. In dieser Abteilung wird übergreifend für 
den Pkw-, den Bus- und den Lkw-Bereich gearbeitet. Er sieht das ganz pragmatisch: "Eigentlich ist das auch völlig egal, denn Mensch bleibt Mensch."

Nach seinen Anfängen im Forschungsfahrzeuge-Bau wirkte der Mechatronik-Ingenieur, der bereits seit 30 Jahren für Daimler tätig ist, bei der Entwicklung von bekannten patentierten Fahrerunterstützungssystemen mit. Wie zum Beispiel der des Spurhalteassistenten – auch Einschlafwarner genannt. „Über die intensive Beschäftigung mit den fahrer- und situationsabhängigen Warn- und Informationssystemen fragte ich mich, ob man das nicht einmal in seiner Gesamtheit betrachten müsste“, erinnert er sich an den Beginn seiner Forschungen.

Lkw ist auch Wohn- und Schlafzimmer

Wie sieht die Situation des Fahrers eigentlich aus und was kann man verbessern? Speziell um den Lkw ging es ihm, da dieser im Vergleich das einzige Fahrzeug ist, das nicht nur ein Fortbewegungs- und Transportmittel, sondern Arbeitsplatz, Wohnzimmer und Schlafzimmer in einem ist.

2006 leiht sich Rothe deshalb im Werk einen Actros der damaligen Baureihe MP2 aus und begibt sich mit 50 Euro, etwas persönlicher Verpflegung und einer Tankkarte in der Hosentasche auf eine einwöchige Fahrt durch Deutschland. Von Stuttgart nach Würzburg, Kassel, Braunschweig, Magdeburg, Berlin, Hamburg, Bremen, Münster, Düsseldorf, Köln, Koblenz, Frankfurt, Heilbronn, Nürnberg, München, Ulm und wieder zurück nach Stuttgart. Sein Resümee: "Das echte Fahrerleben in ganzer Bandbreite. Vom Stau über die abendliche Parkplatzsuche, schlechte Ernährung, eine ziemlich große Bandbreite der hygienischen Bedingungen zwischen Rastplätzen und Autohöfen, die soziale Isolierung und den hundsmiserablen Schlaf, den ich hatte. Da kommt man doch sehr schnell darauf, dass es unglaublich viele Ansatzpunkte gäbe, dieses Leben zu verbessern." Doch nicht nur das Umfeld und die technischen Gegebenheiten beschäftigen den Forscher. Ganz bewusst beobachtet er auch sich selbst beim Fahren und erkennt: "Ein schrecklich eintöniges Hintereinanderherfahren in Kolonnen ist das oft, mit minimalen visuellen und akustischen Reizen für den Menschen am Lenkrad. Wie dankbar war ich für jeden Fitzel Beschriftung auf der Rückwand vom Auflieger des vor mir Fahrenden." Monotonie pur also und wie gefährlich die werden kann, ist heute hinlänglich bekannt.

Selbsttest bringt wichtige Erfahrungen

Mit diesem Selbsttest um viele Eindrücke reicher, gelingt es Rothe seine Kollegen und Vorgesetzten in der Entwicklungsabteilung vom Forschungsbedarf zu überzeugen. Innovationen, die das Fahren, das Regenerieren und das Schlafen im Lkw qualitativ verbessern, sind sein Ziel. "Dieser ganzheitliche Ansatz war neu, bisher hatte eben jeder Entwickler eher nur sein Teilstück vom Fahrzeug betrachtet. Ich war erst mal der Spinner. Aber das war mir egal", erinnert er sich lachend.

Rothe beschäftigt sich seitdem ausführlich mit dem Schlafverhalten, der Schlafqualität und Schlafarchitektur von Lkw-Fahrern. Er führt Studien zu vitalisierenden Maßnahmen hinterm Lenkrad durch, untersucht Möglichkeiten zur Regenerierung und entwickelt spezielle Fitnesskonzepte für Fahrer. Zu allen Thematiken arbeitet er mit Wissenschaftlern aus Medizin, Sport, Psychologie, Humanbiologie und vielen weiteren Experten zusammen, um die Studien und Forschungen so fundiert wie möglich zu gestalten. Seine Ergebnisse bleiben dabei nicht nur graue Theorie: Rund um das Thema Schlaf flossen sie zum Beispiel in Form von vergrößerten Betten, verbessertem Schallschutz und Frischluftmanagement ganz aktuell in den neuen Actros ein.

Zusammen mit seinem Projektteam, bestehend aus drei Mechatronikern und vielen Diplomandinnen der Psychologie, Betriebs- und Sportwissenschaft, stellte er in der Forschungsabteilung in Böblingen den sogenannten TopFit Truck auf die Räder – einen Actros, in dem als Technologieträger und Demonstrationsfahrzeug alle technischen Features erlebbar realisiert sind, die aus Rothes Forschungen heraus entstanden.

Siegfried Rothe im Interview

? Herr Rothe, welche Rolle spielt das Selbstwertgefühl für die Verbesserung der Fahrersituation?

Rothe: Eine unglaubliche. Gesundheit setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, nämlich einer biologischen und einer psychologischen. Natürlich kann jeder darauf achten, keinen Bluthochdruck und kein Übergewicht zu haben, sich mehr zu bewegen, weniger und ­gesünder zu essen, nicht zu rauchen. Doch die psychologische Komponente ist sicher ebenso wichtig. Denn wenn die nicht stimmt, kann ich fit und gesund sein, wie ich will, ich werde trotzdem krank. Die Hauptursache für viele Burnouts ist meiner Meinung nach mangelnde Wertschätzung.

? Sollten Fahrer selbstbewusster sein?

Rothe: Ja! Kürzlich machte ich für meinen Führerschein die Berufskraftfahrer-Qualifikation bei uns in Wörth mit. Fünf Tage am Stück. Um wie viele Themen es da geht, die der Fahrer beherrschen muss für seinen Job, ist unglaublich! Genau so lernt die ja schon der Azubi für den Beruf des Berufskraftfahrers. Es ist also ein sehr anspruchsvoller und vielseitiger Beruf, auf den man stolz sein kann. Das dürfen die Kollegen durchaus mehr nach außen tragen und das sollte so auch in der Bevölkerung ankommen.

? Wo kommen dann die Negativ­beispiele in den Medien her?

Rothe: Wir als Hersteller können die Fahrzeuge weiter entwickeln, aber um die gesamten Rahmenbedingungen zu verbessern, sind alle gefragt: Spediteure, Behörden, Verbände, Politik und die Fahrer selbst natürlich auch. Von denen würde ich mir einen neuen Verhaltenskodex untereinander wünschen. Dass man auch mal zu einem Kollegen sagt: "Hey, so nicht, benimm dich mal. Das färbt nämlich auf uns alle ab."

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