Kontrollen und Tachomanipulation Berechtigte Zweifel

BAG, Kontrolle Foto: Axel Flaake

Jeder vierte Fahrtenschreiber sei manipuliert, titelten einige Medien nach der Veröffentlichung des Unfallverhütungsberichtes des Bundesverkehrsministeriums. Das führte zu verheerenden Fehlinterpretationen, wie nun Nachfragen beim Bundesamt für Güterverkehr ergeben. 

Ende September veröffentlichte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) seinen "Bericht über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr 2014 und 2015". Er ist als PDF im Anhang zu finden. Er zeigt auch detailliert auf, wie sich die Lkw-Unfälle über die Jahre entwickelt haben. Auf Seite 40 ist zu erkennen, dass sich die Zahl der bei einem Lkw-Unfall beteiligten getöteten Personen nach einem über die Jahre kontinuierlichen Abwärtstrend 2015 wieder leicht nach oben bewegt. Hier will nun die Konferenz der Verkehrsminister der Bundesländer am kommenden Wochenende in Stuttgart neue Maßnahmen diskutieren. 

Zahlen zur Tachomanipulation

In diesem akkuraten Bericht sind auch einige wenige Zahlen zur Kontrollstatistik des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG). Auf Seite 57 heißt es dort wortwörtlich: "Im Rahmen der Kontrolltätigkeit des Straßenkontrolldienstes des BAG erfolgten auch zielgerichtete Kontrollen zum Auffinden von Manipulationen an den Kontrollgerätanlagen durch speziell geschultes Personal im Kontrolldienst des BAG. Im Jahr 2015 konnten auf diese Weise bei rund 22.000 besonders kontrollierten Fahrzeugen insgesamt 5.533 Fahrzeuge mit Manipulationen festgestellt werden. Die Beanstandungsquote liegt bei den gezielt auf Manipulationen überprüften Fahrzeugen bei rund 25 Prozent im Jahr 2015." 

Jeder vierte Fahrtenschreiber manipuliert

Doch nur eine radikale Schlagzeile ist eine gute Schlagzeile. Bei Sonderkontrollen suchen Spezialisten gezielt nach Fahrzeugen, bei denen sie einen Verstoß vermuten. Die Trefferquote ist damit sehr hoch. Das scheint aber einige Redakteure der bunten Medienlandschaft nicht zu interessieren. Eine Suche bei Google zeigt: "Bild", "N-TV", "Tagesschau", "Zeit-Online" und einige weitere Medien titeln mit einer verheerenden Wirkung für die Lkw-kritische Öffentlichkeit: "Jeder vierte Lkw-Fahrtenschreiber ist manipuliert." Immerhin, die "Lippische Landeszeitung" , LZ.de, schwächt die Überschrift etwas ab und spricht nur davon, "dass jeder vierte Lkw-Fahrer bei den Lenkzeiten mogelt". Heise online dagegen bleibt sachlich und zitiert den Bericht korrekt. 

Was ist Manipulation?

Das alles, so ergibt meine neue Nachfrage beim BAG, sind Resultate eines verheerenden Missverständnisses. Als Manipulation werden laut der Definition des BAG bezeichnet: die an elektronischen Fahrtaufzeichnungsgeräten erfolgte Verfälschung, Unterdrückung oder Vernichtung von Aufzeichnungen auf dem Schaublatt, des Speicherinhaltes des Kontrollgerätes oder der Fahrerkarte sowie der ausdruckbaren Dokumente sowie sonstige vorsätzliche (wissentlich und willentlichen Handlungen) oder mitgeführte Vorrichtungen, die darauf abzielen, die Übermittlung elektronischer Daten jeweils am und zwischen dem Fahrzeugantrieb und dem Bewegungssensor sowie dem Kontrollgerät selbst so zu beeinflussen, damit die maßgeblichen Aufzeichnungsvorgänge und Aufzeichnungen der Lenk- und Ruhezeiten und Geschwindigkeiten so verändert werden, dass sie nicht mehr mit den tatsächlichen Sachverhalten übereinstimmen, verstanden. Aber: Auch das vorsätzliche Nicht-Benutzen einer vorgeschriebenen Fahrerkarte oder das Benutzen einer anderen oder zusätzlichen Fahrerkarte sind ebenfalls als Manipulation zu werten.

Wer hat denn nun wie manipuliert?

Leider bleibt das BAG die Antwort schuldig, wie hoch die Zahl der Manipulationen sind, die über einen wirklich technischen Eingriff erfolgen, also auch Einfluss auf die Elektronik der Lkw und damit, wie es die Presse betont hat, Verkehrssicherheit haben. Schon in meinem Bericht Jägerlatein habe ich daran gezweifelt, dass es diese Zahlen gibt. Leider gibt das BAG auch diesmal die wirkliche Zahl nicht preis, wie viele der 5.553 mit Manipulationen erwischten Lkw rein technisch manipuliert wurden, sondern antwortet ausweichend: "Vorrangig sollen die zielgerichteten Kontrollen zur Aufdeckung von Manipulationen an technischen Kontrollgeräten zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr beitragen. Die Kontrolle von Fahrzeugen erfolgt unabhängig von Nationalitäten." 

Gerade in der deutschen Transportbranche herrscht bei Unternehmern wie Fahrern eine stillschweigende Übereinkunft, dass vor allem die Lkw aus den mittel- und osteuropäischen Ländern manipuliert sind. Eine konkrete Antwort hätte hier bereits im Vorfeld Klarheit bringen können. Doch so heißt es nun weiter: "Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Beanstandungsquote hinsichtlich der Manipulation der Kontrollgeräteanlage in 2015 bei den inländischen Fahrzeugführern höher lag im Vergleich zu den gebietsfremden Fahrzeugführern." Eine detaillierte Auswertung über fahrpersonalrechtliche Verstöße gibt es hier. Und in dieser BAG-Statistik liegen deutsche Fahrer vorn.

Reine Spekulation

Doch auch das BMVI bläst nun ins selbe Horn und behauptet, dass die Unfallgefahr durch manipulierte Tachos gestiegen sei. Das ist reine Spekulation. Es gibt in Deutschland nach Angaben von Polizeiexperten nur ganz wenige Fälle, bei denen nach einem Unfall ein manipulierter Tacho überhaupt entdeckt wurde. Aber es hält sich der Verdacht, dass, so das BMVI, elektronische Fahrtenschreiber von Lastwagen immer ausgeklügelter manipuliert werden. Es handele sich verstärkt um aufwendige technische Eingriffe an der Kontrollgeräteanlage. Zunehmend werde auch in die Fahrzeugelektronik eingegriffen und etwa das Antiblockiersystem (ABS) ausgeschaltet. Das ist richtig. Und so warnt das BMVI, dies könne "unvorhersehbare Folgen für die Verkehrssicherheit" nach sich ziehen.

Schwierige Beweislage

Allein: Es fehlen für diese Theorie die Beweise. Denn das Entdecken von Manipulationen an Kitas-Geber oder Elektronik nach einem Unfall geschieht eher zufällig. Meistens sind die Polizisten bei der Unfallaufnahme so stark unter Druck, dass oftmals einfache Hinweise übersehen werden. Und, im Nachhinein festgestellt, lassen sich diese Hinweise dann oftmals nicht mehr beweisen. Dazu kommt: Wenn in der Nacht vorher eine technische Manipulation verwendet wurde, zum Zeitpunkt des Unfalles jedoch alles ordnungsgemäß vorhanden ist, ist es schwer, diese Manipulation zu beweisen.
Dass der Fahrer dann als Folge übermüdet ist, steht auf einem anderen Blatt. Dieses kann jedoch ebenfalls kaum bewiesen werden. Der Fahrer kann auch "einfach so" übermüdet sein. In der EU-Verordnung 561/2006 steht lediglich, dass der Fahrer eine Ruhepause einlegen muss. Dass er dann auch schlafen muss, steht nirgendwo. Er kann auch die ganze Nacht bei Facebook unterwegs sein. Und so sagen mir Insider der Autobahnpolizei immer wieder, dass bei den allerwenigsten Lkw nach einem Unfall eine Überschreitung der Lenk- und Ruhezeiten festgestellt wird. Die allerhäufigsten Gründe sind zu geringer Abstand und Ablenkung. 

Dass Lkw manipuliert werden ist unumstritten. Das BAG kann nichts dafür, dass seine konkret ausgewiesenen Zahlen der Sonderkontrollen offenbar falsch interpretiert werden. Eine andere Rechnung sehe so aus: 5.500 von insgesamt rund 512.000 kontrollierten Lkw sind knapp ein Prozent. Die Überschriften hätten also lauten müssen: Ein Bruchteil aller Lkw auf deutschen Autobahnen ist manipuliert. Aber das interessiert niemanden. 

Die merkwürde Kontrolltaktik des BAG

Doch damit nicht genug: Bereits in der Ausgabe 11 der Zeitschrift FERNFAHRER einige Fahrer in unserem Forum die für sie unbefriedigenden Zahlen der offiziellen Kontrollstatistik gewundert: "Ist das wahr?", fragen sie dort. Denn wie kann es sein, dass etwa 240 Beamte des BAG an rund 220 Werktagen 511.000 Lkw kontrollieren können? Das hieße, dass jeden Tag ein BAG-Beamter etwa zehn Lkw kontrollieren müsste, ohne Urlaub und andere Ausfälle. Und so habe ich das BAG gefragt, ob es weitere Kontrollmaßnahmen gäbe. Die Antwort vom 9. September lautete: "Dazu wird aus kontrolltaktischen Gründen keine Stellung genommen." 

Automatische Verwiegungen zählen mit

Nun bringt ausgerechnet der Unfallverhütungsbericht des BMVI die Erkenntnis. Denn dort heißt es auf Seite 57: "Im Berichtsjahr 2015 wurden durch den Straßenkontrolldienst des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) insgesamt rd. 512.000 Güterkraftfahrzeuge und Kraftomnibusse einschließlich der automatischen Verwiegungen kontrolliert." Auf meine Nachfrage antwortet das BAG jetzt also: "Im Jahr 2015 wurden rund 85.000 Fahrzeuge durch das BAG automatisch verwogen." Heißt: Neben den rund 5.000 Bussen haben BAG-Beamte in der Tat also "nur" 421.000 Lkw wirklich "Mann gegen Mann" kontrolliert. Das ist schon ein Unterschied. Auf meine weitere Frage, wie sich das wiederum auf die gesamte Statistik auswirkt, antworte die Kölner Zentrale: "Werden bei Verwiegungen Verstöße festgestellt, sind diese unter der Rubrik "Straßenverkehrsrecht" statistisch erfasst." Das wären demzufolge insgesamt 39.442 Verstöße, davon 10.385 (7,68%) durch deutsche Lkw und 29.057 (26,85%) durch ausländische Lkw.

Betrübliches Fazit

So bleibt leider ein betrübliches Fazit: Solange das BAG und das BMVI nicht ganz klar an Zahlen belegen, welche Lkw von welchen Fahrern aus welchen Ländern so manipuliert sind, dass die Technik beeinflusst wird, sind alle Aussagen über eine erhöhte Gefahr für die Verkehrssicherheit durch manipulierte Lkw grober Unfug. Und wer in seiner Statistik rund 85.000 Lkw, die nicht von Beamten wirklich auf der Straße kontrolliert werden, unter den vielen Zahlen versteckt, muss sich auch weiterhin gefallen lassen, dass vor allem deutsche Lkw-Fahrer die Statistik an sich bezweifeln. 

Download Unfallverhütungsbericht (PDF, 1,40 MByte) Kostenlos
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