Knorr-Bremse-Chef Ansgar Fries im Gespräch Die Sicherheit liegt in unserer Hand

Knorr-Bremse Foto: Thomas Küppers 6 Bilder

Ansgar Fries, Mitglied der Geschäftsführung Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge, über verkürzte Bremswege, autonomes Fahren, IT-Sicherheit, das Steuerungssystem iTAP und das geplante Entwicklungszentrum des Automobilzulieferers.

Herr Fries, Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung sind derzeit schwierig, können Sie dennoch einen Ausblick für den weiteren Jahresverlauf geben?

Fries: Nachdem im Herbst vergangenen Jahres MAN Kurzarbeit meldete und der russische Markt stark zurückging, hatten wir erst mit einer insgesamt niedrigeren Truck-Produktion in Europa gerechnet und entsprechend vorsichtig geplant: Inzwischen registrieren wir aber überraschenderweise einen relativ stabilen Auftragseingang. Fürs erste Halbjahr sind wir zuversichtlich und gehen davon aus, dass die Produktionszahlen für das Gesamtjahr etwa auf demselben Niveau liegen wie letztes Jahr.

Wie erklären Sie sich die immer noch positiven Aussichten angesichts der Krisen in den bis vor kurzem noch als Wachstumsmärkte gekennzeichneten Regionen?

Für Europa können wir uns dies nur mit dem allmählich einsetzenden Aufwärtstrend in den bis vor kurzem am Boden liegenden südeuropäischen Regionen erklären. Schaut man auf die Regionen global, so boomt momentan der nordamerikanische Markt, hingegen bewegen sich die Lkw- und Anhänger-Stückzahlen des südamerikanischen Marktes auf einem niedrigen Niveau, das nahezu auf dem der Jahre 2008/9 liegt. China mit fast einer Million Lkw blieb im letzten Jahr stabil, der indische Markt ist vollkommen unten, Russland ist dramatisch zurückgegangen.

Wie gestaltet sich das Engagement von Knorr-Bremse auf dem chinesischen Markt?

Wir haben in Shanghai unser Headquarter und eine Vertriebsgesellschaft, dazu kommt unser eigenes Werk in Dalian, ein Joint-Venture KB Caff in Ch’ŏngjin mit dem Schwerpunkt für konventionelle Ventile zur Brems- und Getriebesteuerung und inzwischen auch ein Joint Venture mit dem größten chinesischen LkW-Hersteller Dongfeng in Shiyan zur Produktion von Komponenten für komplette Bremssysteme für den lokalen Markt. Wir sind dort also gut aufgestellt. Um die lokalen Produktanforderungen zu erfüllen, bestehen zwei Möglichkeiten: das Downsizing eines europäischen Produkts oder die Entwicklung eines Produkts im und für den lokalen Markt. Momentan kombinieren wir beide Möglichkeiten. Interessant für uns ist die kommende Vorschrift für Gefahrguttransporte, die zu Scheibenbremsen an der Vorderachse verpflichtet. Als Marktführer für Scheibenbremsen werden wir dazu mit einem adäquaten Produkt das Wachstum mitgestalten.

Was gehört derzeit zu den Kern-Produkten von Knorr-Bremse?

Das ist die gesamte elektronische Bremssteuerung inklusive Fahrerassistenzsysteme, sowie in Europa am Rad das komplette System aus Scheibenbremse, Belägen, Scheibe und Bremszylinder und in Nordamerika analog mit der Trommelbremse. Eine zunehmend wichtigere Rolle spielt dabei immer auch eine bedarfsgerechte Steuerung der einzelnen Subsysteme innerhalb des  Fahrzeug-Gesamtkomplexes, wie z.B. die intelligente Ansteuerung des Kompressors aus dem elektronisch geregelten Lufttrocknermodul um die Einschaltdauer des Kompressors und damit den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren.

Wie beeinflusst der Umstand Ihr Geschäft, dass die großen Trailer-Hersteller inzwischen eigene Achsen bauen?

Hier ist momentan sehr viel Bewegung in der Branche. Ziel ist, unsere Produkte, also hauptsächlich Scheibenbremsen und Bremszylinder, so auszulegen, dass wir an alle Achs- oder Anhängerhersteller verkaufen können, seien es SAF, Daimler oder andere Hersteller. Wir stellen uns insgesamt auf diese Marktveränderungen ein und sind beispielsweise bei der hauseigenen Achse von Schmitz Cargobull dabei.

Die Bremswege nahezu aller Lkw liegen inzwischen deutlich unter den gesetzlichen Forderungen. Hat sich dieses Thema damit für Sie erledigt?

Die Entwicklung im Bremsystem  ging in den letzten Jahren insbesondere in Richtung Standardisierung, Modularisierung, Integration von neuen Funktionen wie bei Fahrerassistenzsystemen und Gewichtseinsparung. Nun hat Knorr-Bremse in einem Vorentwicklungsprojekt bewiesen, dass das Potential zur Bremswegverkürzung noch nicht ausgeschöpft ist. Bei der Vollbremsung eines vollbeladenen Lkw von 85 km/h auf Null gelang diese deutlich schneller als bislang. Der damit erreichte Bremsweg ist um zehn Prozent kürzer als der eines Lkw, der mit einem heute üblichen Seriensystem gebremst wird. Der Bremsweg verkürzt sich um die Länge eines Mittelklasse-Pkw. Und das ausschließlich durch die Optimierung der Reaktionszeit des Gesamtsystems aus Zugfahrzeug und Anhänger.

Wie wurde der kürzere Bremsweg technisch erreicht?

Ziel des Vorentwicklungsprojekts war es nicht, eine revolutionäre neue Bremsentechnologie zu entwickeln. Ziel war es, die bestehenden Komponenten in entscheidenden Details zu verbessern und mit schon vorgestellter Technologie so zu kombinieren, dass das volle Potenzial der bestehenden Systemlösungen weiter ausgeschöpft wird.

Inwiefern bedeutet das Funktionsmuster von Knorr-Bremse einen weiteren Schritt in Richtung automatisiertes Fahren?

Das automatisierte Fahren wird durch ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Assistenzsystemen ermöglicht. Dazu müssen Daten aus unterschiedlichen Fahrzeugsensoren ausgewertet und dann eine Entscheidung im Bremssystem zur Abbremsung getroffen werden. Die sichere Evaluierung der Verkehrssituation aus den eingelesenen Daten benötigt Rechenzeit. Wenn das Bremssystem insgesamt schneller anspricht, lässt sich die gewonnene Zeit auch dafür in Anspruch nehmen eine etwas längere Auswertezeit zu erlauben um den Reifegrad der Auswertung zu erhöhen, um dann umso zuverlässiger entsprechende Maßnahmen einleiten zu können. Wie man den Gewinn der Bremswegverkürzung innerhalb der Fahrerassistenzsysteme austariert, müssen wir letztlich mit unseren Kunden diskutieren.

Wie positioniert sich Knorr-Bremse auf dem Gebiet des teilautonomen oder autonomen Fahrens?

Das wird nicht augenblicklich, sondern - wie so oft- in Stufen kommen. Ich stelle mir einen anfänglichen Einsatz auf abgesperrtem Gelände vor, zum Rangieren bei geringer Geschwindigkeit. Auch auf gekennzeichneten Autobahnabschnitten wird es zu einem Einsatz von teilautonomem Fahren kommen. Die Einführung wird einen enormen Entwicklungsaufwand erfordern, sowie eine enge Kooperation von Fahrzeugherstellern und Lieferanten. Generell sind beim autonomen Fahren sowohl das Brems- als auch das Fahrerassistenzsystem von entscheidender Bedeutung. Hier ist Knorr-Bremse gut aufgestellt. Auf der IAA konnten wir zeigen, wie zur Funktion des Spurhaltens ein aktiver Lenkeingriff aus der Bremse genutzt wurde. 

Wie schätzen Sie die Entwicklung des gesetzlichen Rahmens ein?

Hier wird sich in den nächsten Jahren sehr viel tun. Ich bin dabei der Überzeugung, dass immer noch der Fahrer letztendlich die Verantwortung haben wird.

Können sie etwas zur Nachfrage nach Ihrem Steuerungssystem iTAP sagen?

Das Thema iTAP hat seit der IAA richtig Fahrt aufgenommen. Der Innovations-Kipper von Schmitz Cargobull, den wir zu Beginn damit ausrüsteten, wird jetzt an erste Speditionen ausgeliefert. Rund 500 iTAP Systeme sind inzwischen auf dem Markt. Sprechen wir einzelne Fahrzeughersteller auf das System an, haben nahezu alle sofort eigene Ideen, wie sich damit spezifische Aufgaben lösen lassen. Es sieht inzwischen so aus, als hätten wir mit Einführung von iTAP eine Tür aufgestoßen, worauf unsere Kunden nun nach einer Vielzahl weiterer möglicher Funktionen nachfragen.

Wie lange läuft die Kunden-Versuchsphase noch, bis Knorr-Bremse mit iTAP in eine Serienproduktion einsteigen wird?

Mitte vergangenen Jahres haben wir begonnen, erste Kunden mit dem System auszurüsten. Nach einer genauen Auswertung sollte dieser Feldtest bis spätestens zum dritten Quartal 2015 abgeschlossen sein.

Wie wird es mit iTAP weiter gehen, besonders auch im Hinblick auf die System-Sicherheit und Abwehr von Cyberattacken?

Grundsätzlich wird die kabellose Kommunikation im Zugfahrzeug und im Anhänger sich schnell weiterentwickeln. Was die App-Entwicklung und die Abstimmung auf die aktuellen Betriebssysteme von Smartphones und Tablets angeht, nutzen wir dafür unser Entwicklungszentrum im indischen Pune, in dem rund 220 Ingenieure und Software-Fachkräfte beschäftigt sind und das mit einschlägig spezialisierten Unternehmen zusammen arbeitet. Bezogen auf Fragen der Sicherheit gilt ganz klar, dass die Sicherheits-Architektur nicht im Smartphone oder Tablet, sondern im EBS verankert ist. Die gesamte Systemsicherheit liegt somit zu hundert Prozent in unserer Hand, soll heißen im Trailer-EBS, mit dem gesteuert wird.

Auf der letzten IAA präsentierte Haldex seine neue, gewichtsoptimierte Bremse namens Modul T. Was halten Sie davon?

Wir haben ja gleichzeitig unsere ST7 entwickelt, die leichteste Zweistempel-Bremse im Anhängerbereich. Gerade nach dem erfolgreichen Serienstart der ST7 mit Schmitz Cargobull, ist das Interesse auch der anderen Hersteller für unser Produkt sehr groß. Dieser Erfolg bestätigt uns, dass wir hier bei der Produktentwicklung die Anforderungen des heutigen Marktes erfüllen. Wir wissen wovon wir sprechen, denn die Robustheit eines solchen Produkts bestätigt sich erst nach mehreren Jahren im harten Feldeinsatz.

Welche Rolle spielt das Thema Gewicht bei Knorr-Bremse grundsätzlich?

Das Thema Gewicht spielt selbstverständlich immer eine große Rolle. Wir erproben verschiedenste Materialien, auch Kunststoffe und versuchen, diese vermehrt in unterschiedlichen Produkten einzusetzen.

Wie denken Sie über das von einigen Herstellern propagierte Konzept einer Spreizkeilbremse im Anhänger?

Außer Tests und Vorentwicklungsprojekten haben wir von diesen Herstellern bisher noch nichts gesehen. Daher können wir uns auch nur schwer vorstellen, wie sich diese Lösung in einem Serienprodukt niederschlagen könnte.

"Steuern durch Bremseingriff" ist eine weitere Technologie, die Knorr-Bremse zusammen mit Kässbohrer/Tirsan auf der letzten IAA präsentierte. Wie war die Resonanz darauf?

Es handelt sich dabei um ein Vorentwicklungs-Projekt, das in Anbetracht des herrschenden Kostendrucks eine sehr elegante Lösung darstellt. Das Interesse daran war entsprechend groß. Mit Kässbohrer/Tirsan beabsichtigen wir derzeit, bis Anfang kommenden Jahres mehr Erfahrungen mit der Technologie zu sammeln und dann bei positivem Ergebnis in ein Serienprojekt einzusteigen.

Wie kommt Knorr-Bremse mit seinem in München geplanten Entwicklungszentrum voran?

Mit einem Investment von insgesamt 90 Millionen Euro beabsichtigen wir dort auf einer Gebäudefläche von rund 17.000 Quadratmetern ab 2016 rund 350 Ingenieure, Techniker und Monteure zu konzentrieren. Abgesehen von unserem Schienen-Geschäftsbereich werden wir uns dort im Nutzfahrzeug-Bereich unter anderem damit beschäftigen, wie sich das Zusammenspiel von Scheibenbremsen, Belägen und Aktuatoren weiter optimieren lässt, um unter anderem spezifische Reibpaarung für unsere Kunden zu entwickeln. Eine wichtige Rolle spielt hier das Ziel, alle Bremssysteme des Fahrzeugs auch die von verschleißfreien Bremsen optimal zu integrieren. Wir werden anspruchsvolle Prüfstände nutzen. Beispielsweise wird ein dreidimensionaler Puls-Prüfstand zur Verfügung stehen, mit dem wir komplexe Schwingungsprofile des gesamten Rad-Endes samt drehender Scheibe testen können.

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