JansBlog Ein Riss geht durch Europa

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath
Meinung

Am 25. und 26. Oktober hält der BGL in Köln seine Jahreshauptversammlung ab. Das große Thema ist das EU-Mobilitätspaket mit all seinen Folgen für Unternehmer und Fahrer.

Für Professor Dirk Engelhardt, seit Januar 2017 als Nachfolger von Professor Karlheinz Schmidt der neue Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), ist dieser Oktober mit aufregenden Terminen gespickt: Letzte Woche Montag war er mit einer BGL-Delegation beim Europäischen Parlament in Brüssel, danach zu Gast beim ETM-Verlag in Stuttgart. Dort sprach er sich im Interview  massiv gegen das Sozialdumping aus. "Wir setzen uns mit aller Kraft dafür ein“, sagte mir Engelhardt zuvor, "dass die Belange des Transportgewerbes und seiner Beschäftigten, deren Leistungen für die europäischen Verbraucher wie für die europäische Wirtschaft Tag für Tag unverzichtbar sind, auf deutscher wie auf EU-Ebene besser berücksichtigt werden."

Wichtige Weichen für die Zukunft

Und schon am Mittwoch lädt er zur ersten Jahreshauptversammlung des BGL unter seiner Regie nach Köln ein. In einem früheren Interview mit der Trans Aktuell hatte er bereits erläutert, wie er den traditionsreichen Verband in Zukunft modernisieren möchte – ohne aber die Wurzeln der Vergangenheit zu kappen. In einem Interview mit dem FERNFAHRER, das am 2. November im Heft 12 erscheint, begründet er, warum er dem Lkw wieder das positive Image des "Brummi" verschaffen möchte, und was der BGL auch für die Fahrer tun kann.

"So sind etwa die Zustände an den Rampen nach wie vor nicht zufriedenstellend", betont Engelhardt dort. "Der BGL macht sich im Moment verstärkt Gedanken, wie er sich mit der Fahrerschaft verstärkt vernetzen kann, um deren Interessen an passender Stelle zu vertreten." Doch vor der Kür ruft die Pflicht. "Auch auf der Mitgliederversammlung erwarte ich den gewohnt konstruktiven Dialog mit dem BGL-Präsidium und unseren Landesverbänden", betont er. "Es sind wichtige Weichen für die Zukunft zu stellen, und ich bin sicher, dass wir zu dauerhaft tragfähigen Lösungen kommen werden."

Schwieriges politisches Umfeld

Doch der seit Jahren feststehende Termin Ende Oktober könnte diesmal kaum ungünstiger sein. Der traditionell geladene Bundesverkehrsminister, in diesem Fall also Alexander Dobrindt, wird nicht mehr kommen, er ist der neue CSU-Landesgruppenchef in Berlin. Er entgeht damit auch drohenden kritischen Fragen – die beim BGL allerdings bislang eher selten waren – nach dem Erfolg seiner Amtszeit aus. Stattdessen erscheint nun noch einmal die parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär auf der Bühne, die ihr der BGL bietet.

Ansonsten herrscht eine große Ungewissheit. Denn wie aus dem politischen Berlin zu hören ist, könnten sich die aktuellen Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen, die in der "Jamaika-Koalition" enden sollen, im schlimmsten Fall noch bis Ende des Jahres ziehen. Ob dann weiter die bisherige CSU-Verbundenheit des BGL bestehen bleibt, oder ob gar ein grüner Bayer demnächst das Sagen hat, ist noch völlig offen.

Diskussion mit dem scheidenden Verkehrsausschuss

Bei der für Donnerstag anberaumten Podiumsdiskussion von BGL-Präsident Adalbert Wandt mit den Mitgliedern des Verkehrsausschusses, den Prof. Engelhardt moderieren wird, geht es, so der Titel, um das "Mobilitätspaket der Europäischen Kommission und seine Bewertung aus Sicht der deutschen Verkehrspolitik und des deutschen Transportgewerbes". Auch hier dasselbe Problem: Der Verkehrsausschuss in seiner bisherigen Form ist Geschichte. Da es noch keine neue Regierung gibt, gibt es auch keinen Verkehrsausschuss, der etwas in die Wege leiten kann. Aber vielleicht lassen die anwesenden Politiker durchblicken, wer denn der neue starke Mann oder die starke Frau in der Invalidenstraße sein könnte.

Ende der Schonfrist?

Allenfalls rückblickend könnte etwa Udo Schiefner (SPD) erklären, ob er mit der Umsetzung einer Ergänzung im Fahrpersonalgesetz, die es seit dem 25. Mai den Fahrern von Lkw über 3,5 Tonnen faktisch verbietet, ihre regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen, zufrieden ist. Ich jedenfalls bin es nicht. Als einziger Journalist durfte ich im September an zwei Kontrollen des Bundesamtes für Güterverkehr, BAG, in Hessen und Nordrhein-Westfalen teilnehmen. Der Ablauf, etwa bei der Kontrolle auf der Raststätte Aachener Land, war für mich ernüchternd.

Laut aktueller Auskunft der Pressestelle des BAG "führte der Straßenkontrolldienst des BAG seit Mitte September 2017 im Hinblick auf die Überwachung der Einhaltung der Regelungen über die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit 22 Kontrollaktionen durch. Eine abschließende Bewertung bleibt abzuwarten". Für ein Transitland wie Deutschland ist das – nichts. Als ich vergangenen Sonntagnachmittag von der Buchmesse in Frankfurt zurück nach Köln fuhr, war jeder Lkw-Parkplatz rechts und links der A3 proppenvoll mit Lkw und, in den hinteren Ecken, Transporter aus Mittel- und Osteuropa, die vom Verbot erst gar nicht betroffen sind. Kein BAG weit und breit, aber auch keine Polizei.

Die Polizei leistet erstmal nur "Aufklärungsarbeit"

Dafür höre ich über meine Kontakte bei den Schwerlastkontrollgruppen der Autobahnpolizei der Bundesländer immer wieder, dass sie die vom BAG aktuell entwickelte Handlungsanweisung zur Kontrolle schlicht nicht umsetzen können – zum Teil auch nicht wollen. Auch dazu hat mir das BAG geantwortet: "Seitens der Länderverwaltungen (einschl. Polizei) gab es viele kritische Stellungnahmen auch zum Kontrollkonzept des BAG, die das BAG nicht abgehalten haben, die neue Regelung schon unverzüglich nach Inkrafttreten zu überwachen. Nach ersten praktischen Erfahrungen wurde das Kontrollkonzept modifiziert. Sowohl das ursprüngliche Konzept als auch das modifizierte wurden kommuniziert. Inwieweit das modifizierte Konzept allen Polizeibehörden bekannt ist, entzieht sich der Kenntnis des Bundesamtes. Rechtsverbindlich ist das Konzept in der Tat nicht, da das Bundesamt gegenüber Landesbehörden keine Weisungsbefugnis hat."

Wie wenig die Länder wirklich Interesse an wirksamen Kontrollen haben, geht nun aus einer aktuellen Antwort des Innenministeriums aus Nordrhein-Westfalen hervor: "Der bereits im Juni konstatierte hohe Aufklärungs- und Informationsbedarf besteht unverändert fort. Das betrifft insbesondere ausländische Spediteure. Die Polizei leistet insoweit weiterhin Aufklärungs- und Informationsarbeit. Das weitere polizeiliche Handeln wird zu einem späteren Zeitpunkt abgestimmt werden." Ein Trauerspiel.

Ein Riss geht durch Europa

So darf mit Spannung erwartet werden, welche Nachrichten der BGL aus Brüssel mit nach Köln bringen wird. Eins ist schon jetzt klar: Auch beim anstehenden EU-Mobilitätspaket geht ein Riss durch Europa, selbst in der IRU soll es nun, so ist derzeit aus der EU-Hauptstadt zu vernehmen, Meinungsverschiedenheiten zwischen den Blöcken aus Südost- und Nordwesteuropa geben. Zum einen geht es um eine neue Regelung, die es den Fahrern ermöglichen könnte, bis zu drei oder sogar vier Wochen auf Tour zu gehen, ohne gegen die dann neu formulierten Artikel 8 Absatz 6 und 8 der VO (EG) 561/2006 zu verstoßen. Zum anderen um die neuen Regelungen zur Kabotage und zur Entsendung. Ob nun eine Jamaika-Koalition mit einer in Brüssel bereits geschwächten Angela Merkel die deutschen Positionen noch behaupten wird, ist für mich hierbei der entscheidende Unsicherheitsfaktor.

Die Büchse der Pandora des DSLV

Ausgerechnet jetzt öffnet der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) in einer Pressemeldung eine echte Büchse der Pandora. Fahrer im rein internationalen Transport sollen, so die Idee, von der jeweiligen Mindestlohngesetzgebung der durchquerten Länder ausgenommen werden. Ob das nur unbedacht oder ziemlich ausgefuchst ist, werde ich möglicherweise noch diesen Montag mit DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster in Berlin besprechen.

Denn rein formal sind auch die grenzüberschreitenden Touren im Kombinierten Verkehr, deren Vor- und Nachlauf keine Kabotage ist, internationale Transporte. Das führt etwa dazu, dass im europäischen Distributionszentrum eines internationalen Möbelkonzerns in Dortmund ein großer Teil der Containertransporte aus dem Dortmunder Hafen mit Frachtführern aus Litauen abgewickelt wird. Zu unschlagbar günstigen Preisen. Denn auch hier irrt der DSLV: Das Lohnsystem für Fahrer innerhalb der EU hat sich noch lange nicht angeglichen, auch wenn es den Anschein hat, dass die Fahrer rein netto denselben Lohn mit nach Hause nehmen. In vielen Ländern, auch in Litauen, sind nach wie vor die Auslandsspesen der größte "Lohnanteil".

Der große Lohnvorteil des Ostens

Und so stehen einem mit wenigen Abgaben belasteten Nettolohn von 2.000 Euro für einen Fahrer aus Osteuropa Kosten für einen deutschen Fahrer von bis zu 4.000 Euro gegenüber. Plus Spesen. Diese "kleine" Differenz macht den großen Unterschied, wenn sich ein Punkt aus dem EU-Mobilitätspaket durchsetzen sollte – dass dann Fahrer zweimal hintereinander ihre reduzierte wöchentliche Ruhezeit nehmen können.

Bislang ist diese Taktung so geregelt: In der Doppelwoche hat der Fahrer folgende Ruhezeiten einzuhalten: zwei regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten von 45 Stunden oder eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit und eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit von mindestens 24 Stunden. Die Reduzierung muss durch eine gleichwertige Ruhepause ausgeglichen werden, die ohne Unterbrechung vor dem Ende der dritten Woche an eine Wochenruhezeit angehängt wird.

Setzt sich die EU-Kommission durch, dürfen Lkw-Fahrer auch zwei reduzierte Wochenruhezeiten nacheinander einlegen und im Lkw verbringen. Das bedeutet, dass dann auch in Zukunft osteuropäische Fahrer vom BAG weitgehend unbehelligt die deutschen KV-Terminals bevölkern. Vielleicht denkt ein möglicher grüner Verkehrsminister auch darüber nach, wenn er wieder, was anzunehmen ist, mehr Güter auf die Bahn verlagern möchte.

Unsere Experten
Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt Matthias Pfitzenmaier Matthias Pfitzenmaier Fachanwalt für Verkehrsrecht
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