Interview mit Dr. Johannes-Jörg Rüger Nutzfahrzeugsparte CVO am Start

Foto: Bosch

Bosch will mit Anwendungen für Nutzfahrzeuge wachsen. Dr. Johannes-Jörg Rüger, Vorsitzender der neuen Nutzfahrzeug-Sparte CVO, erklärt, mit welchen strukturellen Änderungen und technologischen Innovationen das geschehen soll.

Bosch hat eine eigene Organisation gegründet, die fortan das Geschäft mit Nutzfahrzeugen aus den Bereichen On- und Offroad steuert. Welche Projekte sind Sie als Erstes angegangen?

Rüger: Technologien für Nutzfahrzeuge sind für Bosch nicht neu. Im Bereich Powertrain arbeiteten wir schon lange sehr erfolgreich für Kunden aus dem Nutzfahrzeug-Segment. In anderen Technologiebereichen waren wir bisher aber weniger präsent. Wir wollen mit der neuen Organisation CVO (Commercial Vehicle & Off-Road) den Kunden aus dem Nfz-Segment einen besseren Zugang zu unseren Produkten ermöglichen. CVO stellt eine einheitliche Schnittstelle nach außen dar. Damit verschlanken und vereinfachen wir den Zugang zu Bosch.

Auf der anderen Seite wollen wir die für das Segment notwendigen Lösungen besser identifizieren. Deswegen bauen wir auch eine entsprechende Systementwicklung auf und haben sie in CVO integriert. Durch unsere Marktanalysen können wir Technologien, die großes Marktpotenzial für die Zukunft versprechen, dann in die Entwicklung geben. So werden wir das erfolgreiche Powertrain-­Geschäft letztlich ausweiten auf andere Bereiche. CVO hat seinen Hauptsitz in Stuttgart, ist aber international aufgestellt mit Dependancen in ­allen wichtigen Märkten.

Hatten Sie also in der alten Aufstellung des Konzerns nicht genügend Schlagkraft im Nutzfahrzeuggeschäft?

Rüger: Es war ausreichend für die Themen, die wir bisher bearbeitet haben. Bosch konnte die Marktpotenziale aufgrund seiner Organisationsstruktur jedoch noch nicht voll ausschöpfen. Der Zeitpunkt für die Gründung einer Organisationseinheit für das Nutzfahrzeug- und Offroad-Geschäft ist insofern günstig gewählt, dass zum Beispiel Themen, die in Richtung Fahrerassistenzsysteme gehen, in den nächsten Jahren mit Macht Einzug in den Markt halten.

Was sind Ihre persönlichen Ziele für die neue Orga­ni­sation und was haben Sie in den ersten Monaten bewegt?

Rüger: Auf der Kundenseite haben wir aufgezeigt, dass wir das Nutzfahrzeug-Geschäft ganzheitlich angehen und unseren Kunden damit auch einen Zugang zu Technologien bieten, die bisher für Nutzfahrzeuge nicht verfügbar waren. Ein Beispiel hierfür sind Fahrerassistenzsysteme. Hier ist Bosch im Pkw-Bereich gut aufgestellt, war im Nutzfahrzeug-Bereich allerdings nicht vertreten. Jetzt haben wir in dem betreffenden Geschäftsbereich eine eigene Einheit für das Nutzfahrzeuggeschäft gegründet. Dabei wollen wir vorhandene Systeme nicht einfach vom Pkw auf den Lkw ummünzen, sondern auf ­Basis einer gemeinsamen Plattform nutzfahrzeug­spezifische Lösungen aufsetzen.

Was genau bedeutet im Falle von CVO Systementwicklung?

Rüger: Klassischerweise ist die Aufgabe der Systementwicklung nicht nur der Zusammenbau von bereits vorhandenen Bausteinen. Wir sehen unsere Aufgabe vor allem darin, die Anforderungen an die Systeme aus Kundensicht zu definieren. Nehmen wir das Beispiel Elektrifizierung: Hier stellt sich die Frage: Was genau soll elektrifiziert werden und was sind die Anforderungen aus Kundensicht an die Fahrzeuge? Die Antwort ist im Falle von unterschiedlichen Nutzfahrzeugen nicht unbedingt eindeutig. Es muss nicht immer nur der Antrieb sein, der elektrifiziert wird. Gerade bei Offroad-Anwendungen geht es zum Beispiel auch um die Elektrifizierung von Anbaugeräten.

In der Geschäftseinheit CVO findet sich also das klassische Diesel-System-Geschäft für Nutzfahrzeuge wieder, aber Sie packen gleichsam neue Technologien dazu wie Fahrerassistenzsysteme für Nutzfahrzeuge. Welches System könnte hier den Anfang machen?

Rüger: Fahrerassistenzsysteme beginnen bei der dazugehörigen Sensorik und enden bei der Aktorik. Es geht nicht nur um einzelne Komponenten wie Radar oder Kamera, sondern um ein Gesamtsystem. Wenn ein System beispielsweise dazu dient, die Fahrspur zu erkennen, dann kann es dahingehend erweitert werden, dass es auch in die Lenkung eingreift, um die Fahrspur zu halten; also gehört ebenso die Lenkung dazu. Basis für viele solcher Funktionen ist die E/E-Architektur. Diese wird sich in den kommenden Jahren deutlich verändern und es wird weit mehr Technik ins Fahrzeug kommen – gerade vor dem Hintergrund der Automatisierung. Die Entscheidungen dafür werden jetzt getroffen, um eine zukunftssichere Struktur zu installieren. Und nicht zuletzt gehört zum Produktportfolio von Bosch auch die Mobilhydraulik, speziell für Offroad-Fahrzeuge wie Landmaschinen und Baufahrzeuge.

Wenn Sie von einer neuartigen E/E-Architektur sprechen, von welcher Struktur sprechen Sie dann?

Rüger: Auf der einen Seite geht es darum, welche Kommunikationstechnik im Fahrzeug eingesetzt wird. Das Ethernet kommt. Nicht alternativ, sondern ergänzend zum CAN-Bus beziehungsweise seiner Weiterentwicklung CAN-FD. Schließlich ist der CAN-Bus eine etablierte und vergleichsweise günstige Form der Kommunikation im Fahrzeug. Für manche Anwendungen reicht er aber nicht mehr aus, nämlich dann, wenn eine große Menge an Daten in Echtzeit zur Verfügung stehen muss. Neben der Kommunikationstechnik geht es um die Bordnetzspannung; wir gehen davon aus, dass das 48-Volt-Bordnetz kommt, sowohl im On- wie auch im Offroad-­Bereich, zum Beispiel in Verbindung mit elektrifizierten Nebenaggregaten. Schließlich hat auch der Grad der Automatisierung Einfluss auf die E/E-Architektur, etwa in Bezug auf die erforderliche Redundanzfunktionalität. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung für das teil- oder automatisierte Fahren.

Können Sie diese Erfordernis an einem plakativen Beispiel erklären?

Rüger: Wir haben auf der IAA gezeigt, dass elektronische Spiegelersatzsysteme kommen. Es gibt erste Kunden, die diese Technologie bald einsetzen werden. Sprich: Der heutige Außenspiegel wird durch ein Display in der Kabine und eine außen angebrachte Kamera ersetzt. Dabei stellt sich die Frage, ob es eine Vorortauswertung der Daten in der Nähe der Kamera gibt und dann beispielsweise nur erkannte Objekte an den Fahrzeugrechner übertragen werden. Oder werden die vollständigen Bilddaten übermittelt und die Auswertung, also die Bestimmung von Position des Fahrzeugs und erkanntem Objekt zueinan­der, erfolgt in einem Zentralrechner. Abhängig von der Entscheidung ergibt sich ein sehr unterschiedliches Kommunikationsaufkommen. Und dieses Datenvolumen hat wiederum Auswirkungen auf das Bussystem und damit die E/E-Architektur.

Wann werden wir erste neue Bosch-Hardware auf der Straße sehen?

Rüger: Nehmen wir zum Beispiel die elektrifizierte hydraulische Lenkung, so ist sie bei einem Kunden bereits in Serie, weitere Kunden folgen. Elektronische Spiegelersatzsysteme sind in etwa zwei Jahren auf der Straße zu sehen.

Im Zuge der Vernetzung müssen Nutzfahrzeuge aber auch mit Pkw und der Infrastruktur kommunizieren. Wie funktioniert hier der Austausch im Unter­nehmen?

Rüger: Für Vernetzungsthemen ist bei uns der Geschäftsbereich Car Multimedia (CM) verantwortlich. Dort werden die entsprechenden Plattformen entwickelt. Das Grundprinzip sieht nicht vor, die Lkw- von der Pkw-Entwicklung zu entkoppeln. Das ergäbe keinen Sinn. Die Kunst besteht darin, eine geeignete Plattform zu definieren, auf die dann sowohl Pkw- wie auch Lkw-Anwendungen aufsetzen können. Unsere Aufgabe als CVO besteht darin, technische Anforderungen zu definieren und Projekte, die nutzfahrzeugspezifisch sind, zu steuern.

Wie ist die Resonanz auf der IAA auf Ihre Produkte gewesen? Bosch hat in den vergangenen Jahren immer wieder verschiedene innovative Technologien präsentiert, etwa Waste-Heat-Recovery-Systeme, Einspritzsysteme, aber auch Systeme für CNG- und LNG-Betrieb. Wo will die Lkw-Industrie damit hin?

Rüger: Die Resonanz war sehr gut, vor allem auf unsere Studie Vision X, die einen Blick in die nahe Zukunft des Lkw-Fahrens gewährt hat. In einem Zukunftslabor haben wir dem Fachpublikum zudem weitere innovative Technologien gezeigt. Die Kunden, mit denen wir schon eng vernetzt sind, wollen diese Themen gemeinsam mit uns weiterentwickeln. Unser Ziel: Wir wollen mehr Effizienz in den Antrieb bringen. Die Einführung von Waste-Heat-Recovery-Systemen hängt heute nicht mehr daran, ob wir ein serienreifes Konzept darstellen können. Das können wir. Heute ist es allerdings so, dass die Kraftstoffpreise auf einem Niveau sind, dass sich diese Einführung, für Spediteure beispielsweise, im Moment noch nicht rechnet. Das heißt: Entweder gelingt es uns, das System noch günstiger zu machen oder einen noch größeren Nutzen rauszuholen. Heute liegen wir bei rund vier Prozent Verbesserung der Kraftstoffeffizienz. Wenn sich die Kraftstoffpreise mittelfristig wieder nach oben bewegen, dann wird ein solches System am Markt auf gute Resonanz stoßen. Letztlich kann natürlich auch eine entsprechende CO2-Gesetzgebung die Einführung solcher Funktionalitäten treiben. Der Gasantrieb ist weiterhin ein Thema, ebenso die Elektrifizierung. Wir gehen davon aus, dass es mittelfristig notwendig wird, im innerstädtischen Lieferverkehr elektrifizierte, wenn nicht sogar vollelektrische Systeme anbieten zu können.

Wie groß sind die Umsatzerwartungen für CVO?

Rüger: CVO will den Umsatz mit Lösungen für schwere Nutzfahrzeuge und Offroad-Anwendungen in den nächsten Jahren von heute 5,5 Milliarden auf rund elf Milliarden Euro im Jahr 2025 verdoppeln. Wir sehen im klassischen Geschäft, also Powertrain und Mobilhydraulik, noch einige Wachstumschancen. Andererseits wollen wir gerade auch mit Technik wachsen, wie Assistenzsystemen, Elektrifizierung und Connectivity. In diesem und im nächsten Jahr investiert Bosch mehr als 100 Millionen Euro, um neue Geschäftsfelder in der Nutzfahrzeugbranche zu erschließen.

Wie entwickelt sich denn der internationale und europäische Markt für Nutzfahrzeug-Systeme?

Rüger: Laut Prognosen werden die Produktionszahlen für schwere Nutzfahrzeuge und Off-Highway-Anwendungen in beiden Märkten auch in den nächsten Jahren weiter steigen – auf dem europäischen Markt bis 2023 um circa fünf Prozent. Durch die zunehmende Automatisierung der Fahrzeuge wird natürlich ebenso die Zahl der Assistenzsysteme im Fahrzeug zunehmen. Hier geht der Trend hin zu immer höher­wer­ti­geren Ausstattungsraten und ­Funktions­erwei­te­rungen.

Das Gespräch führte Thomas Rosenberger.

Neue Organisation für das Nfz-Geschäft

Zu Beginn des Jahres hat der Technologie-konzern Bosch die Organisation Commercial Vehicle & Offroad (CVO) gegründet. Sie ist Teil der strategischen Neuausrichtung der Geschäftsfelder, in diesem Fall, um das Marktpotenzial im Segment von Nutzfahrzeugen vom Gabelstapler über Lastwagen bis hin zu Bau- und landwirtschaftlichen Maschinen besser auszuschöpfen. Sie soll den Herstellern dieser Fahrzeuge maß­geschneiderte Lö­sun­gen vom Einspritzsystem bis hin zu elektronischen Systemen wie Fahrerassistenzsystemen bieten und umfasst dazu neben dem Vertrieb eine Systementwicklung. Bereichs-Chef ist der Wirtschafts- und promovierte Elektroingenieur Johannes-Jörg Rüger.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Lao 01 2017 Titel
lastauto omnibus 01 / 2017
19. Dezember 2016
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