IHS-Automotive-Analyst Mathyssek "Klasse statt Masse"

IHS-Automotive-Analyst Mathyssek Foto: Michael Kern

Der Lkw-Analyst Roman Mathyssek über den ungebrochenen Trend 
zur Globalisierung, den Fight um neue Märkte und die dennoch guten Perspektiven für Hightech-Lastwagen.

Warum tut sich alle Welt so schwer mit einer Einschätzung des Lkw-Markts für das laufende Jahr?

Mathyssek: Die aktuelle Situation ist eine ganz besondere: Das Jahr 2008 war zum Großteil noch sehr gut, dann ist der Markt dramatisch gefallen. Jetzt haben sich die Verhältnisse zwar gebessert, aber wir befinden uns immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau und haben immer noch Nachholbedarf. Das schafft eine gewisse Nervosität. Zudem steht ja der Wechsel von Euro 5 zu Euro 6 bevor. Aber noch weiß niemand, wohin die Reise bei der Incentivierung genau geht.

Ab 2014 wird es sowieso nichts anderes mehr geben als Euro 6. Kommt es 2013 womöglich zu Euro-5-Hamsterkäufen wie 2006 kurz vor EPA 07 in den USA?

Mathyssek: Das wird zum einen stark davon abhängen, wie gut die tendenziellen Verbrauchsnachteile von Euro 6 kompensiert werden. Der Pre-Buy in den USA hat unter anderem deswegen stattgefunden, weil abgesehen von EPA 10 alle früheren Normen mit höheren Verbräuchen verbunden waren. Zum anderen kann ich mir aber gut vorstellen, dass spätestens ab 2014 die finanziellen Anreize zur Verfügung stehen, um für diese Fahrzeuge Käufer zu finden.

Wird es ein Euro 7 geben?

Mathyssek: Euro 6 wird nicht das Ende der Fahnenstange sein. Und ob der nächste Schritt dann Euro 7 oder anders heißt: Wahrscheinlich geht es dabei dann um andere Parameter als nur Stickoxide und Partikel. Denkbar wäre ein maximaler Verbrauch oder noch wahrscheinlicher eine vorgeschriebene Hybridisierung. Bis es so weit ist, wird das Ende des Jahrzehnts jedoch nicht mehr weit sein.

Das dürfte wie auch Euro 6 für die Industrie kein billiges Vergnügen werden. Wie weit wird die Blockbildung noch voranschreiten? Iveco zum Beispiel steht doch etwas allein da.

Mathyssek: Vor allem im Globalen gibt es für die Lkw-Indus­trie generell immer noch viel Konsolidierungspotenzial. Und da dürften für Iveco vor allem als Teil von Fiat Industrial gute Perspektiven bestehen. Das wird besonders für Hersteller aus den Schwellenländern attraktiv sein, die zudem über Busse sowie Landmaschinen verfügen und auch speziell an den Motoren interessiert sind.

Skaleneffekte ist eines der großen Schlagwörter der vergangenen Jahre. Wer außer Daimler und Volvo mit eigenen Aktivitäten in den USA ist denn wirklich global?

Mathyssek: Der amerikanische Markt mit seinen Eigengesetzmäßigkeiten macht die Standardisierung von Komponenten und Fahrzeugen nicht unbedingt leichter. Diese Eigenarten führen zu besonderen Fahrzeugen, die sich noch in Australien, Neuseeland und Südafrika verkaufen lassen, dann ist aber schon Schluss. Was aber nicht heißen muss, dass der Hauber auf ewig in den USA bleiben wird. Es sind langfristig auch sehr komfortable Cab-over-Engine-Trucks mit deutlich verlängertem
Fahrerhaus denkbar.

Trotzdem ist es mit den Skaleneffekten doch nicht allzu weit her, wenn man an den grundsätzlichen Unterschied zwischen Europa und USA denkt.

Mathyssek: Man darf es nicht unterschätzen, was allein schon mit einem gemeinsamen Motor wie bei DAF und Paccar gewonnen ist. Auch die neue Motorenplattform von Daimler ist ein immens wichtiger Schritt beim Vorhaben "Turning Scales into Profit". Schon bald kommen dann globale Kabinenrohbauten und dergleichen mehr. Skaleneffekte sind wichtiger denn je.

MAN hat erst dieser Tage – und zwar ohne den Namen ­Scania zu nennen – das ehrgeizige Ziel formuliert, weltweit an die Spitze zu wollen. Fehlen da nicht zuallererst Aktivitäten im nordamerikanischen Raum?

Mathyssek: Ich denke, dass dieses Thema künftig eher im Gesamtverbund MAN-Scania-VW gesehen werden sollte. Fakt ist, dass die Kombination von MAN und Scania in Europa und Südamerika stark ist, in Asien hingegen eher schwach. MAN und Scania aber haben so ein Wachstumspotenzial, dass weitere Regionen flächendeckend erschlossen werden könnten.

Könnte das ein amerikanisches Marken-Revival ergeben wie es Daimler mit Sterling praktiziert hat?

Mathysek: Wer in den USA Erfolg haben will, braucht jedenfalls eine Marke, die einen lokalen Ursprung hat und vorerst noch ein Haubenfahrzeug-Konzept. Aus welchen Komponenten das Fahrzeug besteht, das ist erst einmal zweitrangig.

Anderswo auf der Welt ist es nicht ganz so einfach. Frontlenker europäischer Machart werden sich einfacher lokalisieren als US-Hauber. Sind die US-Unternehmen die Loser im globalen Lkw-Schach?

Mathyssek: Das würde ich nicht sagen. Schauen Sie sich doch einmal Navistar an. Dem Unternehmen ging es lange Zeit nicht sonderlich gut. Nicht zuletzt durch die Allianz mit Caterpillar ist es jetzt beeindruckend global aufgestellt. Zusätzlich gibt es in Indien das Joint Venture Mahindra Navistar. Es muss kein Nachteil sein, wenn ein europäisches oder japanisches Grundkonzept nicht vorhanden ist. Man kann auf einem weißen Blatt neu anfangen und somit das Produkt am Ende vielleicht sogar besser lokalisieren.

Rund 70 Prozent der weltweiten Lkw-Verkäufe spielen sich derzeit in den BRIC-Staaten ab. Sind da europäische oder US-Konzepte überhaupt noch von Bedeutung?

Mathyssek: Es setzt eindeutig nicht die Masse, sondern die Klasse den Trend. Zwar je nach Land unterschiedlich stark ausgeprägt, zeichnet sich doch gerade in den BRIC-Staaten die Tendenz zu qualitativ höherwertigen Produkten ab. Der Markt verlangt zunehmend eine effizientere Logistik und somit technisch höherwertige Lkw. Das ist in China stärker ausgeprägt als in Indien. Aber in diese Richtung geht die Reise.

Ist das Wasser auf die Mühlen der westlichen Hersteller?

Mathyssek: Nicht unbedingt. China investiert massiv dahingehend, Wissen aufzubauen und Marken zu schaffen sowie sukzessive Dienstleistungen rund um das Produkt anzubieten.

Beim Wachstum werden die sogenannten Next Eleven als Nachfolger der BRIC-Staaten gehandelt. Das ist aber ein bunt gemischter Haufen.

Mathyssek: Da verteilt sich das potenzielle Volumen in der Tat auf so unterschiedliche Nationen wie die Türkei, Thailand oder Südkorea. Dort wird sich in dieser Dekade der Aufschwung wahrscheinlich wiederholen, der im vergangenen Jahrzehnt in den BRIC-Staaten stattgefunden hat.

Südkorea ist vollindustrialisiert, Vietnam oder Thailand stehen verglichen damit erst am Anfang. Wo ist der gemeinsame Nenner?

Mathyssek: Der gemeinsame Nenner ist die stark zunehmende Nachfrage. Dabei spielt es keine so große Rolle, auf welchem Niveau sich die Industrialisierung befindet. Im einen Markt wird das die Abkehr vom Budget-Lkw hin zum logistiktauglichen Advanced-Truck bedeuten. Im anderen Markt geht es dann um schnelleren Ersatz von eh schon höherwertigen Lkw.

Der Vorteil für den Westen ist, dass es in diesen Ländern relativ wenig eigene Lkw-Industrie gibt?

Mathyssek: Ganz genau. Ein Zuckerschlecken wird das aber dennoch nicht. Denn in ganz genau diesen Märkten der Next Eleven treten alle Lkw-Hersteller dieser Welt an – auch die aus China oder Indien.

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