Hilfskonvoi auf Umwegen Hilfsgüter machen kurz vor dem Ziel kehrt

Hilfstransport in die Ukraine, Burg Silvergreen, Renault, Trucks, Rental Foto: André Sahorn, Martin Hottinger, Gegor Jentzsch 18 Bilder

Die Unterstützung bedürftiger ukrainischer Kinder war das Ziel eines Hilfskonvois, doch er kam nicht an.

Humanitäre Hilfstransporte nach Osteuropa? Das gab es in größerem Umfang zuletzt in den 1990er-Jahren. Nach dem Mauerfall hatte sich die wirtschaftliche Lage im ehemaligen Sowjetreich weiter verschlechtert – die Hungerhilfe für Russland entstand. Unzählige deutsche Fahrer machten sich in Hilfskonvois auf den abenteuerlichen Weg nach Russland, Weißrussland und in die Ukraine. Auch wenn diese Zeiten vorbei sind, ist das Wohlstandsgefälle zwischen West und Ost nach wie vor groß.

Spenden für Kinden in Osteuropa

Vor allem Kinder müssen mancherorts unter sehr harten Bedingungen aufwachsen. Peter Dittmer vom Verein "Kinder brauchen unsere Hilfe" weiß eine Menge über diese Missstände zu erzählen. Das tat er auch als freier Mitarbeiter des Websenders ET-Radio.de und mit der beindruckenden Rückmeldung der Hörer kam es fast automatisch zur Idee eines Hilfstransports. Moderator André Sahorn trommelte fleißig Spenden und Sponsoren zusammen und schon bald stapelten sich in Hamm und Saerbeck Spielsachen, Babynahrung, Kinderbetten und viele andere nützliche Dinge. Genug Ladung für zwei Sattelauflieger. Die Zugmaschinen, ein Magnum und ein Premium Route, stellte der Renault-Vermieter R-Trucks zur Verfügung. Ein Team von Hörern, die sich als Fahrer zur Verfügung stellten, stand ebenfalls schnell parat. Die Visa-Beschaffung klappte pünktlich und beim Verpacken der Ware sah alles sehr Erfolg versprechend aus.

Am 12. April war es so weit: Mit den entsprechenden Bescheinigungen im Gepäck  machte sich der Konvoi auf den über 1.800 Kilometer langen Weg gen Osten. Ziel war das Dorf Novofastiv, 160 Kilometer südwestlich von Kiew gelegen. Die Helfer verbrachten die erste Nacht noch in Deutschland und passierten dann bei Ludwigsdorf die deutsch-polnische Grenze. Die Sattelzüge waren mautpflichtig und so galt es, eine Mautbox für die Frontscheibe zu besorgen. Noch im Mautbüro trafen die Helfer auf einen ukrainischen Fahrer, der sie vor dem Straßenzustand in seiner Heimat warnte: "Ich hoffe, ihr habt genügend Ersatzräder dabei."

Papiere nicht korrekt

Die Fahrt durch Polen verlief ohne Probleme. Die Straßen sind in hervorragendem Zustand, wenn auch nicht durchgängig als Autobahn ausgebaut. Am Abend erreichte die Gruppe Tarnów (Tarnau). Von dort sind es noch knapp 170 Kilometer bis nach Korczowa, dem Grenzdorf in Richtung Ukraine. Welche Verwicklungen dort am 14. April auf sie warteten, ahnte niemand.

Nach vier Stunden Schlangestehen am Grenzübergang trafen die Sattelzüge an der Waage ein. Nun kam der erste Schreck: Das Gewicht stimmte nicht exakt mit den Angaben in den Ladungspapieren überein. "Die polnische Seite interessierte sich jedoch nicht weiter dafür. Anders sah es auf der ukrainischen Seite aus", erinnert sich Martin Hottinger, von Beruf Polizist und einer der Transportbegleiter: "Mit den gesamten Papieren begaben wir uns in die Abfertigung. André hatte vom Bürgermeister von Novofastiv ein Unterstützungsschreiben auf Ukrainisch dabei und übergab es einer Zollbeamtin. Mit einem Lächeln verschwand sie und geleitete uns später zu einem Schalter, an dem wir noch einmal an der ganzen Schlange vorbeidurften. Die aufkeimende Hoffnung erlosch mit der Feststellung des Zollbeamten, dass das CEMT-Papier nicht korrekt sei."

Mit der richtigen Adresse ans Ziel?

Es folgten Telefonate zwischen den Beamten und Genaadii Bondrev, dem Kontaktmann in Novofastiv. Sogar der Zollvorsteher hörte sich die Geschichte an, doch auch das half nicht. Mit dem Schichtwechsel ließ die anfängliche Hilfsbereitschaft merklich nach: Die Sattelzüge kamen unter Zollverschluss und die Fahrer durften als Privatpersonen in die Ukraine einreisen. Die Zollbeamten blieben, wie Hottinger betont, trotz der zähen Verhandlungen freundlich, verharrten aber auf ihrem Standpunkt. Das Team bezog erst einmal Quartier im Hotel Arta bei Yavoriv, einige Kilometer landeinwärts.

Am nächsten Morgen wollte plötzlich niemand mehr etwas von der ungültigen CEMT-Genehmigung wissen. Stattdessen ging es nun um eine genaue Anschrift des Zielortes der Hilfsgüter. Nach mehreren Versuchen erreichte das Team den Bürgermeister von Novofastiv telefonisch. Er brauchte den ganzen Tag, um die Adresse der orthodoxen Kirche herauszufinden. Sie sollte die Hilfsgüter in Empfang nehmen.

Kehrtwende nach Polen und Probleme mit der Wiedereinfuhr

Der 16. April brachte die nächste Überraschung: Die Kirche von Novofastiv sei nach ukrainischem Recht nicht berechtigt, Hilfsgüter entgegenzunehmen. Als Alternative suchten die Zollbeamten auf einer riesigen Liste mit potenziellen Spendenempfängern Anschriften heraus, die sich zumindest in der Nähe des Zielortes befanden. Der Bürgermeister kontaktierte 15 davon – mit dem Ergebnis, dass niemand bereit war, die Ladung anzunehmen. Angeblich müssen Spendenempfänger in der Ukraine nämlich den Warenwert der Gegenstände versteuern – wozu ihnen schlicht und einfach das Geld fehlt. Spätestens hier drängt sich der Eindruck auf, dass Hilfstransporte in die Ukraine derzeit politisch gar nicht gewollt sind.

Da blieb am 17. April die einzig richtige Entscheidung: umdrehen und wenn möglich die Hilfsgüter in Polen an Bedürftige verteilen. Jetzt gab es aber auf der polnischen Seite Schwierigkeiten. "Da wir aus der Ukraine kamen, handelte es sich bei unserer Ladung nun um Einfuhrgüter, die zu verzollen waren", berichtet Hottinger. "Wir mussten ein sogenanntes T1-Verfahren eröffnen. Weil wir als Verein unterwegs waren und über keine Umsatzsteuernummer verfügten, war das nicht so einfach. Es dauerte bis zum anderen Abend, bis die Lkw nach Polen ausreisen durften."

Frei gegen Kaution

Letzteres verdankte das Team vor allem Tatjana, der Deutsch sprechenden Mitarbeiterin einer großen ukrainischen Spedition. Sie kannte sich nicht nur bestens aus, sondern half auch, eine Kaution von 1.600 Euro zu stellen. Zu den guten Geistern gehörte auch ein polnischer Polizist. Er verhalf dem Hilfstransport kurzfristig zu seinem neuen Ziel: der Caritas in Wroclaw (Breslau). Dort kamen die Helfer am Abend des 19. April an. Odyssee beendet und doch noch Kinder glücklich gemacht – das entschädigte dann auch die Helfer aus Deutschland für den heftigen Hindernislauf.

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