Fernfahrer in Nordamerika Gesucht und geachtet

Unterwegs in USA und Kanada Foto: Werner Stumreiter 23 Bilder

Nordamerika erscheint vielen deutschen Fernfahrern als das Paradies auf Erden. Doch neben vielen Vorteilen gibt es auch in den USA und Kanada Pflichten, die man beachten muss.

Es war in diesem Frühjahr. Nach sieben Jahren als Trucker in Nordamerika habe ich irgendwo in Quebec tatsächlich einen gesehen. Ich musste zweimal hinsehen und konnte es kaum glauben: Da war tatsächlich ein Palettenkasten unter einem Auflieger. Es gibt sie also auch hier in Amerika, diese verdammten Palettenkästen.

Der arme Fahrer! Er war wohl ein Citytrucker. Kein Fernfahrer hier würde Paletten ein- und ausräumen, und kaum einer würde einen Gabelhubwagen in die Hand nehmen, und wenn, dann nur gegen gute Bezahlung. Ich durfte einmal in sieben Jahren eine Ladung Tierfutter selbst laden.

Fernfahrer sind in Nordamerika geachtete Leute

Trucker sind in Nordamerika ehrenwerte und geachtete Leute. "The backbone of the economy" – das Rückgrat der Wirtschaft.Trucker waren früher fast alle in der berühmtberüchtigten Gewerkschaft der Teamster organisiert. Die Teamster sind auf dem Rückzug. Es gelingt der Gewerkschaft immer seltener sich in Transportfirmen zu etablieren. Schafft es die "Union" in einer Transportfirma 50 Prozent plus einen Fahrer zu organisieren, so gilt die Firma als "unionized" und alle Fahrer müssen der Gewerkschaft beitreten.

Letztes Jahr verkündete  Teamster dass man die kanadische Firma Challenger "übernehmen" wolle und aggressiv Challenger-Fahrer anwerben wolle. Das hatte zur Folge, dass sich die Arbeitsbedingungen drastisch verbesserten. Unternehmer wehren sich mit Händen und Füßen gegen die Gewerkschaft zum Vorteil der Fahrer. Trucker sind Individualisten, der Gleichmacherei durch Shopstewards (Gewerkschaftssekretäre) abgeneigt.

Vier Arten von Truckern

Es gibt vier Arten von Truckern, die Longhaul Truckdriver, die Regional Drivers, die Citytrucker und die Shunter. Weil Amerikas Jugend keine Lust mehr hat, wochenlang von zu Hause weg zu sein, sind Longhaul Truckdriver gesuchte Leute, man spricht auch hier von der zunehmenden "Trucker shortage", also dem Fahrermangel.  Viele Firmen bieten mittlerweile bis zu 1.000 Dollar Handgeld und 500 Dollar für die Vermittlung eines Kollegen. 

Fernfahrer sind in etlichen Provinzen Kanadas Mangelware, deshalb können europäische Fahrer dort zu vereinfachten Bedingungen einwandern. Deutsche Fahrer haben dabei keineswegs einen Bonus. Hier werden alle Nationen gleich behandelt. In den USA ist es nur mit Greencard möglich Trucker zu werden.

Nordamerika ist trotzdem kein Paradies

Ein Paradies für Trucker ist Nordamerika aber keineswegs. Bezahlt wird per Meile. Wobei die Lohnsysteme genauso kompliziert sind wie die Handytarife in Deutschland. Es ist lange nicht gesagt, dass ein höherer Lohn pro Meile einen höheren Wochenlohn ergibt. Es gibt Zuschläge, Abschläge, Bonusse, Geld für entladen, beladen, umsatteln, warten, New York fahren und so weiter. Die Krankenkasse ist in Kanada staatlich und kostenlos. Viele Firmen bieten kostenlose Zusatzversicherungen. Es gibt zwölf bezahlte Feiertage und zusätzlich zum Lohn vier Prozent Urlaubsgeld.

Die Arbeitszeit beträgt 70 Stunden pro Woche. In den USA sind elf Stunden Fahrzeit innerhalb von 14 Stunden erlaubt, in Kanada 13 Stunden innerhalb von 16 Stunden. Eine Pausenregelung gibt es erst seit Juli 2013. In den USA muss jetzt nach acht Stunden Fahrzeit eine dreißigminütige Pause eingelegt werden. In Kanada gibt es keinerlei Pausenregelung.

Kompliziertes Arbeitszeitsystem

Das System ist kompliziert und in der Kürze nicht zu erklären. In der Praxis kann man bei sieben Tagen pro Woche etwa 8,5 Stunden pro Tag fahren. Das System ist flexibel, man kann mal kürzer fahren und dafür am nächsten Tag ein paar Stunden dranhängen, man kann auch während des Abladens in die Stadt zum Essen fahren ohne seine Fahrzeiten kaputtzumachen. Es gibt keinerlei Sonn- und Feiertags-Fahrverbote. Von der Lenkzeit abgezogen wird der tägliche Pretrip, die Abfahrtskontrolle. Vor Fahrtantritt muss ein amerikanischer Trucker sein Fahrzeug kontrollieren und das Ergebnis im sogenannten Logbook eintragen. Täglich eine Viertelstunde darf diese Kontrolle dauern. Auch bei Trailerwechsel muss der Trailer 15 Minuten inspiziert werden.

Es gibt keine Tachoscheibe und keine Fahrerkarte. Es gibt ein Logbook in das man handschriftlich seine Zeiten einträgt.  Wer da aber glaubt, man könne kräftig schummeln, der irrt gewaltig. Die DoT Leute, vergleichbar dem BAG, können anhand von Tankrechnungen, Faxquittungen, Mautquittungen und Frachtbriefen auf die Viertelstunde nachrechnen ob das Logbook den Tatsachen entspricht.

Wer auf dem Logbook "fiddelt" bekommt schnell Fahrverbot

Kurz nach der Grenze in Windsor in Kanada ist eine riesige Kontrollstelle. Dass die DoT hier auch am Neujahrstag aktiv ist, das hatte Kollege Frank nicht für wahrscheinlich gehalten. Er hatte sein Logbook mit Hilfe eines Computerprogramms perfekt "gefiddelt", wie man hier zu sagen pflegt. Aber der DoT-Officer merkte sehr schnell, dass da was nicht stimmte. Die Strafe: 500 Dollar und, was noch viel schlimmer ist, drei Tage Fahrverbot. Franks Truck stand am hinteren Ende des Parkplatzes. Frank sah an diesem Tag wirklich sehr alt aus. Drei Tage Pause auf diesem gottverlassenen Parkplatz sind wirklich kein Zuckerschlecken.  Wir haben ihn mitgenommen in die nächste Stadt. Frank hat da ein Hotelzimmer für drei Tage genommen.

Kanadische und US-Unternehmer schielen nach Europa und dem europäischen Electronic Logbook. Etliche Großfirmen haben von sich aus bereits einfache elektronische Systeme eingeführt.

Verkehrssünderkartei ist öffentlich zugänglich

Es gibt eine Verkehrssünderkartei für Transportunternehmer, und wer den Status "unsatisfied" erhält, hat erhebliche Probleme. An den zahlreichen Wiegestationen tippt der Beamte die Unternehmernummer, die an jedem Truck sichtbar seitlich angebracht sein muss, in seinen Computer und er weiß dann ob er den Truck einer näheren Überprüfung unterziehen soll. Es gibt "class one", "class two", "walkaround inspections" und "paperwork checkups". Die Beamten sind dabei extrem freundlich, höflich, aber ihr Computer sagt ihnen genau wo es bei der Firma hakt. Mancher Officer begnügt sich dann mit einer ausführlichen Belehrung was man anders machen solle in Zukunft. Die Sünderkartei ist auch für Behörden, Konkurrenten, Auftraggeber und so weiter zugänglich. Darum halten nordamerikanische Unternehmer ihre Fahrzeuge technisch in Topzustand, und Cowboys, Fahrer die viel Mist bauen, fliegen schnell raus.

Fahrer, die sich an die Geschwindigkeiten halten, haben selten Probleme mit der Polizei. Die Strafen sind moderat, aber so viele Strafzettel wie in Europa kann man sich nicht leisten. Und: Jedes Ticket, privat oder dienstlich ist dem Safety-Manager zu melden. Der Führerschein ist schnell weg.

Transponder wird zum "Big Brother"

Jedes Fahrzeug hat einen Transponder an der Windschutzscheibe. Einmal, an der US-Grenze in Sweetgrass/Alberta, begegnete uns ein wie immer höflicher und freundlicher Officer. Unser Hund bekommt zuerst ein Leckerli, dann begrüßt er uns mit: "Hello, Mr and Mrs Stumreiter!" Woher er das wisse, fragte ich, weil wir ihm noch gar keine Papiere gezeigt hatten. Er schmunzelt nur und meint, er könne mir noch ganz viel mehr über uns erzählen. Datenschutz ist in Kanada und USA kein Thema.

Seit 2011 gibt es in USA eine Verkehrssünderkartei ausschließlich für Trucker, von allen Firmen einsehbar. Das System ist noch in der Erprobung, aber man rechnet, dass in Zukunft etwa 100.000 Fahrer gelegentlich eine mehrjährige Pause einlegen werden, weil sie Punkte abbauen müssen. Die Unternehmerverbände laufen derzeit Sturm gegen das System.

Wie es ist, bei härtesten Bedingungen durch Alaska zu fahren und wie gefährlich die Ice Road Trucker wirklich leben, schreibt er hier.

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