Fahrerdemo in Köln "Wir wollen kontrolliert werden"

Foto: Jan Bergrath 8 Bilder

Besorgte deutsche Berufskraftfahrer demonstrieren in Köln vor dem Bundesamt für Güterverkehr und vor dem Hauptbahnhof.

Der gelbe Scania der Sascha Marten Logistic aus Rinteln steht mit offener Seite vor dem Kölner Hauptbahnhof und im Schatten der mächtigen Türme des Doms. Reisende strömen vorbei, sie und andere Passanten bleiben für einen Moment stehen und hören, was auf dem zu einer Bühne umgebauten Lkw diskutiert wird. Gelegentlich übertönt das Grölen einer Gruppe von Dresdner Fußballfans das gesprochene Wort besorgter Berufskraftfahrer, die hier am Samstagvormittag, dem 18. April, ihre Sorgen an die Öffentlichkeit bringen wollen. Aus Bayern sind sie gekommen, aus Sachsen, aus Baden-Württemberg. Ihre Freizeit haben sie geopfert.

Demo war wochenlang angekündigt

Wochenlang war die von Johann Theodor und Mike Örtel, beides langjährige Fahrer und Mitglieder in der Actie in de Transport Deutschland, vorbereitete Demo vor allem bei Facebook angekündigt worden, Plakate haben sie zusätzlich gedruckt und an den Rasthöfen verteilt. 300 Teilnehmer hatten sich angekündigt, am Ende versammeln sich nur knapp 60 Fahrer und ihre Frauen, seit Jahren der harte Kern der deutschen Protestbewegung, vor der Zentrale des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) in der Kölner Werderstraße.

Keine Einigkeit bei den Fahrern

Der erste Wermutstropfen: Bereits im Vorfeld hatte die Oberbehörde des Bundesverkehrsministeriums abgelehnt, mit den Fahrern über ihre Kontrollaktivitäten zu reden, auch geladene Politiker sind nicht gekommen. Weitaus schlimmer aber ist der Umgang der Fahrer untereinander: Gerade in den sozialen Medien wie Facebook haben sich einige Fahrer vorher regelrechte Wortgefechte um den Sinn und Zweck dieser Demo geliefert. Von einer Einigkeit der Fahrer ist nichts zu spüren. Und gleich am Montag geht es munter weiter, teilweise mit regelrechter Häme.

ZDF ist mit Kamerateam vor Ort

Gegen 10 Uhr macht sich der kleine Zug unter Polizeibegleitung auf den Weg durch die Kölner Innenstadt bis zum Bahnhofsvorplatz. Die mangelnde Teilnahme ist eine vertane Chance: Denn auch wenn die lokalen Medion trotz Presseinladung kein Interesse hatten, über diese Demo zu berichten, so ist doch das ZDF mit einem Kamerateam vor Ort. Broka Herrmann, dessen TV-Serie über Lkw-Fahrer zu Beginn des Jahres auf dem Sendeplatz am Sonntagabend um 18 Uhr die Zuschauerrekorde innerhalb der Reihe "Reportage" gebrochen hat, begleitet erneut Erich Altmüller, einen seiner drei Helden aus dem ersten Teil, für eine zweite Staffel. Erich ist so ein alter Kämpfer für Gerechtigkeit, nun bekommt er bald einen jungen Auszubildenden als "Nachfolger".

Verdrängungswettbewerb im europäischen Transport

Und Erich spricht in die Kamera, was die meisten Fahrer hier bewegt – der gnadenlose Verdrängungswettbewerb im europäischen Transport wird vor allem auf dem Rücken der Fahrer ausgetragen – sowohl im Westen wie im Osten Europas. Fahrer im Osten bekommen einen Mindestlohn von 210 Euro wie in Rumänien oder 500 Euro wie in Tschechien, dafür erhalten sie für ihre Fahrten ins westliche Ausland hohe Spesen, sodass sie im Monat zwischen 1.300 und 1.500 Euro netto mit nach Hause nehmen.

Stellenangebote für noch rund 1.800 Euro

"Für diese Fahrer ist das sehr viel Geld, sodass sie es einfach in Kauf nehmen, wochenlang im Lkw unterwegs zu sein", berichtet Helena Schöning, die schon seit Jahren eine tschechische Fahrerorganisation vertritt. Das Problem aus Sicht der deutschen Fahrer: Ihr Lohnniveau gleicht sich langsam nach unten an, denn mittlerweile gibt es viele Stellenangebote nur noch für rund 1.800 Euro brutto. Das entspricht umgerechnet dem deutschen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Allerdings nur bei den laut § 21 a des Arbeitszeitgesetzes maximal erlaubten 48 Stunden pro Woche im Mittel von vier Monaten. Viele Fahrer, das wird bei der Demo sehr deutlich, haben große Sorge, dass nicht nur ihre Arbeitgeber Aufträge an die deutlich billigere Konkurrenz aus Osteuropa verlieren.

Deutsche Spediteure stellen öfter Fahrer aus Osteuropa ein

Auch stellen deutsche Spedition immer öfter Fahrer aus Osteuropa ein. Nicht immer ist dabei eindeutig zu erkennen, ob es tatsächlich rein aus Mangel an qualifizierten Lkw-Fahrern auf dem deutschen Arbeitsmarkt geschieht oder um billigere Fahrer zu haben.

Parkplatznot ist groß

Ein großes Thema: die Sorgen um die Sicherheit. Auf den Autobahnen wird bei zunehmender Fahrleistung der Lkw, von denen mittlerweile 40 Prozent aus dem Ausland kommen, nun der Straßenraum knapp und damit nicht nur der nötige Sicherheitsabstand der Lkw eingeschränkt. Die Autobahnparkplätze an den Transitstrecken sind ab 18 Uhr heillos überfüllt, weil die deutsche Infrastruktur dem Verkehrsaufkommen nicht gewachsen ist. "Wir finden dann keine Parkplätze mehr", so Johann Theodor. "Und wir werden dann vom BAG am nächsten Tag auch noch dafür bestraft, dass wir unsere Ruhezeit nicht einhalten konnten, weil die meisten Parkplätze voll sind mit Lkw aus Osteuropa, die zudem unsere Frachtraten unterbieten."

"Wir wollen endlich kontrolliert werden"

Seine Aufforderung an Polizei und BAG, die bekanntermaßen an Personalmangel kranken: "Wir wollen endlich kontrolliert werden." Dauerthema ist natürlich auch die Verbringung der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw, die in Belgien sanktioniert wird – und hierzulande eben nicht. Viel Frust richtet sich gegen das BAG, das in den Augen der Fahrer untätig ist, wie bei der Kontrolle der illegalen Kabotage und der Anreise von Fahrer aus Osteuropa zu ihren in Westeuropa stationierten Lkw. Udo Skoppeck, Gründer der Actie in de Transport Deutschland, und Gregor ter Heide, ehemaliger Gewerkschafter und der juristisch höchstversierte Kopf der Fahrerbewegung, haben nun eine offizielle Beschwerde an die EU-Kommission verfasst, die ihre an das EU-Parlament gerichtete Petition aus dem letzten November unterstützen soll.

EU hat noch keine Stellung bezogen

Aus politischen Kreisen in Deutschland sickert immerhin durch, dass die EU-Kommission noch keine Stellung bezogen hat zum Schreiben des Bundesverkehrsministeriums, ob Brüssel eine Gesetzesinitiative plane, um den entsprechenden Artikel 8 /Absatz 8 der EU-Verordnung 561/2006 zu ändern. Bei einer Mehrheit von 17 zu elf Ländern gegen die Änderung wäre es ein gefährliches Unterfangen. So läuft es möglicherweise doch darauf hinaus, dass Deutschland nach dem Sommer eine Änderung der Fahrpersonalverordnung in Angriff nimmt.

Einiges, was die Fahrer fordern, ist bereits auf politischer Ebene in Angriff genommen. Zum Thema Mindestlohn in Deutschland wird sich die EU-Kommission noch vor der offiziellen Sommerpause äußern. Aber auch im eigenen Land sorgt der Mindestlohn für großen Frust, denn in einem Positionspapier zu einer Anhörung im Bundesarbeitsministerium hat der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung, BGL, in der Woche zuvor tatsächlich gefordert, die Bereitschaftszeiten der Fahrer nicht mit dem Mindestlohn zu bezahlen. Für Gregor ter Heide ein Unding: "260 Stunden sind maximal in einem Monat als Arbeitszeit möglich. Davon sind laut Gesetz 195 Lenkstunden und 13 Stunden für andere Arbeiten. 52 Stunden Bereitschaft würden die Fahrer demnach umsonst arbeiten. Die Fahrer müssen es ausbaden, dass das Transportgewerbe nicht in der Lage ist, bei den Verladern und Empfänger der Frachten bessere Bedingungen durchzusetzen. Und weit und breit ist niemand von der Gewerbeaufsicht, der kontrolliert, dass immer mehr Fahrer genötigt werden, beim Abladen den Tacho auf Pause zu stellen, um den Mindestlohn zu umgehen."

Wenig Interesse der Öffentlichkeit

Gegen 13 Uhr endet die Demonstration. Leider, und das ist das traurige Fazit, scheinen diejenigen, die sich seit Jahren dafür einsetzen, die Öffentlichkeit zu informieren, zunehmend daran zu verzweifeln, dass sie so wenige Kollegen motivieren können, um ihre Jobs zu kämpfen. "Offensichtlich geht es den meisten Fahrern immer noch zu gut", meint Markus Rüdiger. Große Enttäuschung auch, dass sich die Öffentlichkeit nicht dafür interessiert, wie die Güter in die Regale der Supermärkte kommen. "Denn letzten Endes", so Mike Örtel, "ist es gerade die "Geiz ist Geiz"-Mentalität der Bevölkerung, die mit dafür sorgt, dass heute der Transport so billig ist."
 

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