Fahrer-Demos in Europa Druck auf Brüssel

Fahrerdemo in Dänemark Foto: Jan Bergrath

Die Proteste von Lkw-Fahrern gegen das zunehmende Sozialdumping im europäischen Straßengütertransport weiten sich jetzt international aus.

Mitte April, pünktlich zur letzten Straßburger Sitzungswoche des amtierenden EU-Parlaments vor den Neuwahlen, hat EU-Verkehrskommissar Siim Kallas ein offensichtlich in großer Eile zusammengestricktes Dokument vorgelegt. Der sperrige Titel lautet: "Bericht der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 14. April 2014 über den Stand des Kraftverkehrsmarktes in der Union."

Es treibt die Menschen auf die Straße In dem EU-Papier stehen Dinge, über die die Fahrer nur den Kopf schütteln können. Die am 3. Mai vom KCD und den skandinavischen Gewerkschaften organisierte paneuropäische Demo "Together now – Drivers voice for a social Europe" in sieben europäischen Hauptstädten war zwar schon lange vorher geplant, aber einige der Thesen treiben die Menschen nun erst recht auf die Straße: 800 in Berlin, 500 in Madrid, 300 in Rom, 700 in Den Haag, 1.300 in Kopenhagen, 1.800 in Oslo und 2.500 schließlich sogar in Göteborg. "Unter Berücksichtigung aller Vergütungselemente scheinen sich die Löhne rumänischer Lastwagenfahrer im grenzüberschreitenden Verkehr dem Lohn­niveau spanischer Kraftverkehrsunternehmer anzugleichen (4 – 5 Euro/Stunde)", heißt es in dem Dokument etwa. Um dann an irgendeinem Brüsseler Büroschreibtisch zu folgern: "Diese Entwicklungen stehen im Einklang mit der Konvergenz der durchschnittlichen Lohnniveaus in der EU."

Prämien in Form von verbotenem Kilometergeld

Dem hält Ingo Schulze, Vorstand der Kraftfahrerclubs Deutschland (KCD), bei der Berliner Demo entgegen: "In Tschechien zum Beispiel ist der Mindestlohn für Fahrer 400 Euro. Viele dortige Unternehmen und Spediteure aus Westeuropa, die sich dort niederlassen, zahlen als Festlohn diese 400 Euro. Alles andere wird auf Prämienbasis bezahlt, steuer- und sozialversicherungsfrei. In vielen Fällen werden Prämien in Form von eigentlich verbotenem Kilometergeld gezahlt." Auch weitere Beispiele führt er auf. "Fahrer aus Rumänien werden in den italienischen Häfen mit 320 Euro im Monat abgespeist. Es gibt in Italien sogar Firmen, die von ihren Fahrern eine Miete vom Lohn abziehen, weil sie im Lkw schlafen dürfen. Osteuropäische Fahrer sind zum Teil bis zu fünf Monate in ganz Westeuropa unterwegs, ohne auch nur einmal mit einem Transport in ihre Heimat zu den Familien zu kommen."

Die EU-Richtlinien müssten umgesetzt werden

Am 17. Mai stellen sich die gut vernetzten Demonstranten der "Actie in de Transport Deutschland" als Mitstreiter des Berufskraftfahrers Udo Skoppek in Ludwigshafen mit Mit 50 Lkw auf – genau in der Zufahrt zum Tor 15 der BASF. Dort, wo bereits am Samstagmorgen osteuropäische Fahrer in ihren Kabinen bis zum Montag auf Ladung warten. Dort, wo im Kombiterminal rumänische Sattelzugmaschinen für eine türkische Spedition die Trailer ziehen. Auch hier geht es nicht darum, die Kollegen aus Osteuropa "anzuklagen". Es geht um das, was eines der Lastwagen-Banner im Konvoi über die Kurt-Schumacher-Brücke plakativ zum Ausdruck bringt: die Richtlinien und Verordnungen, die von der EU-Kommission erlassen wurden, müssen endlich auch umgesetzt werden.

Forderung: eine unabhängige EU-Kontrollorganisation

Doch die Mitgliedsstaaten gehen damit sehr unterschiedlich um. "Wir brauchen eine unabhängige europäische Kontrollorganisation", betonen die Ludwigshafener EU-Parlamentarierin Jutta Steinruck (SPD) und Sigurd Holler, Fachsekretär von Verdi in Rheinland-Pfalz, als geladene Gäste einer hochintensiven Diskussion mit den Fahrern. Doch das größte Problem sei gerade das mangelnde Verständnis in der Bevölkerung. Und so weist Steinruck auf ­einen weiteren Passus im Papier der EU-Kommission hin, der den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen scheint: "In jedem Fall ist aber zu bedenken, dass die Nutzer von Transportdienstleistungen und die Verbraucher von niedrigeren Preisen im Kraftverkehr profitieren würden." Eingekeilt zwischen der Profitgier der Konzerne, die möglichst billige Transporte verlangen, und der Schnäppchenmentalität der Verbraucher, die möglichst wenig bezahlen und die Ware am liebsten kostenlos frei Haus geliefert bekommen möchten, haben die Beschäftigten der Logistikbranche das Nachsehen. Und, was noch schwerer wiegt, auch keine Lobby. Weder in Brüssel noch in der eigenen Bevölkerung.

Den vollständigen Artikel findet ihr im aktuellen FERNFAHRER 7/2014. Hier könnt Ihr das Heft bestellen.

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