2. Generation des OM 471 von Mercedes Kulturrevolution

Entwicklung-OM 471 Foto: Michael Kern, Daimler 10 Bilder

Radikale Kräfte im Drehzahlkeller, Sensoren ihres Amts enthoben und insgesamt ein Linksruck bei den Motorkurven – der OM 471 musste eine kleine Kulturrevolution über sich ergehen lassen.

Sparprogramm und Linksruck: Das harmoniert bei den Motorkurven wesentlich besser als in der Politik. Denn während dort zuerst ein Sparprogramm aufzutauchen hat, bevor es die Leute vermehrt gen links treibt, ist es bei der Motortechnik genau andersrum. Kommt der Ruck nach links hier doch einzig mit dem Ziel, die Kosten schnurstracks zu dämpfen. Der Grund ist einfach: Verspricht eben Linkslastigkeit beim Drehmoment stets die Möglichkeit, per gesenkte Drehzahlen und reduzierte Schalthäufigkeit dem Verbrauch noch einmal ans Leder zu gehen. Besonders bei Teillast gilt eben die Regel, dass der Verbrauch umso geringer ausfällt, je niedriger die Drehzahl ist.

Nicht von schlechten Eltern

Und genau darauf baut die Strategie auf, die Mercedes bei der Neufassung des OM 471 verfolgte. Eine Verlagerung der Nenndrehzahl von 1.800 auf 1.600 Touren spricht ebenso für sich wie das Zusammentrommeln radikaler Kräfte im Drehzahlkeller. Denn dort findet der wahre Fortschritt in Form von bemerkenswertem Zuwachs an Kräften statt: Ist der bekannte OM 471 in diesen Regionen nun ja schon überhaupt kein Kind von Traurigkeit, so treten die neuen Maschinen jetzt allesamt als kleine Drehmomentmonster unterhalb von 1.000 Touren an.

Bei der 420-PS-Variante zum Beispiel verfügt der neue Motor bei 800/min über ein Drittel mehr an Mumm als der Vorgänger, was einem Plus von circa 65 PS entspricht. Konkret bedeutet das 240 statt 175 PS. Zwischen 800 und 1.000 Touren schmilzt der Vorsprung dann zwar langsam dahin, doch ist die Drehmomentcharakteristik beim neuen OM 471 insgesamt vollkommen verschieden. Denn während bei OM 471 alt das Drehmoment unterhalb von 1.000 Touren rapide schwindet, hält der neue OM 471 in 420-PS-Version einen fast dem Maximum entsprechenden Wert bis hinab auf ungefähr 770/min.
Um richtigen Profit beim Verbrauch aus dieser Zähigkeit der neuen Aggregate mit ihren ebenfalls nach links gerutschten Kennfeldern des günstigsten Verbrauchs zu schlagen, bringt Mercedes denn gleich eine noch längere als die bisher längste Hinterachse.

Mit einer Übersetzung von 2,533 statt wie bisher 2,611 senkt das die Drehzahl um ungefähr drei Prozent. In der Praxis fallen damit bei Autobahntempo 85 km/h jetzt nur noch 1.150 statt wie vorher rund 1.185/min an – bei dieser neuen Drehmomentcharakeristik ist das gut zu verkraften. Selbst 65 km/h im höchsten Gang brauchen die Drehmomentreserven der neuen Aggregate noch nicht restlos auf: Fing OM 471 alt da mit langer Achse an, schon deutlich abzubauen, so nimmt OM 471 neu trotz längerer Achse ein solches Treiben relativ gelassen hin. Bis hinab auf ungefähr 800 Touren steht er eben stets ungeheuer gut im Futter. Vollkommen unabhängig von der Leistungsklasse sind die Motoren allesamt so ausgelegt, dass der knackige Wert von 2.000 Nm bei 800/min schon überschritten ist.

Grundlegende Änderungen bringen den Unterschied

Ziehenlassen bis 800 Touren: Das ist nur der eine Teil des Sparprogramms, das Mercedes aufgelegt hat. Der andere Teil umfasst Kürzungen bei der Rate an Abgasrückführung (AGR). Dem Motor die eigenen Abgase wieder zu verfüttern, ist ja eine verbreitete Methode, die Entstehung von Stickoxiden per Senkung der Verbrennungstemperatur zu vermindern. Für den Verbrauch ist dieses Verfahren allerdings eher nachteilig. So kommt es, dass Mercedes eben auch an dieser Stellschraube gedreht hat, die Verbrennung nun etwas heißer vor sich gehen lässt und gegen die dadurch gestiegenen Rohemissionen etwas potentere SCR-Kats auffährt.

Möglich macht jene geringere AGR-Rate aber erst eine grundlegende Änderung im AGR-Trakt: Da gibt es nun statt der bisherigen Klappe ­einen neuen Torhüter, der weit nach vorn im Abgaskrümmer gewandert ist und vor allem eines kann: Diese jetzt sehr fein steuerbare Klappe erlaubt es erstmals, die Verteilung der Abgase zwischen Krümmer und Lader stufenlos und präzise zu regulieren. Genau das bewirkt, dass die AGR-Rate dank insgesamt besserem Thermomanagement niedriger ausfallen kann. Der Spielraum wird mit der neuen, stufenlos steuerbaren Klappe so groß, dass Mercedes gar von ­einer "neuen Bandbreite der Asymmetrie“ spricht. Gemeint ist: Je nach Bedarf können die Abgase der drei Zylinder ganz oder gar nicht der Verbrennung zugeführt werden. Die AGR-Klappe steuert somit zum einen den Strom der zurückgeführten Abgase und zum anderen den weiterhin asymmetrisch konzipierten Turbolader.

"Entfeinern" nennt Motorenchef Elmar Böckenhoff dieses Vorgehen, das es dem OM 471 der Zukunft erlaubt, zum Beispiel auf ein Wastegateventil am Turbo und auch auf AGR-Sensor sowie AGR-Regelung zu verzichten. Das macht die Technik insgesamt simpler und weniger anfällig, spart obendrein Kosten in der Produktion

Nicht nur die Leistung steigt, sondern auch der Preis

Nicht minder tiefgreifend ist, was sich bei  den neuen Motoren an der Einspritzung alles getan hat. Von 2.100 auf 2.700 bar ist zum Beispiel der maximale Einspritzdruck geklettert. Dieser besonders hohe Druck machte zum Beispiel die neue Top-Motorisierung mit 530 PS und 2.600 Nm erst möglich. Damit wird der neue OM  471 nicht zuletzt für all jene interessant, die für diese Größenordnung bei Leistung und Drehmoment in der 13-Liter-Klasse bisher bloß bei ­Scania, ­Volvo oder Iveco fündig wurden.

Auf Abgasrückführung ganz zu verzichten, wie es Iveco grundsätzlich und Scania bei bestimmten Motoren praktizieren, kommt für Mercedes nicht in Frage.  Eingebunden in die weltweite, HDEP genannte Plattform der Lkw-Motoren, gelten für den Stern in dieser Hinsicht eben andere Prioritäten als für Hersteller, die in den USA nicht aktiv sind.
Grund dafür: Die aktuellen US-Abgasnormen schreiben nun einmal deutlich schärfere Grenzwerte für Stickoxide vor als das Euro-6-Reinheitsgebot in der alten Welt. Und diese US-Limits wären mit SCR-only – der hohen NOx-Rohemissionen eines solchen Motors wegen – nur zum Preis eines untragbar hohen Adblue-Verbrauchs machbar. So kommt es, dass die AGR-Rate beim neuen OM 471 zwar reduziert ist, AGR aber weiterhin vorhanden bleibt – und jetzt sogar eine steuernde Rolle übernimmt.

Als Gewinn der neuen Technik stellt Mercedes – Adblue-Mehrverbrauch und Dieselminderverbrauch gegeneinander verrechnet – rund 900 Euro weniger an jährlichen Kosten bei einer Jahresfahrleistung von 130.000 Kilometern in Aussicht. So nimmt es wenig Wunder, dass es auch beim Listenpreis für alle Mercedes mit neuem OM 471, die damit nebenbei zehn Kilo an Nutzlast zulegen, einen kleinen Ruck gibt. Der geht allerdings nicht nach links, sondern nach oben: und zwar um exakt 2.450 Euro.

Vorreiter

Den Vorreiter spielte der OM 471 schon bei der Europa-Einführung der neuen Weltmotoren. Und eine weltweite Pionierrolle nimmt er jetzt mit der Einführung all der Technik ein, die die neue Generation des OM 471 ausmacht.

Auf immerhin 60 Millionen Euro beziffert Mercedes die Summe, die in die Entwicklung der neuen 471er-Motoren geflossen ist. Klarer Fall, dass der kleine Bruder OM 470 mit seinen 10,7 Liter Hub­raum auf kurz oder lang ebenso davon profitieren wird wie die weitere Verwandtschaft bei Detroit Diesel in den USA bis hin zum 14,6 Liter großen DD15. Weniger wahrscheinlich allerdings, dass die nicht sonderlich stückzahlträchtigen Big-Blocks wie OM 473 und DD16 mittelfristig ähnlich großen Umbauten entgegensehen. Die Änderungen einfach zu übertragen dürfte wegen deren auf Turbocompoundtechnik basierendem Konzept nicht so einfach sein.

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