Autobahnkanzlei Original oder Fälschung?

Fahrer vor Gericht, Ausnahmegenehmigung Foto: Thomas Küppers

Die Kopie einer Ausnahmegenehmigung ist in den Augen eines eifrigen Polizisten gleich Betrug im großen Stil.

Stell dir vor, du bist 45 Jahre alt, hast zwei Kinder und eine liebenswerte Frau. Du hast eine kleine Spedition mit fünf Fahrzeugen. Deine Frau hilft mit im Betrieb, deswegen hast du wenig mit Verwaltungskram zu tun. Die Woche über bist du meist unterwegs. Du hast ein kleines Häuschen und wenn alles klappt, ist es in ein paar Jahren abbezahlt. Mit Lenk- und Ruhezeiten gab es noch nie Probleme. Gesetze werden tunlichst eingehalten. Auch bei der letzten Betriebsprüfung gab es eine Rückzahlung. In dir steckt kein bisschen Hoeneß. Für Sonntags- und Feiertagsfahrten im Dienste einer großen Zeitung hast du eine Ausnahmegenehmigung. Die hast du einmal kopiert und in den Lkw gelegt, das Original ist im Büro abgelegt. Manche halten dich für übermäßig ordentlich.

Zu Unrecht verdächtigt

So und jetzt stell dir bitte vor, du bist ein Mittvierziger und ein kleiner Spediteur, aber deine Laster laufen nicht sonderlich rentabel. Du lässt deine Leute auch sonntags fahren. Gehälter zahlst du eher schleppend. Die Lkw sind in einem desolaten Zustand. Der Gerichtsvollzieher weiß mittlerweile schon, wann bei dir der Kaffee frisch gekocht ist. Auf dem Hof und in der Werkstatt liegen leere Bierflaschen. Deine Frau ist längst durchgebrannt. Als du eine Ausnahmegenehmigung für Sonntagstransporte kriegst, ist dir sofort klar, was zu machen ist. Du gehst zum nächsten Copyshop, kopierst es fünfmal in Farbe und manipulierst an den Kennzeichen. Für jeden Lkw eine Ausnahmegenehmigung. Du legst sie in die Lkw und sagst den Fahrern, dass es die Originale seien. Na, wie fühlt man sich so als Fälscher? Kennengelernt haben wir in unserer Kanzlei nur den ersten. Die Polizei vermutet in ihm aber den zweiten. Die Beamten trauen Martin P.*, ohne die Verhältnisse näher zu prüfen, eine ganze Menge krimineller Energie zu.

Begonnen hat das Ganze an Fronleichnam 2013. Unser Mandant ist morgens noch mit seiner Familie bei der Prozession mitgelaufen. Am Nachmittag hat er sich von seiner Familie verabschiedet und ist losgefahren. Gegen halb sechs abends wird Martin von einer Polizeistreife angehalten. Die machen ihn darauf aufmerksam, dass Fronleichnam ein Feiertag sei. Martin verweist auf seine Ausnahmegenehmigung. Einer der beiden Polizisten durchleuchtet die Genehmigung sofort mit der Taschenlampe und sucht nach einem Wasserzeichen. Martin erläutert sofort, dass das eine Farbkopie sei. "Das wird teuer", sagt der Polizist. Sehr viel mehr erklärt er nicht.

Anklage wegen Urkundenfälschung

Drei Monate später bekommt er eine Vorladung zur Polizei, es ginge um Urkundenfälschung. Martin lehnt die Einladung dankend ab und bittet Rechtsanwalt Christoph Betzer von der Autobahnkanzlei um Hilfe. Betzer macht, was Strafverteidiger immer zuerst tun: Er beantragt Akteneinsicht. Das ist schnell erledigt. Die Akte ist nicht dick und das Merkwürdige: Es steht auch nichts wirklich Belastendes drin. Im Einsatzbericht der Polizei findet sich der ausdrückliche Hinweis darauf, dass Martin mehrere Lkw hat. Durch die Vervielfältigung mittels Farbkopierer wäre er in der Lage, die Gebühren für die Beantragung der Sondergenehmigungen zu sparen, illegal Sonntagsfahrten durchzuführen und hunderte Euro Bußgelder zu sparen, da ja die Kopie kaum vom Original zu unterscheiden sei.

Rechtsanwalt Betzer sitzt sprachlos vor dem Ermittlungsbericht. Das Papier trieft vor unsachlichem Ermittlungseifer. Die Polizei hat nämlich keine weiteren Kopien für die anderen Lkw vorliegen. Sie hat auch nicht danach gefragt, geschweige denn gesucht. Die Polizei hat die anderen Fahrer noch nicht einmal kontaktiert. Ebenso wenig hat sie überprüft, ob die anderen vier Lkw am Wochenende überhaupt in Bewegung waren. Die Phantasie eines Polizisten über die Möglichkeiten, die ein Spediteur mittels eines Farbkopierers haben könnte, werden unvermittelt zum Tatvorwurf. Betzer ruft den zuständigen Staatsanwalt an und sensibilisiert ihn für den Fall. Der will sich der Sache annehmen. ­Betzer beruhigt den Mandanten. Er ist ­sicher, dass da nichts mehr anbrennen kann. Fünf Monate später erhält der Rechtsanwalt Post vom zuständigen Amtsgericht. Klar, das muss die Einstellung sein. Wie ein Hammer trifft ihn das Wort "Strafbefehl". Die Staatsanwaltschaft hat sich offensichtlich nicht groß darum gekümmert und das Amtsgericht hat nicht lange gefackelt und 3.200 Euro Geldstrafe verhängt: wegen des Herstellens einer unechten Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr.

Staatsanwaltschaft muss neutral arbeiten

Rechtsanwalt Betzer erkundigt sich bei Martin. Bei dem hat keiner nach den Standzeiten der anderen Lkw gefragt. Seine Fahrer wurden auch nicht befragt. Ein Strafbefehl ins Blaue. Betzer legt Einspruch ein und beantragt schnell noch ein zweites Mal Akteneinsicht. Das Ergebnis ist beschämend. Nach wie vor derselbe Ermittlungsstand. Das ist erschreckend, denn die Staatsanwaltschaft ist, so lernen es Juristen in der Ausbildung, die neutralste Behörde der Welt. "Sie hat während des ganzen Verfahrens Belastung und Entlastung gleichermaßen zu berücksichtigen", heißt es in der Fachliteratur. Dass die pure Phantasie eines Polizeibeamten sogar bis zum Strafbefehl führen kann, ist mit diesem Grundsatz nicht in Einklang zu bringen.

Die Verhandlung findet Ende Februar vor dem Amtsgericht statt. Martin ist sehr aufgewühlt. Nach Verlesen des Strafbefehls äußert sich Rechtsanwalt Betzer zum Vorwurf. Er legt dar, dass es nur eine einzige Kopie gibt, dass die anderen Lkw sonntags stehen und auch an Fronleichnam gestanden haben und dass die Beantragung weiterer Genehmigungen nie infrage kam. Die Richterin schaut verdutzt in Richtung Staatsanwalt. Der stellt noch ein paar Fragen, die den guten Eindruck von Martin nur erhärten. Bevor der phantasievolle Beamte befragt wird, hat die Richterin eine Frage an den Staatsanwalt: "Warum bitte, Herr Staatsanwalt, kommt so etwas zum Amtsgericht?" Der Staatsanwalt besteht darauf, dass doch bitte erst mal der Polizist gehört werden solle. Danach könne alles anders aussehen.

Übereifriger Polizist und Spende ans Tierheim

Der Beamte erzählt stramm und frei. Ihm sei gleich klar gewesen, wozu diese Kopien dienen würden. Die Richterin unterbricht ihn und fragt, warum er von "Kopien" spreche. Wie viele es denn gäbe. "Na fünf – für jeden Wagen eine", antwortet der Beamte. Woher er das denn wisse, fragt die Richterin. Das sei doch klar, schließlich habe P. fünf Lkw, erwidert der Uniformierte. Rechtsanwalt ­Betzer fragt, ob es strafbar sei, fünf Lkw zu haben, und ob die alle an Fronleichnam gefahren seien. "Ja, klar", ruft der Beamte. Woher er das wisse? Dafür habe der Angeklagte sich doch die Kopien gemacht, meint der Polizist. "Die Kopien meinen Sie, von denen Sie gar nicht wissen, ob sie gemacht wurden, nicht wahr?", ergänzt die Richterin.

Der Staatsanwalt versucht, sich schützend vor den Beamten zu stellen. Das gelingt ihm bei der jetzt wütenden Richterin aber nicht mehr. Die Richterin schaut zu Betzer und fragt: "Freispruch, Herr Verteidiger? "Nö", meint der. "Einstellung gegen 100 Euro an den Tierschutzverein, wenn damit auch die Bußgeldangelegenheit wegen des Nichtmitführens des Originals in allen Fällen erledigt ist. Wir wollen einen Schlussstrich und nicht, dass da noch was folgt." Der Schlussstrich wird gezogen. Die 100 Euro bringt Martin in bar nach der Verhandlung beim Tierheim vorbei. Von jetzt an fährt auch immer das Original der Genehmigung im Lkw mit. Der Fall zeigt, wie schnell man wegen eines übereifrigen Beamten in die Mühlen der Justiz geraten kann.

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