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Alpentransit Dem Chaos vorbeugen

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

900 Tage ohne Gotthard-Straßentunnel – geht das? Die Schweizer Regierung prüft nun Plan B, den Bau einer zweiten Röhre.

Umdenken in der Schweiz: Die Regierung, die seit Jahren die Verlagerung von Verkehren auf die Schiene vorantreibt, richtet ihr Augenmerk zurzeit ungewöhnlich stark auf die Straße. Sie prüft den Bau einer zweiten Tunnelröhre durch den Gotthard-Straßentunnel. Denn nach dem Felssturz am Gotthard mit massiven Auswirkungen auf die Schiene ist die  Anfälligkeit der Infrastrukturen im Alpentransit wieder deutlich geworden.

Das Volk entscheidet

Fraglich ist, ob das Tunnelprojekt auf der Straße rechtlich durchzusetzen und mit dem Alpenschutzabkommen vereinbar ist. Fest steht, dass es dazu eine Volksabstimmung geben wird und eine Ablehnung nicht auszuschließen ist. Für die Öffentlichkeit war die Kehrtwende des Bundesrats, wie die Schweizer Regierung heißt, in der Gotthard-Frage vom Knalleffekt her mit dem Felssturz vergleichbar. Dieser hatte am 5. Juni die Gotthard-Bahnlinie unterbrochen, die erst am 2. Juli wieder freigegeben werden konnte. Bis dahin war es dort zu erheblichen Behinderungen gekommen.

Mit dem Umschwenken der Regierung hatte kaum jemand gerechnet. Doch die Sanierung des mehr als 30 Jahre alten Gotthard-Tunnels ist unaufschiebbar und verbunden mit einer 900 Tage langen Sperre, die man bis zu sieben Jahre strecken könnte. Nach dem neuen Plan der Regierung würde mit den Reparaturen erst nach Fertigstellung der zweiten Röhre begonnen – also voraussichtlich im Jahr 2027.

Verkehrsbehinderungen zwingen Regierung zum Umdenken

Das Chaos und die gerade überstandenen Verkehrsbehinderungen hätten die Regierung zum Umdenken gezwungen, hieß es in Bern. "Damit die für die Schweiz und Europa wichtige Gotthard-Verbindung auch während der Sanierung des Straßentunnels erhalten bleibt, schlägt der Bundesrat den Bau einer zweiten Straßenröhre – ohne Kapazitätserweiterung – vor", erklärte die Regierung. Dies sei "sowohl vom Aufwand und den Kosten als auch von der Sicherheit her langfristig die sinnvollste Lösung".

Die Zahl der durchfahrenden Lkw würde nicht größer, denn es wäre in jedem Tunnel bei zweispurigen Fahrbahnen jeweils nur eine Spur in jede Richtung in Betrieb. Dies würde auch Frontal- oder Streifkollisionen verhindern, bei denen zwischen 2001 und 2010 sechs Menschen im Gotthard gestorben sind. Am bisherigen Tropfenzählersystem will die Regierung ebenfalls festhalten, weil das Risiko eines schweren Brandes bleibe.

Sanierung kostet 750 Millionen Euro

Die reine Sanierung des bestehenden Tunnels ohne zweite Röhre kostet nach bisherigen Berechnungen bis zu 900 Millionen Franken (fast 750 Millionen Euro). Um den Verkehr von 5,4 Millionen Pkw und 930.000 Lkw jährlich trotz Sperrung zu bewältigen, müssten weitere kostspielige Maßnahmen wie Verlademöglichkeiten ergriffen werden, die nach der Sanierung nicht mehr gebraucht würden. Insgesamt beliefen sich die Kosten nach Berechnungen der Regierung auf bis zu zwei Milliarden Franken (1,6 Milliarden Euro).

Für den Bau einer zweiten Röhre mit anschließender Sanierung des bestehenden Tunnels müsste die Schweiz dagegen rund 2,8 Milliarden Franken (2,3 Milliarden Euro) aufbringen. Die höheren Investitionen gingen aber mit einem erheblich gesteigerten Nutzwert einher und zahlten sich langfristig somit aus, ist die Regierung sicher. Mit dieser Variante stehe dann dem Personen- und Güterverkehr künftig ein mehrfach nutzbares System zur Verfügung: Sobald beide Tunnel in Betrieb sind, gibt es in jeder Röhre eine Fahrspur und einen Pannenstreifen. Der normale Unterhalt könne so künftig ohne Sperrnächte garantiert werden und die nächste, nach rund 40 Jahren nötige Sanierung könnte ohne aufwendiges Verkehrsmanagement erfolgen.

Zweite Tunnelröhre frühestens 2027

Mit der Inbetriebnahme der neuen Tunnelröhre rechnen die Verantwortlichen in Bern frühestens 2027, da langwierige Rechtsverfahren drohten. Die anschließende Sanierung des bestehenden Tunnels dauert rund 2,5 Jahre. Mit dem Bau einer zweiten Straßenröhre werde  der Alpenschutzartikel, ein zentrales Element der Schweizer Verkehrspolitik, nicht berührt. Er verlangt, dass der alpenquerende Transitverkehr auf der Schiene zu erfolgen hat und dass die Transitstraßen-Kapazität im Alpen­gebiet nicht erhöht werden darf.

Um die Güter auf die Schiene zu verlagern, will die Regierung die bisherigen Instrumente fortführen und etwa einen Vier-Meter-Korridor auf der Gotthard-Achse und mehr Terminalkapazitäten südlich der Alpen einrichten, um Kombinierte Verkehre zu fördern.

Der Schweizerische Transporteursverband Astag begrüßt den Ansatz der Regierung zur Sanierung des Straßentunnels. "Im Interesse der Sicherheit ist es zwingend notwendig, dass zuerst eine zweite Röhre gebaut wird. Alle anderen Varianten mit einer Total- oder Teilsperrungen sind völlig illusorisch", erklärt der Verband. Aus Sicht der Alpeninitiative und von Politikern aus dem grünen und dem sozialdemokratischem Lager der Schweiz widerspricht die zweite Röhre dem Alpenschutzartikel, da sie zu einer Kapazitätserhöhung führe. "Wer Verkehr auf die Schiene verlagern will, muss Schienen und nicht Straßen bauen", heißt es.

2015 - das Jahr der Volksabstimmung?

Schon 1994 und 2004 hatten die Schweizer Stimmbürger eine zweite Gotthard-Röhre für den Straßenverkehr abgelehnt. Die neue Volksabstimmung dürfte nun 2015 stattfinden. Ein Jahr später soll der Eisenbahn-Basistunnel am Gotthard eröffnet werden. Zusammen mit dem Lötschbergtunnel dient das Milliarden-Bauwerk Neat der Verkehrsverlagerung auf die Schiene. Die Gegner der zweiten Röhre dürften dann argumentieren, dass bald auch der Verkehr durch den Gotthard vierspurig rollen wird. Wer Milliarden in einen neuen Tunnel stecke, wolle ihn auch richtig nutzen.

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