Aerodynamik Gezähmte Luftwirbel

Technik im Wandel – Aerodynamik Foto: Archiv 14 Bilder

Der Wunsch nach geringem Verbrauch belebt die Diskussion um Aerodynamik im Fahrzeugbau seit Jahrzehnten. In die Serienherstellung schaffen es aber nur wenige Ideen.

Geht es um Aerodynamik, standen zwei Forderungen in den vielen Studien, Tests und Untersuchungen schon immer im Widerstreit: eine optimale Nutzung von Lade- oder Fahrgastraum einerseits und eine Karosserieform mit möglichst kleinem Luftwiderstand andererseits. Zu verwirklichen versuchte dies der Ingenieur Edmund Rumpler bereits 1930 mit einem frontgetriebenen, tropfenförmigen ausgelegten Lkw, den der Ullstein Verlag im Zeitungs-Expressdienst nutzte. Für das auf eine Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde ausgelegte Fahrzeug lieferte Continental spezielle Reifen.

Geringem Luftwiderstand und effizienter Raumnutzung

Einen Kompromiss zwischen den Forderungen von geringem Luftwiderstand und effizienter Raumnutzung herzustellen versuchte später der MAN-Designer Klaus Flesche mit dem Projekt X90, an dem der Hersteller seit Mitte der 70er-Jahre arbeitete. Anstelle des X90 kam später ein vergleichsweise biederer F90 auf den Markt. Familienähnlichkeit und Merkmale wie eine stärker geneigte Frontscheibe gehörten dann auch zum Bild des MAN der 90er-Jahre. Wenn auch ein grundlegendes Element  in einem Lkw eines anderen Herstellers wieder auftauchte: Flesche trennte in seinem futuristischen X90 den Unterbau radikal von der Kabine. Renault nahm diese Idee 1990 im Magnum wieder auf, der auch mit der serienmäßigen aerodynamischen Chassisverkleidung ein völlig neues Konzept im europäischen Lkw-Bau verfolgte.

Vor dem Hintergrund der ersten Energiekrise folgten weitere Versuche, die ebenso auf einen verringerten Luftwiderstand zielten. Etwa zweieinhalb Millionen Mark kostete der Lkw-Prototyp, den der Stuttgarter Fahrzeugbauer Steinwinter 1979 vom Heilbronner Omnibushersteller Drogmöller bauen ließ. Eine runde Million der Summe war von öffentlicher Hand subventioniert. In die Serie ging der Überkopflader allerdings nie.

Die Idee mit dem abgesenkten Fahrerhaus war wiederum nicht neu. 1963 entwickelte Büssing ein ähnliches Konzept mit einem Motorwagen und einer Unterflurkabine, das ebenfalls eine bessere Aerodynamik zum Ziel hatte. 1965 stand dann ein zusammen mit dem Designer Louis Lepoix als Decklaster bezeichnetes Gefährt auf den Rädern, das auf dem Supercargo 22-150 aufbaute und mit zwei vorderen Lenkachsen ausgerüstet war. Neben einer langen und glatten Ladefläche sollte damit  zugleich der Einstieg für den Nahverkehr abgesenkt werden. Der  Prototyp stellte bei zehn Meter Ladelänge 15 Tonnen Gesamtgewicht zur Verfügung.

Das verhältnismäßige tiefe Sitzen erzeugt gewisse Ängste

Durchgesetzt hatte sich auch dieses Konzept  mit nach unten verlegtem Fahrerhaus nicht. Einen aus Sicht der Fahrer plausiblen Widerstand brachte damals der Iveco-Chefdesigner Leonhard Schmude auf den Punkt: "Das verhältnismäßige tiefe Sitzen erzeugt offenbar gewisse Ängste, besonders wenn man 40 Tonnen im Rücken und einen Teil davon über sich hat." Zudem gehe den meisten Fahrern offensichtlich das Gefühl der persönlichen Sicherheit verloren, sobald sie nicht mehr auf den Verkehr der schnelleren Pkw herunterschauen könnten.

Einer für die Aerodynamik bestimmenden Maxime schloss sich derweil Helmut Albrecht aus dem Daimler-Bereich Forschung und Entwicklung Anfang der 80er-Jahre an. Das Nutzfahrzeug solle im Wortsinn einen Nutzen bringen. Als Voraussetzung gelte die Wirtschaftlichkeit. Helmut Albrecht: "Ich schließe mich dabei der Ansicht des Bauhaus-Architekten Le Corbusier an, der feststellte, dass die Form der Funktion zu folgen habe." Der Daimler-Entwicklungsingenieur war zwar davon überzeugt, dass in den Neunzigerjahren am Aufbau zunehmend aerodynamisch ausgebildete Radien zu finden sein würden. Auch schätzte er Instrumente wie rechnergesteuerte Prüfstände und Windkanäle für die praktische Grundlagenerprobung. Dennoch prognostizierte Albrecht für die 90er-Jahre, dass sich das Basiskonzept des Lkw in seiner damaligen Form im Wesentlichen wenig ändere.

Die Unbeweglichkeit des Gesetzgebers

Künftige Konstruktionen, so Albrecht, seien mit einem beträchtlichen und zunehmend vielseitiger abzustimmenden Entwicklungsaufwand verbunden. Hemmend wirke sich dabei die Unbeweglichkeit des Gesetzgebers aus. Schon damals forderte der Nutzfahrzeugentwickler eine neue Regelung der Fahrzeugabmessungen: "Der Gesetzgeber sollte baldmöglichst ökonomisch vernünftige Fahrzeugabmessungen erlauben. Aerodynamische Verkleidungen, die einige Zentimeter an Länge benötigen und keine Fracht aufnehmen können, sollten außerhalb der gesetzlichen Gesamtlänge rangieren."

Ziel einiger Studien Anfang der 80er-Jahre war es indessen, aerodynamischen Nutzen aus einer hochgesetzten Fahrerkabine zu ziehen. Umstritten waren solche Konzepte schon damals. Auch Iveco-Designer Schmude hielt wenig von dieser Idee: "Das hochgesetzte, schwalbennestartige Fahrerhaus ist in unseren Studien passé. Es dürfte bestenfalls da und dort bei einigen Spezialfahrzeugen erhalten bleiben."  Mit Rücksicht auf den Fahrer blieben für die Neunzigerjahre nur die herkömmliche CoE-Bauart, also Cabin over Engine (Fahrerhaus über dem Motor), und die mittelhohe Kabinenanordnung ähnlich den Unterflur-Arbeitsplätzen der Busse.

Der Designer Luigi Colani, vom Spiegel einst als "Großmaul der deutschen Designer" tituliert, hielt dies nicht davon ab, den Fahrerarbeitsplatz in schwindelnde Höhen zu verlegen. 1977 startete der Maestro den ersten Versuch eines auch unter aerodynamischen Gesichtspunkten neuen Lkw, der in den folgenden Jahren laut lastauto omnibus-Redakteur Michael Kern "unbrauchbar auf dem Hinterhof eines Spediteurs vergammelte". Seine zweite Studie, die auf einem Mercedes 1729 K basierte, kommentierte 1993 der damalige lastauto omnibus-Chefredakteur Rainer Rex mit "Außen hui und unten pfui".

Das Schwalbennest zeigt sich wenig komfortabel

Zwei Jahre danach folgte ein weiteres Exemplar, diesmal basierend auf dem Mercedes 1838, den Colani dem Autoteile-Expressdienst NVS lieferte. lastauto omnibus-Tester Michael Kern kam schwer ins Grübeln, als er den Lkw ausgeladen hatte und vom Hof fahren wollte. Da sich die Fuhre durch die Ladung etwas abgesenkt hatte, scheuerten die Räder lautstark vernehmlich in den Radläufen. Auch das "Schwalbennest" mit seiner großflächigen runden Verglasung zeigte sich vor allem im Sommer wenig komfortabel. Die Klimaanlage arbeitete mangels Entlüftung  kaum, herunterkurbelbare Fenster  gab es keine.

Hoffnungsvoller erscheinen die Studien Konzept-Truck und Dual-Mode-Truck von Scania aus dem Jahre 2003, die ebenfalls auf aerodynamische Verbesserungen abzielten. Die Fahrzeugfront des Dual-Mode-Trucks, der für das Jahr 2025 anvisiert war, sollte dank einer Energieversorgung mit in der Straße eingelassenen Kabeln und dem damit verbundenen verringerten Kühlbedarf ausschließlich nach aerodynamischen Maßgaben geformt werden können.

Ein verkleideter Unterboden

Konkreter waren die Ziele des Konzept-Trucks, die sich die Entwickler bis zum Ende des ersten Jahrzehnts nach der Jahrtausendwende vorgenommen hatten: Mit einer Länge von 28 Metern und einem Gesamtgewicht von 60 Tonnen sollte sich der Verbrauch um 25 Prozent verringern, im Wesentlichen dank eines vier Meter hohen, sich stufenlos an den Aufbau anschmiegenden rundlich geformten Fahrerhauses. Die derzeitige Chancen eines solchen Konzepts: eher unwahrscheinlich.

Wie sich das Feilen am Luftwiderstand bei Transportern auszahlen kann, zeigt der Aufbautenhersteller Spier mit seiner Aerobox. Er setzt dabei vor allem auf abgerundete Kanten. Dank Fendern zwischen Fahrerhaus und Aufbau, Seitenschürzen und Heckspoilern bringt sie es auf einen Luftwiderstandsbeiwert von cW = 0,36. Was umsetzbar ist und künftig in die Serienausstattung eingehen könnte, findet sich auch in einer Studie des Mercedes Vito aus dem Jahr 2010 wieder: rundgeschliffene Karosserie, verblendete Scheibenwischer und eine Abrisskante am Heck. Ein verkleideter Unterboden verhindert Verwirbelungen über der Fahrbahn. Je nach Kühlbedarf öffnen oder schließen sich Lamellen hinter der Kühlermaske. Im neuen Mercedes Actros ist diese Idee bereits im Serieneinsatz.

Verjüngte Seitenwände und optimierte Spiegel

Bei den Bussen stehen ökonomische Raumnutzung und aerodynamische Formgebung ebenso in Konkurrenz. Durchsetzen konnten sich aerodynamische Konzepte in der Vergangenheit so gut wie nicht. "Quaderförmige Fahrzeuge sind gefragt und mit aerodynamischen Formen kaum in Einklang zu bringen", stand 1977 in lastauto omnibus. MAN führte zu dieser Zeit dennoch Versuche durch, die bei unveränderten Grundformen den Luftwiderstand und somit den Verbrauch drückten. Schon eine abgerundete Front mit Kantenradien von weniger als fünf Prozent und optimierte Seitenspiegel führen zu erstaunlich reduzierten Luftwiderstandsbeiwerten von cW=0,36. Größere Front-, aber auch Bugradien verbesserten das Ergebnis nur unwesentlich. Am Heck zeigte sich die einzige Chance zur aerodynamischen Verbesserung, ohne den Innenraum zu verengen, in einer leichten Absenkung des hinteren Fahrzeugdachs und einer leichten Verjüngung der Seitenwände. An diesen Punkten setzen die Designer von Reisebussen auch heute an. Jüngeren Datums sind hingegen strömungsgünstige Radien an Front- und Seitenscheiben.

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