Abgaswärme-Rückgewinnung Energie zum Nulltarif

Abgaswärme-Rückgewinnung Foto: © Daimler

Transportieren zu immer günstigeren Betriebskosten. Die Rückgewinnung von
Energie aus dem Abgas kann einen Teil dazu beitragen – wäre sie serienreif. Ab 2018 könnte das so weit sein, sagt Daimler-Entwickler Dr. Elmar Böckenhoff. Das Interview führte Thomas Rosenberger

Warum entwickelt Daimler die WHR-Technologie?

Dr. Böckenhoff: Wir haben uns mit der ACEA-Verpflichtung "Vision 2020" das anspruchs­volle Ziel gesetzt, den Kraftstoffverbrauch bis ins Jahr 2020 um 20 Prozent zu reduzieren in Bezug auf das Basisjahr 2005. Darüber hinaus erfordern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Fahrzeuge, die zu immer günstigeren Betriebskosten Güter befördern. Daher untersuchen wir alle Ideen und Innovationen, die uns dabei weiterhelfen können. Dazu gehört auch die Energie-Rückgewinnung aus dem Abgas.

Ähnliches wird ja schon mit Turbocompound-Systemen bewerkstelligt.

Dr. Böckenhoff: In den USA verfügen wir an unseren Motoren mit 14,8 und 15,6 Liter Hubraum über einen Turbocompound. Das entspricht einer Nutzung der Abgaswärme, allerdings nicht in einem geschlossenen Kreislauf. Zudem erfordert der Turbocompound einen tiefen Eingriff in die Motorauslegung. Er ist aber eine sehr zuverlässige und effiziente Technologie. Ihr Nachteil: Die Leistung steht nicht in allen Drehzahlbereichen zur Verfügung. Der Turbocompound ist also eher für hohe Motorleistungen empfehlenswert, aber nicht für den klassischen Fernverkehr.

Für wie groß erachten Sie das Potenzial eines WHR-Systems?

Dr. Böckenhoff: 55 Prozent der Energie aus dem Kraftstoff verpuffen heute ungenutzt als Abwärme. Das bedeutet im Falle eines 400-PS-Motors unter Volllast, dass neben 400 PS Nutzleistung gleichzeitig etwa 500 PS Wärmeleistung anfallen. Dieses Potenzial nicht zu nutzen kann sich keiner leisten. Aber auch hier setzt die Naturwissenschaft enge Grenzen.

Welche sind das?

Dr. Böckenhoff: Beim Dieselmotor sind wir nahe an die real erreichbare Effizienz herangekommen. Aber es steht uns noch die­ ­nennenswerte Abwärme des Motors zur Verfügung. Unter optimalen Bedingungen lassen sich hier noch fünf bis sechs Prozent holen.

Welche technologische Umsetzung bevorzugen Sie?

Dr. Böckenhoff: Thermoelektrische Prozesse sind sehr teuer. Kosten und Nutzen stehen hier noch in einem unbefriedigenden Verhältnis.

Befürworten Sie also einen Kolbenexpander und die mechanische Kraftübertragung?

Dr. Böckenhoff: Das ist eine andere Möglichkeit, entweder eine Kolbenmaschine oder eine Turbine zu verwenden und dann die Energie direkt mechanisch zu übertragen. Wir haben uns beide Möglichkeiten angeschaut. Wir bevorzugen aber eine Strömungsmaschine, um die Expansionsenergie eines Arbeitsmediums zu nutzen.

Was ist der Grund dafür?

Dr. Böckenhoff: Wesentlicher Grund ist die Trennung von Arbeitsmedium und Schmiermittel. Es gibt immer ein kriechendes Eindringen des Arbeitsmediums über die Kolbenringe. Dieses Ethanol-Wassergemisch reduziert die Schmierwirkung von Öl deutlich. Das führt letztendlich zu einem Versagen der Expansionsmaschine. Eine vollständige Trennung der beiden Kreisläufe ist technisch zwar möglich, aber extrem aufwendig. Daher gehen wir weg von der Kolbenmaschine.

Wie sieht Ihre Lösung im Detail aus?

Dr. Böckenhoff: Manche Hersteller verwenden eine Turbine und erhalten Rotationsenergie, die sich unter anderem als elektrische Energie verwenden und in eine Batterie speichern oder wie bei einem Turbocompound mechanisch auf die Kurbelwelle bringen lässt. Beides hat Charme. Es hängt letztendlich davon ab, wie das Trägerfahrzeug konfiguriert ist. Bei der Strömungsmaschine lässt sich ein völlig entkoppeltes System darstellen, bei dem Schmiermittel und Expansionsfluid keinen Kontakt miteinander haben, etwa durch Magnetkupplungen. Schraubenkompressoren laufen damit praktisch schmierungsfrei. Turbinen arbeiten ebenfalls schmierungsfrei, sofern man das System richtig anlegt. Mehr Details will ich nicht verraten.

Wie verwenden Sie die Leistung?

Dr. Böckenhoff: Sie lässt sich mechanisch und direkt an den Antrieb gekoppelt verwenden oder elektrisch in eine Batterie speichern. Wir verfolgen beide Wege. Bei einem Hybridfahrzeug befindet sich die vollständige Technologie, also Batterie, Zwischenspeicher, Umrichter und Generator, an Bord, um elektrische Energie zu verwenden und ich bin sehr zuversichtlich, was die Markteinführung von Hybridnutzfahrzeugen in der Zukunft angeht. Bei der mechanischen Kopplung gibt es dagegen immer einen direkten Zusammenhang zwischen Leistungserbringung und -abnahme. Das ist nicht immer gewollt – etwa bei der Bergabfahrt. Hier lässt sich immer noch die Wärmekapazität der Abgasanlage nutzen. Aber in diesem Betriebspunkt ist sie für den Antrieb nicht nötig. Eine Zwischenspeicherung ist dann sinnvoller. Bei einem rein mechanischen Antriebsstrang wiederum spricht einiges dafür, den Kostenblock durch die elek­trische Anlage zu vermeiden und auf einige ­Effizienzpunkte zu verzichten.

Arbeiten Sie allein an der Technologie oder gemeinsam mit Partnern?

Dr. Böckenhoff: Wir arbeiten bei Teilkomponenten des Systems mit Partnern. Das sind Universitäten und Forschungsvereinigungen, die unter anderem das beste Arbeitsmedium für den Kreislauf suchen. Es gibt aber auch Zulieferer in der Entwicklung. Wärmetauscher sind beispielsweise nicht unsere Kompetenz. Aber es steckt ganz wesentlich eigenes Know-how im System. Wir wollen uns von Wettbewerbern differenzieren.

Welches sind die idealen Einsatzbedingungen für ein WHR-System?

Dr. Böckenhoff: Im Fernverkehr wird am meisten Diesel verbrannt. Hier ist also das größte Potenzial vorhanden. Genauer gesagt bei 80 km/h auf ebener Strecke. Die Motorleistung liegt hier ­zwischen 120 und 150 kW. Fünf Prozent Ersparnis entsprechen also der Rückgewinnung von 7,5 kW Leistung.

Gibt es hier regionale Unterschiede – also je nach Motorleistung und Zuggesamtgewichten?

Dr. Böckenhoff: Ja, aber das spielt nur eine untergeordnete Rolle. In den USA liegt der Betriebspunkt der Motoren im Schnitt 30 bis 40 kW über dem von europäischen Aggregaten. Dort werden geringere Zuggesamtgewichte mit höheren Geschwindigkeiten bewegt. Bei der WHR-­Effizienz von im Mittel fünf Prozent lassen sich zwei bis drei kW mehr holen. Der Unterschied ist ­also recht gering.

Wo wird die Wärme abgenommen?

Dr. Böckenhoff: Die Abnahme an der Abgasrückführung lohnt nur, wenn in den Hauptfahrbereichen auch eine entsprechend hohe AGR-Rate gefahren wird. Die Auslegung des WHR-Systems hängt also maßgeblich von der Steuerung des Motors ab. Hohe AGR bei niedriger Motorleistung, etwa im Leerlauf, ist ebenfalls nicht geeignet. Eines ist aber sicher: Die klassische Abgasnachbehandlung ist immer eine sichere Wärmequelle, die anfallende Wärme am AGR-Kühler eher ein zusätzlicher Nutzen. Der AGR-Kühler ist ein sensibles Bauteil. Hier muss man sich gut überlegen, ob man das Teil noch einmal anfasst und zusätzliche Komplexität hineinbringt. Eventuell ist es sinnvoll, sich mit drei bis vier Prozent Effizienzgewinn zu begnügen und auf ein bis zwei Prozent aus dem AGR-System zu verzichten.

Betreiben Sie schon einen Prototyp?

Dr. Böckenhoff: Ja. Wir ermitteln gerade, wie wir den Kunden eine Kraftstoffersparnis zur vertretbaren Kosten gewähren können. Und wir konzipieren derzeit ein Fahrzeug mit mechanischer Kraftkopplung.

Wo befinden Sie sich auf dem Weg zur Serienreife?

Dr. Böckenhoff: In der Vorentwicklungsphase. Vor 2018 rechne ich nicht mit einer Serienreife.

Was darf es kosten?

Dr. Böckenhoff: Die preisliche Region ist im Nutzfahrzeugsegment einfach auszurechnen. Wir teilen uns den Nutzen mit unseren Kunden und es muss sich innerhalb von wenigen Jahren rechnen. Der Preis richtet sich also nach der zu erzielenden Kraftstoffersparnis.

Was darf es wiegen?

Dr. Böckenhoff: Das Grundsystem ohne Hybridantrieb wird sich im Bereich unter 100 Kilo bewegen müssen. Sprechen wir von einer mechanischen Kopplung, kommt noch ein Getriebe mit rund 15 Kilo hinzu.

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