Daimler-Motorenplattform Aus einem Guss

Daimler-Motorenplattform, Gießerei Foto: © Daimler 12 Bilder

Mit dem OM 473 ist die neue Motorenplattform von Daimler in Europa komplett. In Nordamerika aber geht die Technik beim Volumenmotor DD15 schon in die zweite Runde.

Ein Welt-Lkw, das war der große Traum der Global Players in den 90er-Jahren: einer für alle, Stückzahlen ohne Ende und somit Skaleneffekte wie aus dem Schlaraffenland. Dass sich die Welt nicht auf solch einen einfachen Nenner bringen lässt, zeigte die Praxis jedoch ziemlich schnell.

Was sich aber dennoch beim Schürfen nach Potenzial als machbar vom großen Traum der weltweiten Standardisierung herauskristallisierte, das war unterm Blech der so grundverschiedenen Kabinen zu finden. "Triebstrang" lautete das Schlagwort, unter dem die Entwickler tätig wurden und sich in einem ersten Schritt auf dessen Herz konzentrierten: den Motor.

So kam es bei Daimler zum Projekt Heavy Duty Engine Platform (HDEP), das zumindest all den Märkten mit knackigen Abgasvorschriften à la Euro 6 eine einzige Motorenfamilie mit weitgehend gemeinsamem Nenner bescheren sollte. Den Anfang machte 2007 der 14,8-Liter-Motor DD15 in den USA, der in Europa OM 472 heißen müsste, für den europäische Gefilde aber erklärtermaßen tabu sind.

Ein Jahr später kam der DD13

Es folgte ein Jahr später der DD13 und wiederum im Jahr drauf auch der Big Block DD16, der dieser Tage erst als OM 473 zusammen mit dem Bau-Lkw Arocs und als Letzter in der Riege der HDEP-Motoren seinen europäischen Einstand gab. Allen Aggregaten gemeinsam ist die Bauweise als Reihensechszylinder, was vor allem für Europa einen Bruch bedeutet. Geht die V-Motorentradition in der Alten Welt bei Mercedes doch bis auf die 70er-Jahre zurück und waren die Schwer-Lkw mit dem Stern am Grill seitdem immer an den kurz bauenden V-Motoren ausgerichtet.

Warum die Wahl für die neue Plattform dennoch auf Reihen- statt auf V-Motoren fiel, ist leicht zu erklären: Nordamerika als der insgesamt größere Markt hat mit V-förmig angeordneten Zylindern nicht viel im Sinn. Tendenziell sind diese Maschinen zu breit für den in Längsrichtung aber üppig vorhandenen Platz unter der Haube. In Fragen von Wartung und Reparatur verfügt der Reihensechs­zylinder
sowieso über das einfachere ­Wesen.

Reihen-Sechszylinder war kleinster gemeinsamer Nenner

So kommt es, dass sich die Entwickler aus Japan, den USA und Europa zuerst einmal auf sechs Zylinder in Reihenform einigten. Dass die Zugänglichkeit beim Hauber zum Beispiel eine andere ist als beim Frontlenker, machte die Sache immer noch kompliziert genug und führte zu von Volvo bereits bekannten Merkmalen wie dem hinten angeordneten Rädertrieb.

"Das alles konzeptionell zu erfassen", erinnert sich Daimler-Nutzfahrzeug-Motorenchef Dr. Elmar Böckenhoff, "war enorm aufwendig." Dass auch beim Hubraum Alte und Neue Welt nicht einfach über einen Kamm zu scheren waren, zeigt nichts besser als das Beispiel des 14,8 Liter großen DD15, der nur für Amerika reserviert ist.

15 Liter Hubraum waren seinerzeit – vor allem in Gestalt der entsprechenden Caterpillar- und Cummins-Motoren – die absolute Referenz im nordamerikanischen Fernverkehr. Und sind es immer noch für viele Frächter, die geringerem Hubraum weiterhin nicht so recht trauen.

Seitdem Caterpillar aber aus dem Markt für Lkw-Motoren ausgestiegen ist und sowohl die 13-Liter-Aggregate von Volvo als auch von DAF (bei Paccar) erfolgreich laufen, gewinnen aber auch kleinere Motoren an Salonfähigkeit. Dennoch: "Aus marketingstrategischen Gründen kamen wir an dieser Hubraumklasse nicht vorbei", benennt Böckenhoff die Triebfeder hinter dem Split in 12,8 sowie 14,8 Liter Hubraum bei den verschiedenen Volumenmodellen für Europa und die USA (OM 471 und DD15). 

Spagat in Nordamerika

Einen Spagat ganz eigener Art hatte der DD15 für Nordamerika trotzdem zu leisten. Zum einen sollte er den Aufgaben eines Hochleistungsmotors gewachsen sein, wie er zum Beispiel für das Auf und Ab in den Rocky Mountains gebraucht wird. Zum anderen sollte er genauso gut als Volumenmotor fürs teillastbetonte Cruisen über die endlosen Highways taugen, das den Großteil des Fernverkehrs auf dem nordamerikanischen Kontinent ausmacht.

Der Turbocompoundantrieb, auf den die Wahl fiel, ist fürs schwere Schuften ideal. Ist er doch in der Lage, aus der Hitze des Abgases sowie dessen Volumenstrom per zusätzliche Turbine bis zu 50 weitere Pferdestärken zu generieren.

Für teillastbetontes Schnüren über den platten Asphalt bringt der Turbocompound, der bei den Daimler-Weltmotoren auf die Kurbelwelle wirkt, jedoch wenig. Dass Daimler sich trotzdem für diese Technik beim Volumenmotor DD15 entschied, hängt hauptsächlich mit Folgendem zusammen: Möglich wurde damit einerseits Baugleichheit mit dem schweren Brummer DD16 alias OM 473, der mit seinem ordentlich erhöhten Hub als Maschine für schwerste Einsätze eh ein idealer Kandidat für Turbocompoundtechnik ist.

System in Europa für den Bib Block reserviert

Warum dieses System in Europa strikt für den 15,6 Liter großen Big Block reserviert und weder beim 12,8 Liter großen OM 471 noch beim 10,7-Liter-Aggregat OM 470 auftaucht, hängt mit dem Gewicht, den Kosten sowie mit den etwas anderen Einsatzprofilen zusammen, für die diese beiden Reihensechszylinder  gebaut sind: "35 bis 40 Kilogramm wiegt die Mimik", sagt ­Elmar Böckenhoff. "Das gibt man nicht so einfach dran."

Zumal zumindest der OM 471 mit seinen gut 1.150 Kilogramm Eigengewicht per se nicht zu den Leichtgewichten zählt. Im Vergleich zum V6-Vorgänger OM 501 bringt er gleich einmal gut fünf Zentner mehr auf die Waage. Erst der OM 470 mit seinem kleineren Hubraum von 10,7 Litern und einem Eigengewicht von rund einer Tonne kann einigermaßen wieder dort anknüpfen, wo der alte V6 mit seinen knapp 900 Kilogramm hohe Maßstäbe gesetzt hat.

"OM 471 hat kein gramm zu viel"

Trotzdem betont Motorenchef ­Böckenhoff: "Der OM 471 hat kein Gramm zu viel auf den Rippen." Dahinter steckt: Mit den enorm hohen Zünddrücken von mehr als 200 bar, wie sie bei der neuen Motorengeneration von Daimler üblich sind, wären die Motoren der Baureihe 500 überfordert gewesen. Und genau diese hohen Zünddrücke aber, die von einem besonders hohen Zylinderfüllgrad herrühren, bezeichnet Böckenhoff als "einen der Schlüssel für optimalen Kraftstoffverbrauch".

Sie sind der Grund, warum Daimler das Kurbelgehäuse der neuen Weltmotoren so steif konstruiert hat und dieses auf mehr Substanz zurückgreifen muss als bei der vorigen 500er-Motorenbaureihe. Was der Turbocompound den 15,6- und 14,8-Liter-Maschinen als Vehikel zur Erzeugung des nötigen Drucks für die Abgasrückführung, ist die Turbine mit asymmetrischem Gehäuse, aber fester Geometrie für die Varianten mit 12,8 sowie 10,7 Liter Hubraum.

Asymmetrische Flutung

Sie stellt mit ihrer Teilung des Abgasstroms via asymmetrische Flutung sicher, dass das Abgas von einer Hälfte der Zylinder direkt den Turbo anströmt. Und richtet es zugleich, dass die Gase der anderen drei Zylinder aber jenen hohen Druck bekommen, den sie als Ticket für den erneuten Eintritt in den Brennraum eben brauchen. Auf den ersten Blick schaut all das so aus, als könne es mit der Gleichteilestrategie nicht mehr allzu weit her sein. Verschiedene Aufladungen, unterschiedliche Verhältnisse bei Bohrung und Hub, zudem eine Menge marktspezifischer Anpassungen jeweils für Europa, Japan und den NAFTA-Raum: 80 Prozent Gleichteile lautet trotzdem die offizielle Angabe von Daimler für den Grad an Gleichschritt, der mit der neuen Motorenplattform erreicht ist.

Quer durch die Baureihe zum Beispiel folgen das Air-Management, das Verbrennungskonzept und die elektronischen Steuerelemente sowie der Rädertrieb allesamt dem gleichen Prinzip. Auch sind die Kurbelgehäuse je Hubraumklasse identisch und verfügen über den gleichen Guss. Zylinderköpfe aus Guss mit Vermikulargrafit ziehen sich ebenfalls wie ein roter Faden durch die gesamte Motorenfamilie namens
HDEP.

Unterschiedliche Kolben und Zündverfahren

Obwohl sich zum Beispiel durchaus die Zündverfahren und auch Kolben je Kontinent unterscheiden, sind die Entwickler dennoch äußerst zufrieden mit dem erreichten Gleichschritt. Der aber will gepflegt sein:"Wir achten auch peinlich darauf, dass es so bleibt", sagt Motorenchef Böckenhoff, der "sehr zufrieden mit dem globalen Charakter der Motoren" ist. Eigens installierte Prozesse sollen es bei Daimler richten, dass das Konzept nicht verwässert wird. So muss sich zum Beispiel jede Änderung darauf abklopfen lassen, ob sie noch ins Gleichteilekonzept passt und entsprechend netzwerkfähig ist.
Im Wochenturnus stecken die Entwickler deswegen die Köpfe zusammen und hatten in letzter Zeit besonders mit einer Modifikation zu tun, die jetzt von Europa aus den Weg über den Atlantik in die USA genommen hat: Den 14,8-Liter-Motor DD15 bietet Detroit Diesel derzeit wahlweise auch mit asymmetrischem Turbo anstatt mit Turbocompound-Einheit an.

X-Pulse feiert Premiere

Was im Gegenzug eines Tages den umgekehrten Weg nehmen könnte, das ist die nächste Stufe der Common-Rail-Einspritzung X-Pulse, die in diesem Aggregat ebenfalls Premiere feiert. Statt mit maximal 2.100 bar wie bisher üblich strömt der Diesel dort nun mit Drücken bis um die 2.500 bar durch die Injektoren. "So können wir den Turbocompound effizient ersetzen und haben Gewicht sowie Kosten gespart", bilanziert Böckenhoff den Gewinn der Aktion.

Wackelt der Turbocompound damit am Ende auch schon beim Big Block mit 15,6 Liter Hubraum? "Nein", sagt Motorenchef Böckenhoff, "im Schwerstbereich hat dieses Prinzip ganz wesentliche Vorteile und ist unschlagbar."

Klein, aber oho

"Medium Duty" nennt Daimler die neuen Vier- und Sechszylinder 
OM 934 und OM 936 für Euro 6. Sie sind nicht ganz so global angelegt wie die großen Brüder, tragen aber dennoch zu einem guten Teil ähnliche Gene in sich. Im Gleichschritt mit den Großen laufen die Medium-Aggregate beim hinten angeordneten Rädertrieb und mit der dreistufigen Motorbremse. Und der Druckaufbau im Rail-System geschieht nicht zwei-, sondern einstufig.

Generell gehen die Medium-Motoren auch bei der Aufladung zumeist eigene Wege. Bei den Sechszylindern bis 299 PS macht sich ein asymmetrischer Turbolader mit zweiflutiger Turbine nützlich, während die beiden oberen Leistungsstufen auf zweistufige Aufladung mit einem Doppel an Ladern zurückgreifen. So ist es auch bei den beiden oberen Leistungsstufen des Vierzylinders, der sich in den zwei unteren Leistungsklassen mit einem traditionellen einstufigen Turbolader begnügt.

Die Mittleren haben aber auch etwas, was es bei den Großen nicht gibt: Die Rede ist von einer verstellbaren Nockenwelle, wie es sie bisher im Diesel noch nie gegeben hat. Dank ihr können die Auslassventile bei Bedarf früher als gewöhnlich öffnen und schließen, womit aus dem Zylinder heißeres Abgas entweicht. Dieses Verfahren dient der Regeneration des Partikelfilters und soll bis 30 Grad unter null funktionieren.

Zentrale Elemente der Baureihen

So sehr sich die verschiedenen Weltmotoren der HDEP-Plattform im Detail quer durch die Baureihen oder kontinentspezifisch unterscheiden, so ähnlich sind sie sich in folgenden zentralen Elementen.

Common-Rail-System mit Druckverstärkung: "X-Pulse" nennt Mercedes das zusammen mit Bosch entwickelte System, das auf 900 bar im Rail setzt und diesen Basisdruck in den Injektoren auf 2.100 bar erhöhen kann. Diese Druckverstärkung ist variabel und lässt sich fortlaufend an die aktuellen Gegebenheiten anpassen. Die Steuerung von Einspritzzeitpunkt, eingespritzter Menge sowie von Verlauf und Anzahl der Einspritzungen geschieht für jeden einzelnen Injektor individuell über das Motorsteuergerät. Zwei Magnetventile erlauben es, Druck und Druckverlauf der Haupteinspritzung frei zu modellieren. Grundsätzlich besteht jede Einspritzung aus mehreren einzelnen Aktionen. Maximal zwei Piloteinspritzungen stehen für sanften Druckanstieg, Aufgabe der Nacheinspritzung ist hauptsächlich die Tilgung von Partikeln.

Kurbelgehäuse: Mit ausgeprägt vertikalen Strukturen und besonderen Verrippungen ist der Motorblock sehr steif ausgelegt, hauptsächlich um den hohen Zünddrücken von mehr als 200 bar Paroli bieten zu können. Nasse Zylinderbuchsen stehen für eine gute Kühlung des Motors. Der Zylinderkopf (einteilig) besteht aus Grauguss mit Vermikulargrafit. Dieses Material besitzt eine besondere Temperaturwechselfestigkeit und dehnt sich bei hohen Temperaturen nur minimal aus. Zylinderkopf und Kurbelgehäuse  verfügen bei den HDEP-Motoren über einen annähernd gleichen Ausdehnungskoeffizienten. Das soll jedweden Verzug zwischen den beiden Komponenten bannen.

Rädertrieb: Er befindet sich auf der Abtriebsseite des Motors, ist ebenfalls sehr steif ausgelegt und treibt Ölpumpe, Luftpresser sowie die Hochdruckpumpe des Common-Rail-Systems und die beiden oben liegenden Nockenwellen an. Die Nockenwellen sind nicht aus dem Vollen gefräst, sondern gebaut und basieren – aus Gewichtsgründen – auf einer hohlen Welle.

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