Zwei Tage vor Inkrafttreten des neuen Fahrplans wissen deutsche Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht, wie teuer ab 14. Dezember ihre Trassenkilometer werden. Was im Straßen- oder Flugverkehr unvorstellbar wäre, ist im Schienenmarkt 2025 Realität – und symptomatisch für ein grundsätzliches Problem: die Finanzierung der Infrastruktur über Vollkosten.
Darauf macht der Branchenverband Mofair aufmerksam und fordert einen systematischen Kurswechsel. „2025 war das verrückteste Jahr in der Geschichte der Schienenmaut“, sagt Mofair-Präsident Martin Becker-Rethmann. Der Grund: Die Bundesregierung hatte zur Einhaltung der Schuldenbremse die Schieneninfrastruktur über Eigenkapital statt über Baukostenzuschüsse finanziert, mit massiven Folgen für die Trassenpreise.
Wieso explodieren die Trassenpreise?
Durch eine politisch motivierte Finanzierungslogik wurde das Eigenkapital der bundeseigenen DB InfraGo in nur zwei Jahren um 96 Prozent erhöht. Da Abschreibungen und Zinsen auf dieses Kapital erwirtschaftet werden müssen, steigen die Trassenpreise, bezahlt von Regionalverkehr, Fernverkehr und Güterbahnen. Im Güterverkehr, der ohnehin mit geringen Margen arbeitet, wird diese Belastung zunehmend zu einem Wettbewerbsnachteil gegenüber der Straße.
Der Kern des Problems: das Vollkostenprinzip
Aktuell stammen rund 80 Prozent der Trassen- und Stationspreise aus sogenannten Vollkostenaufschlägen:
- kalkulatorische Zinsen
- Abschreibungen auf Kapital
- Zuschläge zur Deckung „nicht direkt zurechenbarer Kosten“
Diese Berechnung widerspricht nicht nur Empfehlungen der EU-Kommission, sie ist vor allem extrem volatil. Die direkten Grenzkosten („unmittelbare Kosten des Zugbetriebs“), etwa Bedienung von Stellwerken oder Fahrplanaufwand, sind dagegen vergleichsweise stabil. Mofair argumentiert: Die Bereitstellung der Infrastruktur ist Daseinsvorsorge und muss aus Steuermitteln bezahlt werden. Kostenpflichtig sollte nur der operative Betrieb sein, so wie im europäischen Ausland längst üblich.
Das Ergebnis: Bürokratie-Monster statt Marktregulierung
Weil das Vollkostenmodell künstlich aufrechterhalten wird, hat sich ein ausuferndes Regulierungssystem entwickelt. Die Bundesnetzagentur muss jedes Jahr klären:
- Welche Verkehrsart (SPNV, SPFV, Güterverkehr) kann welche Kosten „am wenigsten schlecht“ tragen?
- Sind die Vollkostenaufschläge markttragfähig?
- Wie wird der „Weighted Average Cost of Capital“ berechnet?
- Welche Regressionsmodelle durften genutzt werden?
Die DB-Tochter InfraGo trägt dabei kein Risiko, ihre Kosten werden immer ausgeglichen, egal wie ineffizient das Netz arbeitet. Der eigentliche Kern der Regulierung, die – Qualität und Leistungsfähigkeit des Netzes, spielt hingegen kaum eine Rolle.
Warum jetzt ein radikaler Systemwechsel nötig ist
Mofair fordert einen Übergang zum Grenzkostenmodell mit klar definierten Qualitätskomponenten.
Vorteile:
✓ Gerechter Wettbewerb
Die Bahn würde endlich so behandelt wie Straße und Luftverkehr, wo Infrastruktur fast vollständig steuerfinanziert ist.
✓ Weniger Bürokratie
Die komplexen Vollkostenaufschläge würden entfallen. Regulierung würde sich auf Qualität, statt auf Formeln konzentrieren.
✓ Stabilere Trassenpreise
Die Kostenbasis wäre deutlich vorhersehbarer, ein entscheidender Faktor für Güterbahnen und eigenwirtschaftlichen Fernverkehr.
Schnelle Lösung? Fehlanzeige
Obwohl Verkehrsminister Patrick Schnieder ab 2026 wieder zu normalen Baukostenzuschüssen zurückkehren will, werden die aktuellen Kapitallasten noch 30 Jahre im System bleiben.
Ein neues Trassenpreismodell bereits 2027 hält die Branche für unrealistisch. Auch 2027 werden deshalb Trassenpreisförderungen nötig sein. Die Frage ist nur, für wen:
- Güterbahnen und Fernverkehr?
- oder der Schienenpersonennahverkehr (SPNV)?
Das wiederum hängt davon ab, ob die Trassenpreisbremse des Eisenbahnregulierungsgesetzes vor dem EuGH Bestand hat.
Das Fazit
Der Trassenpreisskandal 2025 ist kein Ausrutscher, er ist Symptom eines veralteten Finanzierungssystems.S olange die Bahn ihre Infrastruktur „selbst erwirtschaften“ soll, bleibt sie im Nachteil gegenüber der Straße.
Ein wettbewerbsfähiger, verlässlicher Schienenverkehr braucht:
- Steuerfinanzierte Infrastruktur
- Grenzkostenbasierte Trassenpreise
- Weniger Regulierung
- Mehr Qualitätsorientierung
Nur so kann die Schiene das leisten, was die Politik von ihr erwartet: Verkehr von der Straße verlagern, klimafreundlich transportieren und verlässliche Alternativen bieten.






