Kombiverkehr: Chaos auf der Schiene beenden

Güterverkehr völlig aus dem Takt
Chaos auf der Schiene beenden

Güterverkehr auf der Schiene massiv gestört: Kombiverkehr-Geschäftsführer Armin Riedl fordert angesichts der vielen Beeinträchtigungen Konsequenzen.

Chaos auf der Schiene beenden
Foto: Kombiverkehr

Der Güterverkehr auf der Schiene muss trotz der vielen Baustellen laufen. Das fordert der Intermodal-Spezialist Kombiverkehr. Geschäftsführer Armin Riedl erläutert im Gespräch mit der Fachzeitschrift trans aktuell, welche Auswirkungen die Beeinträchtigungen auf die Verkehre haben, wie es um die Pünktlichkeit bestellt ist und warum sich die Situation auch im Sinne der Speditionen schnellstens verbessern muss.

trans aktuell: Herr Riedl, der Schienengüterverkehr hat aktuell ein ziemliches Qualitätsproblem. Haben Sie Störungen in dieser Ausprägung jemals erlebt?

Riedl: Nein, mit Störungen in diesem Ausmaß war ich bislang noch nie konfrontiert. Wir können die Situation so nicht länger hinnehmen. Das war auch die klare Botschaft unserer Kommanditisten bei der vergangenen Verwaltungsratssitzung.

Wie ernst ist die Lage, lässt sich die Unpünktlichkeit in Zahlen fassen?

Die Lage ist ernst: In Teilen unseres Netzwerks bewegen wir uns nur noch mit einer Pünktlichkeit um die 50 Prozent. Zielsetzung sind 85 Prozent bei den nationalen und 80 Prozent bei den internationalen Verkehren.

Wer ist für die Situation verantwortlich?

Die Frage, wer schuld ist oder nicht, hilft uns nicht weiter. Wir sehen als Hauptursache die Baustellensituation in Deutschland, die sich primär auf den Güterverkehr auswirkt. Das schließt nicht aus, dass es auch in Italien und der Schweiz Baustellen gibt, in erster Linie ist es aber aktuell ein deutsches Thema. Denn hierzulande hat der Personenverkehr auf dem Schienennetz Vorrang, der Güterverkehr folglich das Nachsehen. Daher sind die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) im Güterverkehr diejenigen, die am meisten unter dieser Situation leiden. Seit April/Mai hat sich das Ganze immer weiter hochgeschaukelt. Voriges Jahr hatten wir noch eine hohe Netzqualität, weil im Personenverkehr Corona-bedingt weniger gefahren wurde. Der Grund für die Vielzahl an Baustellen: Bund und Bahn haben 2021 so viel in das Schienennetz investiert wie noch nie. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, da die Schienenbranche lange für mehr Mittel gekämpft hatte. Die Schattenseite sind die dramatischen Auswirkungen der vielen Bauvorhaben auf den Güterverkehr.

Wie lange wird das Baustellen-Drama anhalten?

Wir rechnen damit, dass sich die Situation ab dem Jahreswechsel und über den Januar hinweg etwas beruhigt, weil dann witterungsbedingt weniger gebaut wird – so auch die Auskunft von DB Netz. Unterstellt ist dabei, dass es keine ungeplanten Wetterereignisse gibt, die die Qualität zusätzlich beeinträchtigen.

Einige Ihrer Kommanditisten empfehlen der Bahn, sich bei der Organisation der Baustellen an der Straße zu orientieren. Dort ist der Verkehr bei Baustellen zwar beeinträchtigt, kommt aber nicht komplett zum Erliegen. Sehen Sie das auch so?

Ja, denn wir können das System Schienenverkehr nicht mit Baustellen zupflastern, ohne daran zu denken, den Verkehr flüssig zu halten. Wenn man das Baustellenvolumen verdoppelt, aber nach dem gleichen Prinzip baut, kommt man schnell ins Chaos, das geht nicht linear, sondern exponentiell nach oben, und führt zu massiven Beeinträchtigungen.

Warum wird nicht Tag und Nacht gebaut? Warum beschäftigt man sich nicht mehr mit einer Signalisierung zur Verflüssigung der Baustellen? Auf der Straße geht es doch auch, dort auch über Abschnitte von 30 Kilometern und mehr. Die Auswirkungen wären dann deutlich geringer. Wir brauchen also ein baubegleitendes Paket, um die Güterverkehre am Laufen zu halten. Das gilt vor allem für unsere Hauptkorridore. Wenn wir dort teilweise nur auf 75 Prozent Trassenverfügbarkeit kommen, ist das völlig inakzeptabel. Niemand käme auf die Idee, eine Autobahn nur zu drei Viertel der Zeit befahrbar zu machen.

Wie früh erfahren Sie bei Kombiverkehr von den Baustellen?

Die langfristig geplanten Baustellen sind uns natürlich bekannt. Daneben gibt es Tagesbaustellen, von denen wir häufig nichts wissen. Wir fordern von unseren EVU bei solchen Ereignissen daher Transparenz und frühzeitige Information, damit wir rechtzeitig reagieren können. Wir brauchen auch eine bessere Sicht auf die Hauptmagistralen. Mit den EVU muss viel besser abgestimmt werden, welcher Korridor wann belegt oder bebaut wird.

Kombiverkehr ist also gar nicht in die Baustellenorganisation eingebunden?

Leider nicht. Da auch die EVU nicht maßgeblich involviert sind, fehlt der Gesamtblick aufs Geschehen. Zum Beispiel laufen am Megahub Lehrte in einem fest definierten Zeitraum bis zu fünf Züge zusammen. Kommt nur einer der Züge nicht in diesem Slot an, hat es Auswirkungen auf alle anderen Züge und deren Anschlüsse.

Nehmen Sie innerhalb Ihres Netzwerks eine Priorisierung von Zügen vor – abhängig davon, wie zeitkritisch die Verkehre sind und welche Kundenwünsche dahinter stehen?

Wir betreiben ein Netzwerk, da ist es nahezu unmöglich, Verkehre zu priorisieren oder Cherry-Picking zu betreiben. Denn dann bleiben ja andere Züge stehen, was die Sache womöglich noch mehr aus dem Tritt bringt. Wir versuchen aber sehr wohl, den Verkehr auf unseren wichtigsten Relationen – etwa dem Korridor von Hamburg nach Verona – aufrecht zu erhalten, indem wir in betriebsschwierigen Zeiten auch über Umleitungen fahren.

Apropos Umleitungen: Wie groß ist das Potenzial, in dieser Situation Alternativstrecken zu fahren, auf denen es keine Baustellen gibt?

Im Nachgang zu Rastatt haben sich viele mit diesem Thema beschäftigt. Es gibt Strecken in Deutschland, die wir noch für den Güterverkehr nutzen könnten, auch im süddeutschen Raum. Da wird aber zum Teil eine Dieseltraktion gefordert. Doch Dieselloks sind knapp geworden. Und wer will sich aktuell noch Dieselloks kaufen? Für sie gibt es keinerlei Investitionsanreize mehr. Es gibt also Potenzial, das brach liegt.

Sind Baustellen wirklich die einzige Ursache für die Störungen im System? Es heißt, Stellwerke seien ausgefallen, Wagenmeister knapp und die Terminals überlastet …

Das mögen alles Faktoren sein, die erschwerend hinzukommen. Die Hauptursache liegt aber in den Baustellen. Denn je mehr das Geschehen aus dem Tritt kommt, desto mehr kommen auch die Terminals aus dem Tritt, weil dann die nötigen Flächen fehlen. Das ist die Folgewirkung. Es gibt dort Flächen zum Rangieren und Abstellen der Ladeeinheiten, aber keine Flächen für den Fall, dass Störungen eintreten. Dieser Fall ist auch in den Förderrichtlinien nicht berücksichtigt.

Überlaufende Terminals können einen Annahmestopp zur Folge haben. Spediteure leiden darunter, wenn ihre Fahrer bereits mit der Ladeeinheit unterwegs zum betreffenden Terminal sind. Wie lässt sich das künftig vermeiden?

Die Herausforderung liegt darin, den Spagat zu finden, dass Terminals trotz hohen Aufkommens keinen Lkw, der bereits unterwegs ist, abweisen müssen. Die Digitalisierung kann an dieser Stelle helfen, die Planungen und Prozesse zu verbessern. Hier setzt unsere Datendrehscheibe KV 4.0 an. Liegen alle Informationen zu einer Sendung, dem betreffenden Zug und den Terminals vor, sind alle Beteiligten früher im Bilde und wir können vermeiden, dass ein Lkw sich umsonst auf die Reise macht.

Noch ist das aber Zukunftsmusik, oder?

Der Kombinierte Verkehr ist eine Abfolge aufeinander folgender Dienstleistungen, es sind viele Unternehmen und Dienstleister involviert. Das macht es deutlich schwieriger, Transparenz über die komplette Prozesskette herzustellen als zum Beispiel bei einem Paketdienst auf der letzten Meile.

Deshalb ist das noch kein Thema, das wir sofort umsetzen können. Die Prozesse sind aber in Gang gesetzt. Für uns steht fest, dass Echtzeit-Informationen und Auskunft über die errechnete und erwartete Ankunftszeit das Ziel sein müssen. Es muss gelingen, auf die Viertelstunde genau vorhersagen zu können, wann die Sendung am Zielterminal eintrifft. Hier wird uns auch die Nutzung künstlicher Intelligenz ganz neue Möglichkeiten geben.

Zurück zum Jetzt: Wie groß ist der Dämpfer, den das Vertrauen in die Schiene aktuell erhält?

Es ist unbestritten, dass wir alle unter der schlechten Qualität leiden. Ebenso klar ist aber, dass nicht nur aus Umweltgründen trotzdem alles für die Schiene spricht. Sie hat auch in der Pandemie gezeigt, dass sie auf viele Fragen eine Antwort hat. Über lange Distanzen ist ein kontaktarmer bis kontaktfreier Transport möglich. Wir haben unsere Verkehre jederzeit aufrechterhalten. Und es ist ja auch nicht so, dass es auf der Straße unbegrenzt Kapazitäten oder unbegrenzt Fahrer gäbe. Deshalb sollten wir das System Schiene wegen der aktuellen Probleme also nicht infrage stellen oder die Verkehrsträger gegeneinander ausspielen. Das wollen wir prinzipiell nicht, weil wir alle Verkehrsträger brauchen. Trotz aller Probleme ist der Zuspruch gut, wir sind im Jahr 2021 wieder auf klarem Wachstumskurs.

Inwiefern kann auch die neue Bundesregierung Impulse setzen, dass es mit dem Wachstum weiter geht? Der Koalitionsvertrag nennt ja ein paar Punkte, die auch dem KV helfen könnten.

Wie begrüßen die geplante Mautbefreiung auf den Vor- und Nachläufen. Wenn man den LNG-Lkw von der Maut befreit, ist es für uns nur folgerichtig, dass man auch den Vor- und Nachlauf von der Maut befreit.

Es erschließt sich uns aber nicht, warum dies nur auf Strecken von 50 Kilometern geschehen soll, vorstellbar wären für uns 150 Kilometer. Es bräuchte aber noch weitere Maßnahmen, um den Schienengüterverkehr voranzubringen. Ein deutlicher Sprung nach vorn wäre möglich, wenn wir zum Beispiel Hochgeschwindigkeitsstrecken für den Güterverkehr in Betrieb nehmen könnten. Als allererstes geht es aber nun darum, dass sich die neue Bundesregierung an die Arbeit macht, dass die Störungen im System die nötige Aufmerksamkeit bekommen und wir alle gemeinsam für Abhilfe sorgen.

Zur Person

  • Armin Riedl ist seit 1993 Geschäftsführer von Kombiverkehr, Eintritt 1990 als Assistent der Geschäftsführung. Seit 2000 auch Geschäftsführer des Schienentraktionärs Lokomotion
  • Studium der Wirtschaftswissenschaften, Abschluss als Diplom-Kaufmann 1989. Geboren 1961 in Wetzlar

Neues Kundenportal

  • Wo ist meine Ladeeinheit, wie wird sie geroutet, wann kommt sie voraussichtlich am Ziel an? All diese Informationen erhalten Kombiverkehr-Kunden künftig im neuen und erweiterten Kundenportal meinKOMBIVERKEHR. Damit soll deren Disposition noch schneller reagieren können, sollte eine Sendung Verspätung haben oder aufgrund eines Waggon-Heißläufers kurzfristig ausgesetzt worden sein. Aktuell erfolgen Meldungen zum Status der Sendung über die CESAR-Webseite beziehungsweise zu Unregelmäßigkeiten per Mail.
  • Jeder Kunde kann seine kompletten Aufträge nachverfolgen und ebenso eine Vielzahl an Suchfunktionen mit unterschiedlichen Filtern nutzen. So kann ein Kunde auch prüfen, welche Ladeeinheiten seit einer bestimmten Zeitspanne an einem bestimmten Terminal abgestellt sind. Ebenso lassen sich ganze Company Trains im neuen Kundenportal nachverfolgen. Speditionen können auch weitere Partner für das System legitimieren, zum Beispiel ihre Empfangsspediteure, damit sie ihre Lkw rechtzeitig zum Terminal schicken können.
  • Sämtliche Funktionen, die Kunden bislang schon online bei Kombiverkehr nutzen, werden in das neue Kundenportal überführt – darunter die Fahrplanauskunft, digitale Transportpreise sowie die Buchung. Geplant ist, dass das neue Kundenportal im zweiten Quartal 2022 an den Start geht.