VDA-Präsidentin Hildegard Müller
Spannungsbogen für jeden

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), zu den Highlights der IAA Transportation und für die Industrie notwendigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen.

Hildegard Müller Stephan Weil IAA Transportation
Foto: VDA
trans aktuell: Frau Müller, die Branche befindet sich weiter mitten in einem Transformations-Prozess. Keine Frage also, dass uns zur IAA Transportation wieder viele spannende Neuheiten erwarten werden. Wie sieht denn der aktuelle Stand aus?

Müller: Es wird eine sehr interessante Woche, das kann ich jetzt schon sagen. Wir werden einen Spannungsbogen auffahren können, der sich über die Tage zieht. Bis dato haben sich über 1.650 Aussteller aus 42 Ländern angemeldet, das sind 16 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2022. Damit haben wir sogar schon den finalen Anmeldestand der letzten IAA Transportation übertroffen – und es ist noch mehr in Sicht. Wir haben außerdem einen höheren Auslandsanteil bei den Ausstellern, mit gut 73 Prozent liegt er mehr als zehn Prozentpunkte über 2022. Das zeigt das hohe Interesse. Angeführt wird das mit großem Abstand von China, dann folgen die Türkei und Italien.

Welche Themen stehen besonders im Fokus?

Wir starten am 16. September mit über 80 Pressekonferenzen in die IAA. Hier werden insbesondere die neuen Antriebstechnologien im Fokus stehen, was sich in der E-Mobilität, beim Wasserstoff, den synthetischen Kraftstoffen aber auch beim Thema Laden derzeit entwickelt. Dazu kommen die Themenfelder Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und autonomes Fahren – konkret zudem On-Demand-Systeme, Ride-Pooling, Fleet-Management-Systeme und Smart-City-Strategien. Das finde ich besonders spannend, weil die Logistik gerade auch auf der letzten Meile vor großen Herausforderungen steht. Auch die Nachhaltigkeit liegt uns am Herzen, erneuerbare Kraftstoffe und die Kreislaufwirtschaft. Wir haben heute schon hohe Recyclingquoten – das könnte eine Marktchance sein für Deutschland und Europa, weil wir Kreislaufwirtschaftsstrategien besser implementieren als andere.

Wie bringen Sie den Besuchern diese Themen näher, was dürfen wir neben den Aussteller-Ständen an Attraktionen und Formaten erwarten?

Wir werden uns dieses Mal auch wieder ganz besonders den Fahrerinnen und Fahrern widmen. Es wird ein Fahrer- und Familien-Wochenende geben, ein Trucker-Festival und eine ganze Menge Testdrives, weil man die neue Mobilität im wahrsten Sinne des Wortes erfahren muss. Es wird daher Angebote für Familien geben, beispielsweise ein solarbetriebenes Riesenrad, Live-Musik und vieles mehr. Wir wollen aber auch ganz besonders den B2B-Austausch in den Blick nehmen. Die Hallen werden bunt gemischt sein, mit Herstellern, Zulieferern und Start-ups, weil wir gelernt haben, wie wichtig dieser Austausch ist in der Transformation. Das werden wir zusätzlich mit der Konferenz begleiten, wo die wichtigsten Themen diskutiert werden.

Ein volles Programm, das auf herausfordernde Zeiten trifft.

Die politischen Rahmenbedingungen sind nicht einfach. Sie kennen unseren Druck zum Beispiel auf die Fragen nach der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts und dem Hochlauf der Ladeinfrastruktur. Die zentrale Frage ist: Wie schaffen wir das, was wir an Forschungs- und Innovationsleistung haben, auch mit Wertschöpfung in Deutschland und Europa zu entwickeln und zu bauen?

Sehen Sie aktuell Bewegung in der Politik mit Blick auf die Wachstumsinitiative und den Startschuss für das Lkw-Schnellladenetz? Ist das ausreichend und schnell genug, um den E-Lkw-Verkauf zu skalieren mit Blick auf drohende Strafzahlungen?

Ja und nein. Die Wachstumsinitiative ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, sie muss nun aber auch noch parlamentarisch umgesetzt werden. Zudem ist jetzt die Geschwindigkeit der praktischen Umsetzung entscheidend. Und zum Thema CO2-Flottengrenzwerte: Die Technologien sind da, auch eine Offenheit bei den Transportunternehmen für die Umstellung. Aber dann sollte jemand, der sich E-Nutzfahrzeuge anschaffen will, nicht erleben, dass der Netzanschluss seines Betriebshof sechs bis acht Jahre braucht. Da passen die Ziele und die Geschwindigkeiten der notwendigen Infrastruktur noch nicht zusammen. Die Ziele und die Zeithorizonte, die wir haben, sind eng gesetzt. Da muss sich die staatliche Leistungsfähigkeit genauso schnell entwickeln, wie man das von der Wirtschaft fordert an dieser Stelle.

Was würden Sie der neuen EU-Kommission konkret ins Buch schreiben als drängendste und wichtigste Aufgabe?

Im internationalen Standortwettbewerb droht Europa, seine Relevanz zu verlieren. Wir haben über 50 Handelsabkommen offen. Das ist die Basis für den Handel mit Energie und Rohstoffen und für offene Absatzmärkte, was extrem wichtig ist. 70 Prozent unserer Arbeitsplätze in Deutschland hängen am Export. Die Politik braucht einen Mentalitätswechsel, sie muss weg von Überregulierung, von technologischer Einschränkung kommen. Wir brauchen weniger Mikro-Management, mehr Makro-Steuerung. Europa startet zu oft nicht mit Prozessen, wenn nicht schon im Vorfeld alle Fragen zu 100 Prozent geklärt sind. Das ist bei Handelsabkommen so und genauso bei neuen Technologien, der Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz. Manche Frage wird sich aber erst durch Forschung und Entwicklung im Laufe der Zeit beantworten lassen. Und die Klimaschutzpolitik wird nur erfolgreich sein, wenn wir die Akzeptanz von Menschen finden, wenn es mit Wirtschaft, Wertschöpfung und Industriepolitik verbunden wird. Gehen wir nochmal weg von der Politik, hin zur Technik. Die Industrie kann mittlerweile batterieelektrische Sattelzüge mit Reichweiten von um die 500 Kilometern auffahren. Brauchen wir da überhaupt noch Wasserstoff oder HVO 100? Der Schwerpunkt des Hochlaufs wird bei der E-Mobilität liegen. Aber auch Wasserstoff hat enorme Potenziale. Die Technologie ist umfangreich erprobt. Die Brennstoffzelle ist technisch funktionsfähig, aber die Kosten sind noch hoch. Wir müssen deshalb die Wasserstoff-Technologie insgesamt weiter entwickeln. Ich sehe da auch keinen Widerspruch zum Hochlauf der Elektromobilität und ich sehe keine Verunsicherung der Hersteller. Da wird ja gern argumentiert, man müsse es der Industrie jetzt einfacher machen. Das ist ein Schutz, den wir genau wie die Zölle für China nicht brauchen, weil es am Ende das falsche Instrument ist. Besser offen denken und handeln und in Zeiten der Transformationen alle Optionen nutzen. Und da will ich auch die erneuerbaren Kraftstoffe ins Spiel bringen, die ja allein schon für die existierende Flotte enorm wichtig sind. Wir müssen auch an den Bestand der Fahrzeuge denken und nicht nur an neue Fahrzeuge.

Aktuell tritt auch der Wasserstoff-Verbrennungsmotor wieder ins Rampenlicht. In der Politik sehen wir aber Vorbehalte – der Verbrenner hat einen schweren Stand.

Der Schwerpunkt wird eindeutig auf dem Hochlauf der Elektromobilität liegen, die Investitionen zeigen dies ausdrücklich. Aber: Nicht der Motor ist das Problem, sondern der fossile Kraftstoff. In einer Zeit, in der Klimaschutz so wichtig ist, müssen wir jede Option zur CO2-Reduktion nutzen und nicht politisch Technologien vorgeben. Wir haben tolle Organisationen für Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung. Ich selbst darf bei Fraunhofer den Senat führen. Wenn ich sehe, was es da an Projekten gibt, das bietet Lösungen für die Welt. In der Welt gibt es unterschiedliche Rahmenbedingungen, unterschiedliche erneuerbare Energien, unterschiedliche Transportbedarfe. Wenn wir unsere exportstarke Industrie erhalten wollen, dann braucht es dafür Technologieoffenheit.

Sie hatten eingangs erwähnt, dass China stark vertreten sein wird auf der Messe. Einerseits ist das gut, es zeigt die Relevanz Europas und konkret der IAA. Sollte uns das andererseits aber auch Sorgen bereiten?

Wir sehen das sportlich. Wir glauben, dass wir in der Forschung und den Innovationen mithalten können. Das werden auch die Pressekonferenzen belegen. Die Branche ist gut aufgestellt. Ohne Frage zeigen die Ergebnisse der Anti-Subventionsuntersuchung, dass das Ausmaß und die Art und Weise von staatlicher Unterstützung in China eine Herausforderung sind. Die Zölle halten wir dennoch für falsch, weil sie sehr wahrscheinlich mehr Schaden als Nutzen bringen werden. Wir wollen eine Welt, die nicht in Protektionismus-Spiralen agiert, sondern die die Märkte öffnet, die Vorteile des freien Handels erkennt. Außerdem ist ein Teil der Wahrheit, dass die Frage der Wettbewerbsfähigkeit mit unseren eigenen Standortbedingungen zusammenhängt, und zwar ganz banal mit Produktionskosten. Wenn Energie teuer ist, wenn wir deshalb kaum Halbleiter und Batteriezellen in Europa produzieren, wenn wir keine Rohstoffabkommen haben, wenn bei uns die bürokratischen Regeln zu kompliziert sind, dann sind das Themen, die wir bei uns selbst adressieren.