Bock auf Logistik: So lautet das Motto von Martin Schwemmer, Professor für internationale Verkehrsbetriebswirtschaft und Logistik an der Hochschule Heilbronn. Wem der Name eher im Kontext der Bundesvereinigung Logistik (BVL) bekannt ist: Schwemmer war knapp zwei Jahre lang BVL-Geschäftsführer, bevor er im vergangenen Sommer an die Hochschule Heilbronn wechselte. Das wissenschaftliche Arbeiten habe ihm bei der BVL gefehlt.
Denn das gehört zu seiner DNA: Vor der BVL war der studierte Wirtschaftswissenschaftler fast 14 Jahre lang am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Nürnberg tätig. Während dieser Zeit promovierte er zum Erfolg von Logistik-Start-ups und war Autor der Top 100 der Logistik, einer jährlich erscheinenden Studie des deutschen Logistikmarkts. #BockAufLogistik – sein Motto verwendet er auch als Hashtag – trifft also voll zu.

„In vielen Fällen sind Daten wichtiger als das Anfassbare – das ist für mich Neue Logistik“, sagt Martin Schwemmer, Professor für internationale Verkehrsbetriebswirtschaft und Logistik an der Hochschule Heilbronn.
Seine Begeisterung für Logistik versucht der 43-Jährige nun an die Studierenden der Hochschule Heilbronn weiterzugeben. „Das erste Semester lief ganz gut“, sagt Schwemmer im Gespräch mit trans aktuell. Das liege auch an dem netten Kollegium, das ihn in seiner neuen Tätigkeit unterstützt. „Die vielen Vorlesungen gleich zum Start waren aber schon eine Umstellung“, sagt Schwemmer, der unter anderem die Fächer Logistische Dienstleistungen, Introduction to New Logistics – Data Driven Logistics und Grundlagen des Supply Chain Management lehrt und außerdem Master-Studierende bei ihren Abschlussarbeiten betreut.
Trotz wenig Lehrerfahrung lief es gut an
Er unterrichtet nahezu jedes Semester, trotz geringer Lehrerfahrung „lief das gut an“. Mit der viel diskutierten Generation Z hat der Vater von zwei Kindern mittlerweile auch Erfahrungen gemacht. Die Vorlesungen müssten schon abwechslungsreich und aktivierend sein, um Aufmerksamkeit zu erregen. Den jungen Menschen gibt er den Tipp: „Gehe das Studium an, als würdest du einen Job beginnen.“
#BockaufLogistik pushen sei auf jeden Fall ein Thema. Oft würden sich die jungen Menschen erst nach den ersten Semestern in einem allgemeineren Studiengang für die Logistik entscheiden.
Die Unternehmen der Region – etwa die Schwarz Gruppe (Lidl), Würth, Audi oder die Fritz Gruppe – sind offen für Kooperationen mit der Hochschule und an den Absolventen interessiert. Insbesondere der Lebensmittelhändler Lidl hat einen engen Bezug zur Hochschule Heilbronn: Lidl-Gründer Dieter Schwarz unterstützt die Hochschule mit seiner Stiftung maßgeblich.
In seiner Dissertation den Begriff „Neue Logistik“ geprägt
Schwemmer will den Studierenden ein Verständnis von Logistik, vor allem von moderner Logistik, beibringen. In seiner Dissertation aus dem Jahr 2021 hat er den Begriff „Neue Logistik“ geprägt. Darunter werde die Entstehung datengetriebener Geschäftsmodelle in der Logistik verstanden. „Viele Menschen verbinden Logistik mit dem Transport per Lkw. Ich sage aber, Logistik ist viel mehr“, sagt Schwemmer. Jedes beförderte Gut werde von Informationen begleitet. „Es wäre dumm, dieses Datenpotenzial nicht zu nutzen.“
Dadurch entstehen laut Schwemmer Geschäftsmodelle wie Bedarfsprognosen, Routenplanungen oder das Steuern der Abläufe im Lager. Auch das Steuern von Versorgungsketten oder die Entscheidung, wo ein neuer Standort entstehen soll, unterstützen die entsprechenden Daten. „In vielen Fällen sind Daten wichtiger als das Anfassbare – das ist für mich die Neue Logistik,“ sagt Schwemmer. Darüber schreibt er auch in seinem 2021 erschienenen Buch „Logistik-Start-ups: Entstehung der ,Neuen Logistik‘ aus Wissenschafts- und Unternehmenssicht“, das er gemeinsam mit Patrick Seeßle herausgegeben hat.
Peak von Logistik-Start-ups in der Corona-Zeit
Seit 2011 hat er Logistik-Start-ups im Blick; 2014 sei die Zahl der Gründungen gestiegen, einen Peak gab es während der Coronazeit. „In dieser Zeit hat sich das Konsumverhalten verschoben“, so Schwemmer. Der Einschnitt kam nach der Pandemie. 2023 zeigten sich die Investoren deutlich zurückhaltender. Manchen Start-ups fehlte dadurch die Anschlussfinanzierung, sie mussten Personal abbauen und anders planen. Diese Phase traf sogar erfolgreiche und bis dato finanzstarke Unternehmen wie das US-amerikanische Start-up Convoy und die deutsche Digitalspedition Instafreight – beide gingen Ende 2023 in die Insolvenz.
Neuauflage des Buchs „Logistik-Start-ups“ erscheint
Schwemmer beschreibt die Entwicklung der Logistik-Start-ups mithilfe des Gartner Hype Cycle, einem Werkzeug, um die Reife einer neuen Technologie einzuschätzen. Ein Kapitel in der Neuauflage des Buchs „Logistik-Start-ups“, das voraussichtlich Mitte des Jahres erscheint, handelt davon.
Schwemmers Erkenntnis: Seit 2024 findet eine Umkehr statt. „Die Szene ist ein bisschen über den Tiefpunkt hinaus“, sagt der Buchautor. Die Learnings aus den vergangenen zehn Jahren: Start-ups etablieren sich langsamer am Markt als gedacht. Ein Innovationsökosystem, speziell für Logistik-Start-ups – bestehend aus einer Investorenszene, Events und Acceleratoren – hat sich etabliert. Ein tieferes Verständnis für Logistik hat sich entwickelt und Investorengeld steht für gute Ideen grundsätzlich bereit.
Hochlauf mit besseren Rahmenbedingungen
„Wir erleben ab jetzt einen Hochlauf mit besseren, nämlich realen Rahmenbedingungen“, sagt Schwemmer. Denn das sei bei dem extremen Hoch während der Corona-Pandemie nicht der Fall gewesen. „2020/2021 hätte ich Start-ups geraten, nicht zu gründen, nur weil es en vogue ist. 2023/2024 hätte ich dagegen zu mehr Mut geraten.“
Für den Hochlauf ist laut Schwemmer eine gute Zusammenarbeit von Start-ups und etablierten Unternehmen wichtig. Diese verlange Offenheit auf beiden Seiten. „Die Logistik ist wegen des hohen Kostendrucks und der Kundenabhängigkeit speziell“, so Schwemmer. Umso wichtig sei es, Brücken zu bauen und die jeweils andere Seite zu verstehen. Und: „Der Kunde der Start-ups muss die etablierte Industrie werden.“ Nicht einzelne Unternehmen, die die Lösung nutzen.
Logistik-Start-Ups Hype Cycle Deutschland
Wie geht es für Logistik-Start-ups nach dem erneuten Hochlauf weiter? Schwemmer hat mit dem Logistik-Start-Ups Hype Cycle Deutschland eine Vorhersage getroffen. Ab 2030 könnte demnach das „Plateau der Produktivität“ erreicht werden. Den Begriff hat er nicht zufällig gewählt. Denn anders als bei dem „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ in den Corona-Jahren könnte die Logistik-Start-ups-Szene dann konstant und stabil wachsen.
Wie es bei Martin Schwemmer weitergeht? Nachdem er in den Semesterferien die ersten Klausuren und Hausarbeiten korrigiert hat, startet er in sein zweites Semester an der Hochschule Heilbronn – und macht den Studierenden „Bock auf Logistik“.
Zur Person
- Prof. Dr. Martin Schwemmer ist seit dem Wintersemester 2024/2025 Professor für internationale Verkehrsbetriebswirtschaft und Logistik an der Hochschule Heilbronn.
- Zuvor war er Geschäftsführer der Bundesvereinigung Logistik (BVL) (2022 bis 2023) und am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Nürnberg beschäftigt (2008 bis 2022), zuletzt als Senior Consultant.
- Er promovierte zum Erfolg von Logistik-Start-ups (2021) und ist Co-Herausgeber zweier Bücher zum Thema, das aktuellste erscheint zur Jahresmitte.