Prof. Dirk Engelhardt vom BGL: Mehr Mut gewünscht

BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt
Mehr Mut gewünscht

Interview mit BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt: Wie ein Kurswechsel den Fahrermangel minimieren kann.

Mehr Mut gewünscht
trans aktuell: Herr Engelhardt, was bedeutet das Ampel-Aus für Sie?

Prof. Dr. Dirk Engelhardt: Grundsätzlich bin ich zunächst froh, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing im Amt bleibt - die Alternative wäre sonst etwa Bundesumweltministerin Steffie Lemke gewesen. Der Minister hat viele Punkte auf den Weg gebracht, die er hoffentlich noch weiterverfolgen kann. Das betrifft nicht nur die Sparte Güterkraftverkehr, sondern es geht etwa auch um das Führerscheinthema auf EU-Ebene und die Frage einer Gesundheitsprüfung für Pkw-Führerscheine. Da hat der Minister eine klare Meinung dazu, die deckungsgleich mit unserer ist. Auch bei der Kommission Straßengüterverkehr ist Wissing in der Materie, und ich bin mir sicher, dass der Januartermin zur Revision der bis dato erfolgten Schritte auch stattfindet, so dass wir auch vor der Bundestagswahl noch Sachen auf den Weg bringen werden.

Was halten Sie da für wichtig?

Etwa das Thema bundesuneinheitliche Feiertage, die eine Belastung für das Fahrpersonal sind, weil sie wegen der Fahrverbote immer wieder an einer Landesgrenze festsitzen. Auch die Mehrfachzertifizierung von Schulungsräumen, für die Schulung gemäß der Ziffer 95, und auch für die Unterrichtung von Auszubildenden, macht keinen Sinn.

Neu finden muss sich auch die neue EU-Kommission. Was stehen auf dem europäischen Parkett 2025 für Themen an?

Hier verfolgen wir als BGL die Marschrichtung one in, two out. Heißt also, für jede neue gesetzliche Regelung sind zwei alte ersatzlos zu streichen. Wir sind alle durch die EU-Regulierung müde. Unsere Verbandskollegen in Brüssel werden also versuchen, die neuen Abgeordneten hier ein bisschen einzubremsen und den Fokus auf die Deregulierung zu lenken.

Auch die Richtlinie zu Maße und Gewichte, also auch zum Lang-Lkw, steht noch aus.

Auch hier brauchen wird endlich andere Regelungen, denn die Unternehmen wollen endlich Planungssicherheit. Wir haben bei Verkehrsminister Wissing daher eine Bast-Studie angeregt, die prüfen sollt, ob man nicht mit anderen Achskombinationen, also sechs oder siebenachsige Gespanne, deutlich mehr Gewichte transportieren zu können, ohne die Infrastruktur mehr zu belasten. Da gibt es auch von der Fahrzeugindustrie gute Lösungen, etwa eine 6x2-Sattelzugmaschine mit einem dreiachsigen Auflieger; nur die Verwendung sollte eben wissenschaftlich untersucht werden. Mein Kollege Roger Schwarz ist mit dem richtigen Referat in Verbindung, um das auf den Weg zu bringen. Das würde durch die größere Effizienz eine direkte CO2-Einsparung für den Güterverkehr bedeuten und wäre auch im Hinblick des Fahrermangels gut.

Handlungsbedarf besteht auch nach einem EuGH-Urteil bei der Rückkehrpflicht im Rahmen des Mobilitätspakets. Gibt es hier etwas Neues?

Hier gibt es noch keine neuen Informationen. Wir haben aber eine Forderung: Im Rahmen der Pflicht-Einführung des neuen digitalen Tachografen der zweiten Generation wird automatisch der Grenzübergang des Fahrzeugs erfasst. Wir machen uns dafür stark, dass diese Daten in eine europäische Datenbank transferiert werden, auf die alle nationalen Behörden dann Zugriff haben, um die schwarzen Schafe zu kontrollieren. Wenn sich dann im Rahmen einer Verdachtskontrolle zeigt, dass das Fahrzeug seit Monaten im Mitgliedsland ist, ist etwa der Verdacht einer illegalen Kabotage naheliegend und kann geprüft werden.

Ein Thema, was die Branche beschäftigt, ist die Antriebswende…

Auch wir unterstützen Nachhaltigkeit und die Klimaziele. Aber bei einer derzeitigen Elektrifizierungsrate von 0,07 Prozent bei schweren Lkw ist die Durchsetzung noch verschwindend gering. Das hat einen bunten Blumenstrauß an Gründen: die im Vergleich zum Diesel deutlich teureren Anschaffungskosten, und auch die Tatsache, dass der elektrische Fernverkehrssattel vier Tonnen schwerer ist. Deutschland plant aber nur eine Kompensation von zwei Tonnen, also 42 statt 44 Tonnen, was weniger Nutzlast bei jeder Fahrt bedeutet.

Und die Infrastruktur?

Hier mangelt es ganz klar auch an einer Strategie des Bundes, auch bei den Strompreisen, insbesondere für das Laden unterwegs, gibt es keine Klarheit. Zwar wird jetzt das Depotladen an den Betriebshöfen subventioniert, aber der Netzanschluss und die Ladeinfrastruktur kosten die Mitgliedsunternehmen sechs- bis siebenstellige Summen, je nachdem, wie die Immobilie erschlossen ist. Das kann sich kein Mittelständler leisten. Eines stört mich bei der Elektromobilität aber am allermeisten.

Was ist das?

Die Erzählung, dass dies sofort CO2 einspart. Stand heute sparen wir bei E-Lkw kein Gramm CO2 ein. Ein Liter Diesel emittiert 262 Gramm CO2 pro kWh, die Emissionen beim aktuellen deutschen Strommix liegen bei 434 Gramm CO2 pro kWh. Wenn man das mit den typischen Verbräuchen verrechnet – 27 Liter Diesel auf 100 Kilometer, 150 kWh beim E-Lkw – emittieren beide Fahrzeuge 65 Kilogramm CO2 pro 100 Kilometer, ohne dass der CO2-Rucksack bei Produktion berücksichtigt wird. Hier wünsche ich mir eine andere, ehrlichere Informationspolitik, auch zugunsten unsere Mitglieder.

Die wirtschaftliche Situation ist aktuell nicht einfach, die Insolvenzzahlen steigen. Auch in der Branche?

Wie sehen bei den Insolvenzzahlen im Vergleich zu 2023 eine Zunahme von 12 Prozent. Da sind die stillen Betriebsverkleinerungen und -aufgaben nicht inkludiert. Viele Mitgliedsunternehmen haben ihre Flotte verkleinert, einige hören ganz auf. Auch der Anteil im Modal Split durch die MOE-Staaten ist zurückgegangen, was zeigt, dass weniger osteuropäische Kollegen bei uns im Westen fahren. Denn dort boomt im Vergleich zu uns die Wirtschaft, die Unternehmen erhalten also gute Frachtraten, und die Fahrer haben keine Lust, wie Vagabunden in Westeuropa unterwegs zu sein. Deswegen ist die Angst vor einer Fahrerknappheit weiter gestiegen – das ist schleichend, wie eine Krebserkrankung, aber es wird uns ohne Gegenmaßnahmen vor die Füße fallen. Dieses Problem ist noch viel eklatanter als die Antriebswende.

Ist das Thema auch bei der verladenden Wirtschaft angekommen?

Ja, das ist es. Das habe ich letztens bei einer Zusammenkunft der Wirtschaftsverbände angesprochen, sehr viele Handelsunternehmen und die Bauwirtschaft haben das Problem betätigt. Mitgliedsunternehmen werden auch von Kunden angesprochen, die sich Frachtraum sichern wollen. Wir können nur appellieren, dass die verladende Wirtschaft die Mittelständler anständig bezahlt, denn wenn die Lage sich normalisiert, wird der mangelnde Frachtraum das bremsende Element sein. Wir fahren als BGL jetzt zudem einen anderen Kurs beim Thema Fahrer.

Wie sieht der aus?

Der BGL hat früher immer die Anforderungen möglichst hoch gehängt, um das Berufsbild attraktiver zu machen. Das war rückblickend ein Fehler, der den Fahrermangel noch befeuert hat. Wir fordern daher auf europäischer Ebene, neu und radikal zu denken: Weg mit der Ziffer 95;und wenn eine obligatorische Weiterbildung gewünscht ist, dann reicht einmal im Jahr eine Schulung, und dann auch mehr für unternehmerische Belange. Wir müssen nicht einen Silofahrer zur Ladesicherung und einen Containtertrucker zum Umgang mit Schüttgüter schulen. Auch sollten wir weg von der verpflichtenden ärztlichen Untersuchung, denn bei älteren Fahrern ist die hauptsächliche Unfallursache der Schlaganfall, der in der Regel vorher nicht diagnostiziert werden kann. Wir sollten hier zurück zur alten Regelung - ein Fahrer behält seinen Führerschein, und erst wenn er auffällig wird, kommt die Maschinerie mit ärztlicher Untersuchung und MPU in Gang. Der Führerschein sollte bezahlbar und die Regelungen zum Erwerb vereinfacht werden.

Inwiefern?

Die Führerscheinklassen sollte man neu überdenken, der Pkw-Führerschein bis 7,5 Tonnen war etwa eine gute Lösung, auch, weil man Studierende und andere für City-Logistik und Zustellverkehre einfach einsetzen konnte. Man muss kein Genie sein um zu sehen, das bei einem prognostizierten Wachstum im Straßengüterverkehr bis 2051 von 54 Prozent es zu Riesen-Problemen kommt.

Welche weiteren Schritte schlagen sie noch vor?

Bei den Lenk- und Ruhezeiten sollten wir auf die minutiöse Abrechnung pro Arbeitstag verzichten. 90 Stunden in der Doppelwoche bleiben, aber der Fahrer sollte bei der Aufteilung an den Einzeltagen flexibler sein dürfen. Das gleiche gilt für die Arbeitszeiten. Wenn man das vernünftig argumentiert, ist die Politik, das hat das Mobilitätspaket I gezeigt, auch bereit, das umzusetzen. Dadurch waren zwei Stunden zusätzliche Lenkzeit bei Stau oder Verzögerungen durch die Witterung möglich. Eine weitere Forderung auf EU-Ebene sind die Abmessungen. Die Ladelänge kann bei 13,6 Metern bei einem Sattel oder 14,7 Metern bei einem Lang-Lkw Typ 1 festgeschrieben sein; aber beim Fahrerhaus sollte eine deutlich längere Länge möglich sein, etwa für ein Fahrer-Sanitätsmodul mit Toilette und Waschbecken. Dann wären die Fahrer endlich autark und müssten nicht länger wie Vagabunden leben, und das im 21. Jahrhundert.

Auch das Thema Bürokratie hat den BGL 2024 stark beschäftigt – was wünschen Sie sich für 2025?

Auch hier ist ein radikales Umdenken vonnöten, um dem Fahrermangel entgegenzutreten. Wir sollten mit Drittländern regelrechte Akquiseverfahren auf den Weg bringen, etwa mit der Türkei oder Tunesien als Beispielländer. Die Fahrer könnten vor Ort vom Goethe-Institut sprachlich geschult und von Dekra und SVG fachlich qualifiziert werden. Danach könnten sie direkt bei uns eingesetzt werden, ohne die weiteren bürokratischen Prozesse zu durchlaufen. Diesen Mut wünsche ich mir.

Zur Person

  • Prof. Dr. Dirk Engelhardt leitet seit Januar 2017 die Geschicke des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), erst als Hauptgeschäftsführer, später als Vorstandssprecher.
  • Nach erfolgreichem Studium zum Diplom-Agraringenieur leitete er von 2003 bis 2016 den Geschäftsbereich Logistik/Fuhrpark der Genossenschaft RWZ Rhein-Main
  • Parallel dazu promovierte er zuerst zum Dr. der Agrarwissenschaften und habilitierte sich wenige Jahre später als Dr. habil. der Agrarwissenschaften. Seine Berufung als Professor für Logistik an der Steinbeis-Hochschule in Berlin erfolgte im Jahr 2009. Als Stgudent verdiente er sein Geld mit Lkw-Fahren.

Rechtliche Grundlagen

  • Lkw-Fahrer im Güterkraftverkehr benötigen eine Grundqualifikation,wenn sie eine Fahrerlaubnis der Klassen C1, C1E, C, CE, erworben haben; oder eine beschleunigte Grundqualifikation, wenn sie nach dem 10.09.2009 einen Führerschein der Klassen C1, C1E, C, CE, erworben haben.
  • Nachgewiesen wird die Grundqualifikation beziehungsweise beschleunigte Grundqualifikation durch den Fahrerqualifizierungsnachweis (FQN). Er löste am 23. Mai 2021 die Eintragung der Schlüsselzahl „95“ im Führerschein ab.
  • Die Grundqualifikation wird erworben durch das Bestehen einer theoretischen und einer praktischen Prüfung bei einer IHK oder den Abschluss einer Berufsausbildung zum Berufskraftfahrer oder zur Fachkraft im Fahrbetrieb.
  • Die beschleunigte Grundqualifikation wird erworben durch Teilnahme am Unterricht bei einer anerkannten Ausbildungsstätte und das Bestehen einer theoretischen Prüfung bei einer IHK.
  • Fahrer mit Wohnsitz Deutschland müssen die Grundqualifikation in der Bundesrepublik Deutschland erwerben.
  • Die erste Weiterbildung ist fünf Jahre nach dem Erwerb der Grundqualifikation oder der beschleunigten Grundqualifikation abzuschließen, jede weitere Weiterbildung ist im Abstand von jeweils fünf Jahren zu absolvieren.
  • Weiter Einzelheiten regelt das Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz (BKrFQG ). (Quelle: BALM)