Logistik trifft Artistik: Circus Monti zieht um

Logistik trifft Artistik
Circus Monti zieht um

Wenn der zweitgrößte Schweizer Zirkus seinen Spielort wechselt, vollzieht sich hinter den Kulissen ein beeindruckender Kraftakt, bei dem jeder seine Aufgabe hat: von der Artistin, die zum Akkuschrauber greift, bis zum Direktor, der sich ans Lkw-Steuer setzt.

Johannes Roller
Foto: Johannes Roller

Eben hat er noch mit seiner Lebensgefährtin Armelle Fouqueray am Zelteingang die Gäste der letzten Vorstellung begrüßt, da steht Johannes Muntwyler auch schon in der Manege beziehungsweise auf der hölzernen Bühne. Zwei Stunden später wiederum eilt der Direktor des Circus Monti in Arbeitsmontur mit Schutzhelm und Stirnlampe anstelle seiner schwarz-goldenen Uniform an uns vorbei, während die letzten Gäste den Festplatz verlassen.

Wie im Zeitraffer verschwinden Werbetafeln, Laternen, Kasse und Eingangsbereich, die beiden Vorzelte, der Wagen mit den Snacks und Getränken, die Bestuhlung und die Bodenbretter. Im Schein ihrer LED-Strahler hieven Teleskoplader Gitterboxen in Sattelauflieger, bullige Traktoren schieben weiß-rote Zirkuswagen über den Festplatz neben der Berner Messe, im Küchenwagen wird das letzte Geschirr gespült und im Wäschewagen rotieren die Waschtrommeln.

Nach der Show ist vor der Show

Bis tief in die Nacht ist der ganze Zirkus auf den Beinen, darunter Johannes‘ Söhne Tobias, Mario und Nicola. Alle haben ihre Aufgaben in dieser Nacht. Denn nach der Show ist vor der Show. Und die nächste findet nicht mehr in Bern statt, sondern drei Tage später im etwa 40 Kilometer entfernten Solothurn. Wenn der Circus Monti buchstäblich seine Zelte abbricht und in eine neue Stadt verlegt, gehen ganze Wagenkolonnen auf Tour: unzählige Wohnwagen, Werkstatt-, Küchen- und Sanitärwagen, klassische Zirkuswagen, moderne Sattelauflieger, Tieflader, Teleskoplader, Pick-ups, Traktoren, Motorwagen und Sattelzugmaschinen.

Sie sind der sichtbare Teil einer beeindruckenden Ab- und Aufbauarbeit, die schon beginnt, wenn die letzten Vorstellungen noch laufen. Als sich der Morgennebel lichtet, ist auch das majestätische gelb-rote Zirkuszelt verschwunden. Nur die mit Reparatur-Asphalt geschlossenen Löcher der langen Erdnägel zeugen dann noch von den großen Rundbögen, die das Hauptzelt trugen. Ein paar Transporte nach Solothurn sind schon am Vorabend erfolgt, nun setzt sich die restliche Monti-Flotte in Bewegung. Natürlich mit dem Direktor an der Spitze.

Hinter den Kulissen

Sobald sich Johannes Muntwyler ans Steuer des 400 PS starken Volvo F12 (Baujahr 1991) setzt, der seiner Familie seit 2001 als Garderobe und Waschküche dient, sind die Strapazen der Nacht vergessen. "Auf Tournee ist das Fahren eine willkommene Abwechslung, du genießt das dann richtig!", berichtet er. "Früher, als meine Eltern den Zirkus leiteten, war ich für den gesamten Technikbereich zuständig, Lkw und Traktoren haben mich immer interessiert. Nach dem Tod meines Vaters im Jahr 1999 musste ich mich dann aber um die Verwaltung kümmern." Auch für eigene Programmpunkte wie früher bleibt da keine Zeit mehr.

Für diese Tournee im 40. Jubiläumsjahr des Circus Monti hat er aber eine Ausnahme gemacht und steht wieder gemeinsam mit Tobias (Diabolo) und Mario (Jonglage) auf der Bühne. Selbstverständlich haben alle Familienmitglieder Funktionen hinter den Kulissen: Armelle castet und betreut das Artisten-Team, Tobias verantwortet die Zeltvermietung und Zirkuslogistik, Mario die Finanzen, IT, Verwaltung und Tourneeplanung, Nicola den Werkstattbetrieb inklusive der speziellen Um- und Aufbauten der Fahrzeuge.

Ein Zirkus ist in der Stadt!

Im Solothurn angekommen, steuert Johannes das lange Gespann über einen schmalen Weg zum Festplatz, über den noch der herbstliche Nebel wabert. Er ist deutlich kleiner als der in der Schweizer Hauptstadt, also werden die Wagen hier kompakter stehen müssen. Wie genau, darüber hat sich Johannes schon einige Tage vorher Gedanken gemacht, ist die Strecke abgefahren, hat den Platz erkundet, einen Stellplan gezeichnet und mit orangenem Farbspray entsprechende Markierungen auf dem Schotter vorgenommen. Nun bugsieren Johannes, Nicola und weitere Mitarbeiter die Wagen an ihren jeweiligen Platz, prüfen, ob sie waagrecht stehen, schließen Wasser und Strom an.

Beim Rangieren kommen vor allem die rot lackierten John-Deere-Traktoren zum Einsatz. Einer der Wagen, die zuerst wieder in Betrieb gehen, ist der mit den Sanitäranlagen. Nun treffen immer mehr weiß-rote Gespanne in Solothurn ein: Pkw mit Wohnwagen, Transporter, Traktoren mit ein oder gleich zwei Zirkuswagen im Schlepp, Hakenabroller, Planensattelzüge, Tieflader mit Gerüstteilen und Containern sowie dreigliedrige Gespanne, die so nur auf Schweizer Landstraßen fahren dürfen. Es ist nicht zu übersehen: Ein Zirkus kommt in die Stadt! Sogar eigene Faltwarnschilder hat das Vorauskommando an der Zufahrt zum mächtigen Baseltor platziert. Während sich der Festplatz füllt, beginnen die Monti-Mitarbeiter in der Mitte mit dem Aufbau des ersten Vorzeltes. Mit Hilfe eines Kompaktladers rammen sie die Erdnägel der Sturmsicherung in den Boden, der Rest ist Handarbeit.

Als Chauffeur beim Circus Monti

In einem der Lastwagen (darunter ein Actros "Edition 1"), die an diesem Vormittag mehrfach zwischen Bern und Solothurn pendeln, ist auch Tobias eingetroffen und setzt sich nun in einen Teleskoplader, um Gitterboxen und Paletten abzuladen. Im Gegensatz zu normalen Staplern können die Teleskoplader auch auf unebenem Gelände zum Einsatz kommen, daher besitzt der Circus Monti gleich mehrere davon. Tobias: "Wer uns im Stammsitz in Wohlen besucht, ist oft erstaunt, dass ein Zirkus so gut ausgerüstet ist. Wir haben insgesamt gut 140 Fahrzeuge, Anhänger, Stapler und so weiter. Dazu kommen 45 Zelte verschiedener Größen. Wir sind ein Unterhaltungsbetrieb, aber alles fußt auf Logistik – und die entwickeln wir beständig weiter."

Auch Lkw-Fahrer, in der Schweiz Chauffeure genannt, werden also immer gebraucht – idealerweise mit einer zusätzlichen handwerklichen Ausbildung. Ob als Aushilfen oder fest angestellt, so wie Andi Keller. "Nach der Zimmermannslehre war ich beim Militär und habe dort das Lkw-Fahren für mich entdeckt. Bei Monti habe ich die perfekte Mischung aus beidem", lobt Andi und erklärt: "Wenn alles aufgebaut ist, nehmen wir die Lkw wieder mit nach Wohlen, um sie bei der Zeltvermietung einzusetzen. Und in der Winterpause restaurieren wir die Zirkuswagen oder bauen neue auf."

Mehrere Stationen, mehrere Standbeine

Am kommenden Wochenende geht es schon wieder weiter, für sieben Tage nach Winterthur, dann noch vier Wochen nach Zürich und anschließend in die Winterpause. Von Pause kann aber nicht so ganz die Rede sein, denn im Winter und Frühjahr gilt es, die nächste Tournee und die Inszenierung zu planen, Musik zu komponieren, neue Artisten aus der ganzen Welt zu gewinnen, den Fuhrpark zu pflegen und die Zirkuslogistik weiter zu verfeinern. Parallel sorgt im Winterquartier in Wohlen Monti’s Varieté dafür, dass es für die Aargauer keine kulturelle Durststrecke gibt. Auch der eine oder andere Weihnachtszirkus im benachbarten Deutschland bekommt sein Zelt aus Wohlen angeliefert und aufgebaut.

Das Fahren gehört dazu

Als der Nebel der Mittagssonne gewichen ist und das erste Zelt steht, fährt Johannes Muntwyler mit einem Dodge Ram nochmal zurück nach Bern, um den geräumten Festplatz zu checken und den letzten Anhänger abzuholen, einen schönen alten Zirkuswagen aus den 60er-Jahren. Der Ram ist hierfür extra mit Maulkupplung und Luftdruckanschlüssen ausgerüstet. "Das Fahren von einem zum anderen Spielort ist auch Zirkus", betont der Direktor. Man merkt: Er liebt und lebt den Zirkus in all seinen Facetten. Und eines ist nach diesen zwei spannenden Tagen beim Circus Monti sicher: Applaus gebührt nicht nur den Darbietungen auf der Bühne oder in der Manage, sondern auch dem logistischen Kraftakt und der beeindruckenden Teamleistung dahinter.