Strategien gegen Fahrermangel in der Logistik

Symposium bei Gress+Zapp in Dessau
Strategien gegen Fahrermangel in der Logistik

Von digitalen Lösungen über Weiterbildung bis Truck Parking: Beim trans aktuell-Symposium bei Gress+Zapp Internationale Spedition in Dessau zeigten Expertinnen und Experten konkrete Wege für den Umgang mit dem Fahrermangel auf.

Dipl.-Oec. Nicole Lubecki-Weschke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Frauenhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS Arbeitsgruppe Supply Chain Services SCS, Nürberg
Foto: Thomas Küppers

Wie lassen sich mehr Fahrer gewinnen – und wo sollen sie unterwegs parken? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das trans aktuell-Symposium bei Gress + Zapp in Dessau. Experten aus Praxis und Forschung zeigten auf, wie neue Konzepte helfen können, beide Probleme technologisch unterstützt und strategisch anzugehen.

Engagement für moderne Infrastruktur

Hubert Gress, Geschäftsführer der Gress Gruppe mit Sitz im bayrischen Gerolzhofen, skizzierte zunächst die Entwicklung seines Unternehmens. Die Unternehmensgruppe zählt heute rund 710 Mitarbeitende, davon 460 Berufskraftfahrer. Mit über 350 Transporteinheiten sowie weiteren 100 Einheiten in der Vermietung bietet Gress eine breite Palette an Transport- und Servicelösungen. Ein besonderes Augenmerk legte Hubert Gress auf das neue Truck Parking Dessau. Der private Lkw-Parkplatz entlang der A 9 bietet moderne Stellplätze, Sanitäranlagen, Verpflegungsmöglichkeiten sowie eine Tankpool24-Tankstelle. „Mir war es wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem sich Fahrer nicht nur ausruhen, sondern auch versorgen, duschen und ihre Kleidung waschen können“, erklärte Gress. Der Erhalt und Ausbau von Infrastruktur sei entscheidend, um der Branche Zukunftsperspektiven zu bieten.

Studie zeigt Belastungen im Fahreralltag

Nicole Lubecki-Weschke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut IIS in Nürnberg, Bereich Supply Chain Services, stellte zentrale Ergebnisse der Studie LeitFahr³ vor. Ziel des Projekts war es, den Berufsalltag von Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern im Nahverkehr systematisch zu analysieren – mit dem Fokus darauf, Stressfaktoren zu identifizieren und konkrete Verbesserungsansätze zu entwickeln.

Mängel oft im eigenen Unternehmen

„Wir wollten wissen, was motiviert Fahrerinnen und Fahrer, und was macht ihnen den Job schwer“, sagte Lubecki-Weschke. Insgesamt wurden über 270 Stressoren und 180 motivierende Faktoren ermittelt. Auffällig dabei: Die Mehrheit der belastenden Faktoren liegt im eigenen Unternehmen – etwa mangelhafte Kommunikation, fehlende Rücksichtnahme bei der Tourenplanung oder unzureichende Wartung der Fahrzeuge.

Konkrete Maßnahmen für mehr Motivation

Aus den Erkenntnissen entwickelte das Forscherteam von Fraunhofer ISS, Institut für Psychologie im Arbeitsleben der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Forschungsgruppe für optimierte Wertschöpfung der Hochschule Augsburg, neun praxisnahe Maßnahmenpakete mit insgesamt 50 Einzelmaßnahmen – von regelmäßigen Feedbackformaten über besser abgestimmte IT-Lösungen bis hin zu gezielter Wertschätzung und Weiterbildung. Der Handlungsleitfaden richtet sich dabei ausdrücklich an operative Führungskräfte. „Gute Prozesse, funktionierende Kommunikation und erkennbare Entwicklungsperspektiven sind entscheidend für Motivation und Bindung“, betonte Lubecki-Weschke.

Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren

Besteht hingegen in einer Spedition bereits Fahrermangel, kann ein strategischer Blick über die Grenzen helfen, diese Personallücken zu schließen. Dies betonte Jochen Hermann, Head of Cross Market Recruitment bei der Dekra Arbeit. Er verantwortet dort die Rekrutierung von Fach- und Arbeitskräften aus dem Ausland – darunter zunehmend auch aus Drittstaaten. „Die klassische Quelle Osteuropa trocknet langsam aus“, erklärte Hermann. In Ländern wie Polen oder Tschechien sei die Arbeitslosigkeit inzwischen niedriger als in Deutschland.

Pilotprojekt in Vietnam mit KKB-Visum

Dekra Arbeit verfolgt daher neue Ansätze. Etwa mit einem aktuellen Pilotprojekt in Vietnam. Dort rekrutiert das Unternehmen ausgebildete Lkw-Fahrer, begleitet sie sprachlich und organisatorisch bis zur Führerscheinprüfung in Deutschland. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das sogenannte KKB-Visum, das eine kurzfristige kontingentierte Beschäftigung erlaubt – eine bislang noch wenig genutzte Option.

Struktur und Geduld sind gefragt

Hermann betonte die Notwendigkeit realistischer Erwartungen: „Internationale Rekrutierung ist keine Sofortlösung, sondern braucht Struktur, Geduld und ein gutes Onboarding.“ Eine erfolgreiche Integration beginne bei der sprachlichen Vorbereitung und reiche bis zur Unterstützung im Alltag. „Wer das richtig aufsetzt, gewinnt nicht nur Mitarbeitende – sondern Markenbotschafter fürs eigene Unternehmen.“

Digitalisierung als Hebel im Recruiting

Neue Ansätze brachte auch Andreas Rinnhofer ein, Geschäftsführer der Firma Inn-ovativ. „Recruiting ist heute CRM und TMS zugleich“, betonte Rinnhofer. Statt Excel-Listen, WhatsApp-Kontakten und E-Mail-Pingpong setzt seine Plattform Spedijobs auf strukturierte Prozesse, mehrsprachige Schnittstellen und hohe Reichweite – unterstützt durch Künstliche Intelligenz. Ein zentrales Element ist der digitale Bewerbungsprozess, der auch ohne Lebenslauf und klassische Unterlagen funktioniert. Bewerbungen lassen sich per Smartphone ausfüllen und durch einen KI-basierten Sprachassistenten in bis zu 13 Sprachen vorqualifizieren.

Typische Fehler und kluge Tools

Rinnhofer beschrieb typische Fehler im Recruiting kleiner und mittlerer Speditionen – etwa Stellenanzeigen nur auf Deutsch oder fehlende Mobiloptimierung. Gleichzeitig machte er deutlich, wie automatisiertes Retargeting, Mitarbeiterempfehlungen und ein integriertes Dashboard zu messbaren Erfolgen führen können. „Ein Fahrer hat kein LinkedIn-Profil, sondern ein Smartphone“, sagte Rinnhofer. Genau dort müsse ihn eine Stellenausschreibung aber erreichen.

Recruiting als Kernfunktion etablieren

Dank Multiposting erreicht Spedijobs Bewerber in bis zu 19 Ländern, unter anderem über Medienpartner wie trans aktuell. Neben der Stellenschaltung bietet die Plattform zusätzliche Module zur Qualifizierung und Schulung. Für Rinnhofer steht fest: „Wer Recruiting ernst nimmt, muss es führen wie eine Kernfunktion – nicht als Nebenprojekt im Sekretariat.“

Telematik entlastet Fahrer spürbar

Wie Fahrer in ihrem täglichen Berufsalltag entlastet werden können, erläuterte Florian Modrich, Country Leader DACH bei ZF Digital Solutions Germany, am Beispiel der Telematik- und Flottenmanagementlösung Scalar. Diese verknüpft Echtzeitdaten aus Fahrzeug, Trailer und IT-Systemen und ermöglicht automatisierte Disposition. So lassen sich Verspätungen frühzeitig erkennen und proaktiv an den Kunden kommunizieren.

Mehr Transparenz durch Automatisierung

Auch Themen wie Ruhezeitenmanagement, digitale Frachtbriefe (eCMR) und Dokumentenhandling sind Teil des Systems. Modrich betonte: „Viele Funktionen, die heute Fahrer in Eigenregie erledigen müssen, lassen sich über Scalar automatisieren – das erhöht die Transparenz und senkt gleichzeitig die Belastung für die Fahrer.“ Die Plattform könne über Schnittstellen OEM-Daten ebenso integrieren wie fahrzeugunabhängige Apps. Besonders wichtig sei dabei die Kommunikation: „Wenn technische Lösungen wie Videomanagement oder Fahrstilanalysen eingeführt werden, müssen Fahrer eingebunden werden. Dann werden sie als Unterstützung und nicht als Kontrolle wahrgenommen.“ Modrich bezeichnete Scalar als umfassende Mobilitätsplattform – modular aufgebaut und individuell anpassbar, sowohl für Flottenbetreiber als auch für Fahrer.

Fahrermangel als Langzeitprojekt angehen

Und auch ein Best-Practice-Beispiel fehlte nicht. Weitsicht und Wertschätzung bestimmen das Handeln von Stefan Weigand, CEO von Weigand-Transporte aus Sittensen-Lengenbostel. Der Unternehmer hat bereits 2010 begonnen, das Thema Fahrermangel anzugehen, mit einer Unternehmensberatung an der Seite: „Das Ziel war eine starke Arbeitgebermarke – dann kommen Mitarbeiterbindung und -gewinnung fast automatisch. Bis dahin ist es aber kein Langstreckenlauf und auch kein Marathon, sondern ein Ultra-Marathon.“ Hierzu sei ein Perspektivwechsel notwendig; Der CEO stellte mit seinen Mitarbeitern eine Vision für das Unternehmen auf. Vertrauen, Partnerschaft, Balance waren weitere Bausteine: „Mitarbeiter sind der Wert des Unternehmens“, so der Spezialist für Tanklogistik.

Mitarbeiterorientierung im Alltag

Das spiegelt der Unternehmenssitz wider, dessen Gestaltung von den Mitarbeitern mitentwickelt wurde und dessen Mittelpunkt laut Weigand der Aufenthaltsraum mit Küche ist, in der eine angestellte Köchin für alle kocht. „Für andere wäre das eine überflüssige Kostenstelle, für uns ist unsere Köchin Marion das Herz des Unternehmens“, sagt Weigand. Nicht nur, weil in der Nähe kein Mittagstisch zu finden sei, sondern auch, weil sie für alle Nöte ein offenes Ohr habe.

Benefits, Auszeichnungen und Karrierewege

Weitere Benefits sind ein interner Gesundheitsberater, ein Gutschein für Team-Bekleidung, der „Weigand Award“ sowie Entwicklungschancen: vom Fahrer zum Fuhrparkleiter oder Geschäftsführer. Auch ein Trainingspartner begleitet neue Fahrer in den ersten 100 Tagen. Weigand praktiziert einen situativen Führungsstil mit Fahrer-Einzelgesprächen. Aufwendig, aber hilfreich – und vor allem mit einem Ziel: „Wow!-Effekte“ und emotionale Bindung.

Praxisnahe Eindrücke vor Ort

Nach dem Vortrag nutzten die Teilnehmenden die Mittagspause für einen Rundgang über die Anlage Truck Parking Dessau. Dabei bot sich auch die Gelegenheit, bei der Fahrzeugausstellung von MAN und Scania moderne Lkw aus nächster Nähe zu erleben. Ein besonderes Highlight war die Live-Vorführung der Bear-Cut-Maschine, mit der sich Lkw-Reifen nachschneiden lassen – ein praxisnaher Einblick in die Möglichkeiten zur Ressourcenschonung im Fuhrpark.