Lob für virtuellen Fahrer: Sicher und zuverlässig
DSV testet semi-autonomen Lkw

Peter Matthiesen von DSV spricht über den ersten erfolgreichen Testlauf mit einem semi-autonomen Lkw, den DSV gemeinsam mit dm, Plus und Iveco durchgeführt hat. Im Fokus standen mehr Sicherheit, weniger Kraftstoffverbrauch und die Integration der Technologie in die Nachhaltigkeitsstrategie des Logistikdienstleisters.

semiautonomer Lkw Projektabschluss dm DSV
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trans aktuell: Herr Matthiesen, wie viele Kilometer oder Stunden hat der Lkw insgesamt absolviert und wir haben Sie die Route ausgesucht?

Peter Matthiesen: Im eigentlichen Testlauf war er vier Tage unterwegs, an denen er jeweils einen 200 Kilometer Rundtripp unternommen hat, also gesamt 800 Kilometer. In der Vorbereitung auf den Testlauf wurden 600 Kilometer absolviert. Wir hatten uns bewusst die Route ausgesucht, um den Anwendungsfall Depot-zu-Depot und dessen Herausforderungen zu testen. Die vielen Kilometer im Vorfeld des Testlaufs waren notwendig, um die notwendigen Daten zu sammeln, damit das intelligente System von Plus die Route versteht.

Wie ging das Datensammeln vor sich?

Das Fahrzeug ist mit hochauflösenden Kameras, Lidar und Radar ausgestattet und nahm alles auf und an der Strecke auf, etwa Verkehrszeichen oder Fahrspurzusammenführungen. Schon anhand dessen wussten wir dann, wo der Lkw ist, denn wir kannten alle Merkmale der Strecke. Der Lkw konnte also quasi wie mit geschlossenen Augen fahren. Auch das Fahren in Tunnel ist kein Problem mehr.

Musste die Strecke in irgendeiner Form präpariert werden?

Im Anfangsstadium dachten alle Projektbeteiligten, dass es eine Infrastruktur braucht, die 'spricht', also mit dem Fahrzeug in Kommunikation tritt. Aber tatsächlich war die Entwicklung so schnell, so dass die Lkw-Features alles selbst sehen. Das ist natürlich günstiger und einfacher, als an der Infrastruktur etwas zu ändern. Das einzige Problem waren eigentlich nur die digitalen Verkehrszeichen. Sie konnten nicht von den Kameras gelesen werden, da die Anzeige flackert. Das war der einzige Punkt, an dem wir eingreifen mussten. Die Anbieter der Verkehrsschilder und die Kamerahersteller wissen jetzt von dem Problem und sind dabei, das zu richten.

Was waren, etwa von Seiten von Plus die größten Herausforderungen bei dem Projekt?

Eigentlich gab es keine Herausforderung! Wir hatten sogar die geplante Route in letzter Minute geändert, um einen besseren Milkrun darzustellen. Dafür musste die neue Route dann lediglich ein paar Mal abgefahren werden, um die Daten zu sammeln. Auch die Tatsache, dass wir den Testlauf in einer verkehrlich stark komprimierten Region ausgeführt haben, war kein Problem. Der Lkw musste zwar oft im Stau fahren, der Fahrer konnte aber entspannen. Denn anders als ein Mensch sieht ein Radar viel weiter nach vorne, erkennt also einen Stau schneller und kann dann frühzeitig abbremsen. Das ist ein Plus für die Verkehrssicherheit und spart noch dazu Sprit. Für das Fahrverhalten gab es sogar Lob von anderen Fahrern.

Inwiefern?

Unser Fahrer hat sehr viele "Daumen hoch" bekommen. Denn das System beachtet alle Regeln und Vorschriften beim Fahren. Anders als ein Mensch hat es aber keine Emotionen beim Fahren, versucht also bei einem Spurwechsel etwa nicht, noch schnell an den anderen Lkw vorbei nach vorne zu kommen. Das haben wir auch bei den Tests in den USA bemerkt. Anders als dort haben wir in Deutschland den semi-autonomen Modus aber aus regulatorischen Gründen nur auf der Autobahn einsetzen können.

Als eigentlich wäre er fähig, vollautomatisch auch auf der Bundesstraße zu fahren?

Ja, das System ist aber dahingehend abgesperrt. Per GPS-Signal merkt das System dann, dass die Auffahrt auf die Autobahn erfolgt und meldet daraufhin "ready to engage", der virtuelle Fahrer führt dann die Übernahme durch. Bei Abfahrt von der Autobahn kündigt das Signal wiederum die Übergabe an den Fahrer an, der das aktiv bestätigen muss. Übrigens: Sobald der Fahrer während der Fahrt das Lenkrad oder das Gas- oder Bremspedal nur berührt, übernimmt er die Kontrolle des Fahrzeugs – es gibt keine so oft kolportierte verzögerte Übergabe vom System auf den Menschen.

Wie waren die Eindrücke des Fahrers?

Noch habe ich nicht alle Protokolle gelesen. Aber ich weiß, dass er am Anfang wirklich mit sich zu kämpfen hatte, um die Kontrolle an das System zu übergeben. Nach zwei Tagen hatte er dann das Vertrauen in das System, ein Wendepunkt, denn ab da konnte er entspannen und den Lkw fahren lassen. Von anderen Fahrern autonomer Fahrzeuge habe ich gehört, dass man das Gefühl hat, als würde zehn Augen auf den Verkehr gerichtet sein – man fühlt sich sicherer, entspannter. In der Zukunft, wenn autonome Systeme mit E-Lkw kombiniert werden, bedeutet das ein sehr ruhiges und entspanntes Fahren, weil auch hartes Bremsen und ruckhafte Anfahrten der Vergangenheit angehören. Als Folge werden die Fahrer am Ende der Schicht weniger müde und weniger gestresst sein. Das macht den Job attraktiver, unter anderem auch für junge Fahrer und Frauen. Aktuell ist es für viele noch ein harter Job.

Was waren weitere Herausforderungen, etwa in Abstimmung mit Behörden?

Eine Hürde war, dass wir von der verantwortlichen Sachverständigenorganisation keine Zulassung für den Straßenbetrieb bekommen hatten – wie waren also nur mit 'Dummy Cargo' statt mit richtiger Ware unterwegs. Iveco und Plus arbeiten jetzt mit der Organisation zusammen, um sicherzustellen, dass kommerzielle Lkw 2028 die Genehmigung bekommen. Bislang haben die zuständigen Behörden und Organisationen weder Erfahrung noch Daten zum Thema autonomen Fahren. Da ist Europa, anders als die USA, noch im Hintertreffen, vor allem, was die Gesetzgebung anbelangt. Deutschland bildet neben Großbritannien und Norwegen die Ausnahme in Europa und hat etwa schon Rahmenbedingungen wie den Abfahrts- und Ankunftscheck gesetzlich festgelegt. Nicht alles ist perfekt geregelt, aber es ist beispielhaft für den Rest von Europa.

Wird DSV das Thema semiautonomes Fahren zeitnah in die Praxis überführen?

DSV plant für Ende 2025 den Einsatz eines vollautonomen Lkw in den USA – die sind uns in Europa zwei bis drei Jahre voraus, so dass wir 2027 schon mit dem vollen kommerziellen Einsatz planen. In Europa sind wir 2029 oder eher 2030 so weit.

Die Anschaffungskosten dürften auch noch sehr hoch sein…

Natürlich kostet das. Aber wenn man keine Fahrer bekommt, ist es gleich, ob der Lkw günstiger ist – und wir legen Wert darauf, dass wir Fahrer für unsere Kunden haben. Es ist nicht anders als etwa mit der Geschwindigkeitskontrolle beim Pkw. Wer das einmal nutzt, würde auch nie wieder ohne fahren wollen. Das ist auch beim Lkw so, die Fahrassistenzsysteme sind sehr gut. Und der nächste große Schritt geht eben in Richtung semi-autonomes Fahren. Nicht zuletzt durch die Spritersparnis wird auch ein Geschäftsmodell daraus.

Sind das nicht nur wenige Prozent?

Ja, aktuell sind es vielleicht nur ein paar Prozent – verglichen mit einem sehr guten Fahrer. Bei einem weniger guten Fahrer können das zehn Prozent oder mehr ausmachen. Daher ist der Einsatz auch Teil unserer sehr stringenten Nachhaltigkeitsstrategie. Wir beraten unsere Transportpartner schon jetzt dazu, den sparsamsten Lkw zu kaufen, dazu passt auch der semi-autonome Lkw.

Wie sieht die Einbindung in die Nachhaltigkeitsstrategie aus?

Wir wollen bei den Treibhausgasemissionen in Scope 3 ein Minus von 30 Prozent bis 2030 erreichen. Daher ist es unser Ziel, auch unsere Dienstleister zu motivieren, uns dabei zu begleiten. Wir zeigen ihnen etwa auf, welche Fahrzeugmodell und welche Zusatzausstattungen besonders spritsparend sind, und helfen ihnen, ein TCO-Modell aufzubauen. Unsere Partner wissen das zu schätzen und vertrauen uns, denn aktuell ist die Fahrzeugfrage und die Wahl der verschiedenen Antriebsmöglichkeit ein Minenfeld für Unternehmen. Im Gegensatz zu einem KMU haben wir auch genügend Personal, das sich mit diesen Fragen beschäftigen kann.

Sind alternative Antriebe inzwischen Teil der Ausschreibungen bei DSV?

Im Fernverkehr setzten wir vornehmlich Partner aus Osteuropa ein. Die haben vor Ort so gut wie keine Ladeinfrastruktur, ein E-Lkw macht also keinen Sinn. Stattdessen beraten wir sie zu den besten Dieselmodellen. Aber im Regionalverkehr wünschen wir uns das von unseren Transportpartnern. Wir geben ihnen dann auch eine Transport-Zusage. Mit dieser Planungssicherheit können sie auch zu ihrer Hausbank gehen und bekommen ein entsprechendes Fahrzeug finanziert. Dieses Commitment bekommen im Gegenzug auch wir von unseren Kunden. Ein E-Lkw kostet aber nicht nur, sondern bietet auch wirtschaftliche Vorteile, etwa die Mauteinsparung. Und nicht zu vergessen: Das eingesparte CO2 lässt sich auf dem Markt verkaufen – das ist wie eine neue Währung.

Der Lkw wurde in Karlsruhe für den Testlauf vorgestellt, in Krefeld wurde die Testphase abgeschlossen. Nach Angaben der Partner – Logistikdienstleister DSV, dm-Drogeriemarkt, Technologieanbieter Plus und Fahrzeughersteller Iveco – war dies der erste Test der Technologie auf deutschen Straßen. Das Fazit: verbesserte Sicherheit, Effizienz und Kraftstoffeinsparung.

Vorausgegangen war dem Einsatz auf der Straße die ausgiebige, mehrmonatige Erprobung und Validierung der Technik sowie Schulungen der Fahrer. Dann erfolgte der Praxiseinsatz auf der Strecke zwischen zwei Warenlagern in Krefeld und Hennef. "Der Schwerpunkt liegt auf dem Depot-zu-Depot-Betrieb, da sich die Technologie perfekt für wiederkehrende Abläufe eignet, bei denen ausreichend Daten verfügbar sind", erklärt Peter Matthiesen, Senior Director, Group Innovation, Mobility & Truck Technology bei DSV (siehe Interview unten). Laut DSV hat das Pilotprojekt die erwarteten Erkenntnisse und Annahmen bestätigt, vor allem in Bezug auf verbesserte Sicherheit und Zuverlässigkeit. Das autonome Fahrsystem zeigte demnach durchweg ein sicheres Fahrverhalten, insbesondere beim Spurhalten, Spurwechseln, adaptiven Fahren und im Umgang mit vorhersehbaren Verkehrssituationen. Außerdem kann das System den Kraftstoffverbrauch um etwa zehn Prozent senken und damit die Emissionen verringern. Die semi-autonome Lösung wurde gemeinsam von Fahrzeughersteller Iveco und dem im Silicon Valley ansässigen Unternehmen für selbstfahrende Software, Plus, entwickelt. Der eingesetzte Iveco S-Way-Lkw war mit einer KI-basierten hochautomatisierten Fahrlösung von Plus sowie Sensoren wie Lidar, Radar und Kameras ausgestattet. Somit war die autonome Fahrtechnologie laut DSV in der Lage, normale Fahrmanöver auf der Autobahn sicher und automatisch durchzuführen, einschließlich Spurwechsel, vom Fahrer initiierte oder vom System vorgeschlagene Spurwechsel, Stauassistenz und Anfahren – alles vom Fahrer überwacht. Mit der Erprobung der Technologie stellen die Projektpartner nach eigenen Angaben die Weichen für eine spätere Inbetriebnahme semi-autonomer Lkw sowie die Erprobung einer vollautonomen Fahrlösung für die Logistik. Werkseitig hergestellte selbstfahrende Lkw sollen demnach voraussichtlich bis 2027 in den USA und anschließend in Europa kommerziell verfügbar sein. "Wir sind stolz darauf, gemeinsam mit unseren innovativen Partnern DSV, dm-drogerie markt und Iveco den Abschluss des Pilotprojekts zu feiern", sagt Shawn Kerrigan, COO und Mitbegründer von Plus. "Wir freuen uns darauf, fabrikgefertigte selbstfahrende Lkw mit der revolutionären Selbstfahrtechnologie von Plus auf den Markt zu bringen, zunächst in den USA und dann in Europa." "Mit DSV arbeitet dm-drogerie markt in einer inzwischen jahrzehntelangen Partnerschaft gemeinsam an nachhaltigen und innovativen Lieferketten. Daher haben wir dieses Pilotprojekt sehr gern unterstützt. Auch für die Zukunft freuen wir uns, gemeinsam an zukunftsweisender Technik wie dieser zu arbeiten", so Ursula Paepcke, Bereichsverantwortliche Transportation Management im Ressort Logistik des Drogeriehändlers dm-drogerie markt.

Die Drogeriekette dm ist langjähriger Kunde des Logistikdienstleisters DSV. Beide haben sich gemeinsam dem Thema nachhaltige Transportlogistik verpflichtet.

Die Projektbeteiligten nach Abschluss des Tests. Zum Einsatz kam ein Iveco S-Way mit PlusDrive-Technologie.