Wenn es um die letzte Meile geht, denken viele zuerst an den Stadtverkehr. Doch was ist mit der letzten Meile auf dem Land? Susanne Gillig, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg, hat sich diese Frage gestellt. „Ich war überrascht, wie dünn die Studienlage zu diesem Thema ist und dass neue Systeme hauptsächlich für den urbanen Raum konzipiert und erforscht werden“, sagt Gillig. Sie selbst ist in einem ländlich geprägten Raum in Süddeutschland aufgewachsen, hat aber auch in einigen Großstädten gelebt. Den Unterschied zwischen der letzten Meile im urbanen Raum und auf dem Land hat sie gespürt.
Seit Februar 2022 verfasst sie daher für ihre Promotion an der KLU Studien, unter anderem zur letzten Meile auf dem Land. Im Fokus steht die Nutzerakzeptanz. Denn die sei bei innovativen Konzepten für die letzte Meile auf dem Land fast immer zu gering. „Es ist schwierig, wirtschaftlich tragfähige Lösungen einzuführen, wenn sie so schlecht angenommen werden“, sagt Gillig gegenüber trans aktuell. Als Beispiel nennt sie den Rewe-Einkaufbus, ein Pilotprojekt des Lebensmitteleinzelhändlers in Kooperation mit der Deutschen Bahn. „Es gab viel positive Resonanz, aber letztlich ist das Angebot nicht ausreichend angenommen worden“, heißt es in einer Pressemitteilung von Rewe.
Digitalisierte Nachbarschaftshilfe
Gillig hat herausgefunden, was die Menschen in sogenannten Lebensmittelwüsten – also Gebieten mit sehr eingeschränktem Zugang zu Lebensmitteleinzelhändlern – stattdessen tun. „Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder bringen Lebensmittel mit oder sie fahren Umwege. Das ist umständlich und aufwendig.“

Einkaufen im Rewe-Einkaufsbus. Das mobile Angebot wurde eingestellt – zu wenig Interesse.
Diese Nachbarschaftshilfe lässt sich allerdings digitalisieren. „Crowdshipping“ nennt sich der Ansatz, den Gillig verfolgt. Dabei kann jede und jeder Pakete transportieren, der gerade Zeit und freie Kapazitäten hat – vor allem Privatpersonen. Gemeinsam mit den Co-Autoren hat Gillig im Jahr 2023 im Zuge ihrer Doktorarbeit eine Studie zur Nutzerakzeptanz von Crowdshipping durchgeführt. Die rund 600 Teilnehmenden aus ganz Deutschland kamen zu gleichen Teilen aus urbanen oder ländlichen Räumen.
Dabei hat sich gezeigt, dass Menschen, die auf dem Land leben, eher zu Crowdshipping bereit sind. Auf dem Land gehe es weniger anonym zu als in der Stadt, das Gemeinschaftsgefühl sei stärker und die Hilfsbereitschaft größer. Insbesondere junge Menschen und Männer zeigten sich aufgeschlossen.
Crowdshipping von Amazon und Uber
Crowdshipping an sich ist keine neue Idee: Der Online-Versandhändler Amazon hat mit Amazon Flex bereits ein Crowdshipping-Konzept aufgesetzt und es im Juni 2022 eingestellt. Der Grund waren zu wenig Nutzer. Die Mobilitätsplattform Uber versucht es aktuell mit Uber Connect und setzt private Fahrer, die für reguläre Fahrdienste registriert sind, zusätzlich für den Paketversand ein. Allerdings ist Uber Connect nur in Städten verfügbar.
Gillig und ihr Team verfolgen einen Ansatz, der Potenzial für den ländlichen Raum zeigt. Der Kunde, zum Beispiel ein lokaler Händler, meldet einen Transportauftrag. Dieser landet auf der Crowdshipping-Plattform, über die ein passender Crowd-Kurier gefunden wird. Nur die letzte Meile werde an die „crowd“, an Privatpersonen, ausgelagert.
Mit CargoSurfer die Logistiklücke füllen
Ein anderer Ansatz, um den Transport auf der letzten Meile zu verbessern, ist das Forschungsprojekt CargoSurfer. Im Rahmen ihrer Promotion arbeitet Gillig daran mit. Ziel sei es, die Logistiklücke im ländlichen Raum zu füllen. Aus Leerfahrten von Transporten, die ohnehin stattfinden, soll ein kundenorientierter Lieferservice werden. Dazu haben die Projektbeteiligten eine webbasierte Plattform entwickelt. Kunden können ihre Transportaufträge einstellen, über die Plattform CargoSurfer findet ein Matching zwischen dem Transportauftrag und freien Kapazitäten statt. Ein Plus für regionale Unternehmen. Sie transportieren entweder die Ware anderer Händler, wenn sie ohnehin ausliefern, und bieten damit eine zusätzliche Dienstleistung an. Oder sie schicken ihre Ware bei anderen Transporteuren mit und erweitern so ihren Kundenstamm und ihr Serviceangebot.

„Der ländliche Raum ist vielerorts unterversorgt und der Leidensdruck häufig relativ hoch“, sagt Susanne Gillig, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Kühne Logistics University (KLU).
Bisher befindet sich CargoSurfer im Testbetrieb in Hessen. Im April 2025 startet dort der Live-Betrieb, nach und nach sollen weitere Regionen aufgeschaltet werden. Neben der KLU sind die Firma LandLogistik (LaLoG), das Softwareunternehmen Trapeze, die Cantus Verkehrsgesellschaft aus Kassel, das Verkehrsunternehmen Regionalverkehr Main-Kinzig, das Behinderten-Werk Main-Kinzig (BWMK) und die Vereine „Spessart Regional“ und „Gutes aus Waldhessen“ beteiligt. Die KLU hat dem Projekt mit der Prognose der Ankunftszeit ein zusätzliches Tool geliefert. Mithilfe von Machine Learning wird vorhergesagt, wann die Fracht mit der gewählten Verbindung ankommt. Das sei vor allem bei mehrstufigen Lieferketten wichtig, die mit der Anwendung möglich sind.
Momentan arbeitet Gillig an ihrer dritten Studie zum Thema „Retail-Formate zur Daseinsfürsorge im ländlichen Raum“. Autonome Supermärkte, also 24/7 geöffnete Einkaufsmöglichkeiten ohne Personal, oder mobile Supermärkte, sind solche Retail-Formate.
Aber auch diese innovativen Konzepte sind für viele Endverbraucher in Sachen Nutzerakzeptanz schwierig. „Zu weit weg von dem, was sie gewohnt sind“, so Gillig. Immerhin, es gibt innovative Ansätze. Denn Lösungen müsse es unbedingt geben: „Der ländliche Raum ist vielerorts unterversorgt und der Leidensdruck häufig relativ hoch.“
Das Projekt CargoSurfer
- Kombinierter Ansatz, der die Logistiklücke im ländlichen Raum füllen will.
- Über eine webbasierte Plattform werden Kunden und Transporteure vernetzt, um Leerfahrten zu vermeiden.
- Momentan noch Testbetrieb in Hessen, ab April 2025 im Live-Betrieb – perspektivisch auch in weiteren Bundesländern.
- Beteiligte: Kühne Logistics University (KLU), LandLogistik (LaLoG) (betreibt die Anwendung), Cantus Verkehrsgesellschaft, Behinderten-Werk Main-Kinzig (BWMK), Verband Spessart Regional, Gutes aus Waldhessen, Regionalverkehr Main-Kinzig, Trapeze Group
- Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) fördert das Projekt mit rund 1,85 Millionen Euro.