Jens Fiege im Interview: Turbo-Effekt durch Corona

Jens Fiege im Interview
Turbo-Effekt durch Corona

Omnichannel wächst umsatzmäßig am schnellsten, und jetzt beteiligt sich der Logistiker auch noch an der Digitalspedition Sennder: Unternehmer Jens Fiege im Interview.

Turbo-Effekt durch Corona
Foto: Andreas Gruhl/Fiege
trans aktuell: Herr Fiege, die Geschäfte laufen rund. Welcher Bereich macht aktuell gerade am meisten Spaß?

Fiege: Unser Bereich Omnichannel-Retail entwickelt sich unglaublich dynamisch, besonders im E-Commerce. In der Pandemie gab es sogar noch einen Turboeffekt. Wir haben in dem Bereich vor zehn Jahren angefangen und etwa Zalando von Beginn an unterstützt. Heute sind wir einer der führenden Dienstleister in Europa in diesem Bereich und investieren in Automatisierung und Nachhaltigkeit. Wir wachsen noch immer massiv weiter – das ist eine wunderbare Entwicklung mit einem sehr großen Umsatzanteil.

In welcher Höhe?

50 Prozent plus über alle Regionen, wobei neben dem E-Commerce auch der stationäre Handel enthalten ist. Das lässt sich nicht mehr trennen. Aber der überwiegende Teil erfolgt im Onlinegeschäft.

Anne Großmann Fotografie/Fiege
Jens Fiege ist seit 2019 Vorsitzender des Vorstandes und führt zusammen mit seinem Cousin Felix Fiege das Familienunternehmen in fünfter Generation.
Das Tempo, das Fiege hier an den Tag legt, legt auch nahe, dass mehr als Lagerlogistik gemacht wird.

Richtig, wir wollen der Enabler sein für unsere Handelskunden, aber auch für Marken. Gerade kleinere Marken sind inzwischen selbst auf Plattformen aktiv. Sie stehen dabei unter Druck durch die Marktplatzanbieter, die nur den Verkauf übernehmen und von den Marken verlangen, in einer sehr hohen Qualität und Geschwindigkeit an die Kunden auszuliefern. Diese Anforderungen wachsen, unsere Kunden brauchen daher einen Partner, der Erfahrung, Kapazität und Flexibilität mitbringt.

Was bietet Fiege dann an?

Unser Service geht über die logistische Dienstleistung hinaus, wir haben inzwischen auch Geschäftsbereiche für digitale Dienstleistungen. Wir bauen Order-Management-Systeme, organisieren die Zahlungsabwicklung, betreiben Callcenter oder setzen in Zusammenarbeit mit einem Start-up für den Kunden die Marktplatzanbindung um – und zwar technisch und auch inhaltlich. Wir bieten all diese Dienstleistungen aus einer Hand, wenn gewünscht, auch in Verbindung mit der Logistik. Das ist für uns inzwischen ein sehr großer Geschäftsanteil, der über die physische Logistik von pick, pack und ship hinausgeht.

Dabei investieren Sie auch viel, etwa in die IT.

Wichtig ist uns, die IT-Systeme so aufzubauen, dass sie wie ein modularer Baukasten für verschiedene Kunden nutzbar sind. Diese Investitionen sind oftmals nicht kundenindividuell. Das Gleiche gilt auch für die Themen Standorte und Automatisierung. Es ist uns sehr wichtig, dass die Kunden nahtlos wachsen können, denn gerade bei Multi-User-Warehouses gilt, dass Kunden klein anfangen und dann so stark wachsen, bis das gewachsene Geschäft schließlich an einen neuen Standort umzieht. Wir stellen sicher, dass das Wachstum des Kunden in physischer und technischer Hinsicht keine Hürden überwinden muss.

Wie sieht es in den Geschäftsbereichen Industrie und Pharma beziehungsweise Healthcare aus?

Im Geschäftsbereich Industrie und Reifen sind wir noch nicht wieder auf dem Niveau wie vor der Pandemie, hier wachsen wir weniger durch bestehendes als vielmehr durch neues Geschäft. Der Bereich Healthcare entwickelt sich dagegen sehr stark, auch wenn er noch kleiner als unsere industrielle Kontraktlogistik ist. Der Bereich Healthcare wächst aber relativ gesehen noch schneller als der E-Commerce-Bereich. Wir haben einige große Kunden dazugewonnen und sind im Begriff, den Standort Zülpich bei Köln mit über 50.000 Quadratmeter Logistikfläche in Betrieb zu nehmen. Den nächsten Standort in ähnlicher Dimension bauen wir gerade in Sachsen-Anhalt, ebenfalls ausschließlich für Healthcare-Kunden.

Schließen die Dienstleistungen auch GDP-Transporte ein?

Wir haben verschiedene Konzepte. Im Pharmabereich haben wir in einigen Ländern wie den Niederlanden und Belgien eigene Transportstrukturen, in Deutschland nutzen wir spezialisierte Partner und haben zudem auch ein eigenes Netzwerk für die Versorgung von Krankenhäusern, mit Regelverkehren und Notfallauslieferungen. Darüber hinaus verfügen wir über ein Netzwerk für Medizintechnik mit sieben Standorten und einer Versorgungszusage von vier Stunden bundesweit.

Wie tief ist Fiege in der Wertschöpfung seiner Kunden verankert?

Wir sehen uns heute als Spezialist für die verschiedenen Branchen, nicht als genereller Logistikdienstleister. Die Einheit Krankenhauslogistik etwa kann im Verbund von Fiege auf alle Strukturen und Ressourcensysteme zurückgreifen, agiert aber dennoch wie eine eigene Firma. Und deren Dienstleistung geht etwa so weit, dass wir auch die Rücknahme, die Prüfung und den Austausch von Medizintechnikgeräten übernehmen. Wenn es in der Gesamtkette sinnvoller ist, etwas zentral gebündelt an einem Logistikstandort zu machen als dezentral verteilt, dann übernehmen wir das gerne. Und dabei gehen wir in Erweiterung der Logistik auch sehr tief in die Wertschöpfungskette rein, und das in jeder Branche. Im E-Commerce bieten wir ja beispielsweise auch IT-Dienstleistungen an, denn die Wertschöpfung hört ja nicht mit der physischen Logistik auf.

Dennoch hat Fiege allein 30 sogenannte Mega-Center.

Der Trend zu „immer größer“ kippt etwas, zumindest im Handelsbereich. Die großen Standorte wird es weiter geben, aber es geht auch wieder mehr in Richtung dezentrale Strukturen, was ebenfalls vom E-Commerce getrieben ist. Zum einen erwarten Kunden eine immer schnellere Belieferung, zum anderen gibt es mehr lokale Handelsunternehmen, die auch E-Commerce-Kunden vor Ort bedienen. Das ist eine logistische Herausforderung, weil die Ware lokal und dezentral bezogen wird, aber halbwegs gebündelt an die Kunden ausgeliefert werden soll.

Und Ihre Lösung?

Die logistischen Systeme dafür bauen wir auf. Unsere Geschäftseinheit Last Mile holt beispielsweise für ebay Waren gebündelt bei den Powersellern ab, in diesem Fall quasi auf der first mile, und bringt sie zu den Paketzentren. Das ist auch in Zusammenhang mit der Citylogistik ein großes Thema für uns. Im Rahmen eines Joint Ventures mit einem Kaufhauskonzern wollen wir dafür zum Beispiel die vorhandenen Flächen in den Innenstädten besser nutzen. Diese Strukturen wollen wir auch für Dritte öffnen.

Und wie kommt man als Logistiker an die vielen Standorte – die sind ja inzwischen auch Gold wert?

Wir haben schon frühzeitig investiert und haben daher das Glück, über einen großen Grundstücksbestand zu verfügen. Das ist unser Fundus für sehr viele Neubauten. Aktuell bauen wir vier Logistikzentren in einer Größe zwischen von 30.000 bis 50.000 Quadratmetern, und auch für 2023 haben wir drei große Bauprojekte geplant. Daher sichern wir uns auch jetzt wieder Grundstücke. Dieses Thema ist natürlich eine große Herausforderung für die Branche, auch in Zusammenspiel mit den Kommunen. Aber weil wir viel Wertschöpfung betreiben, schaffen wir auch viele Arbeitsplätze – in Zülpich etwa entstehen durch unser neues Logisitkzentrum gut 250 Arbeitsplätze, darunter auch viele für Fachkräfte.

Warum haben Sie sich an der Digitalspedition Sennder beteiligt?

Transport bleibt eine unserer Kerndienstleistungen. Und diese bauen wir durch Sennder noch einmal aus, indem wir unseren Kunden neben den bestehenden Netzwerken einen weiteren attraktiven Kanal bieten. Außerdem sehen wir in der Beteiligung einen wichtigen Baustein unserer Digitalisierungsstrategie. Wir kennen das Sennder-Gründerteam schon seit mehreren Jahren. Und nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem sich beide Seiten sicher waren, dass wir uns gegenseitig unterstützen und auch gegenseitig voneinander profitieren können. Auf der einen Seite steht die digitale Expertise von Sennder, auf der anderen Seite unsere operative Erfahrung. Darin sehen wir große Potenziale für beide Seiten. Und deswegen ist unsere Beteiligung an Sennder auch deutlich mehr als nur ein reines Finanzinvestment. Es ist in erster Linie eine strategische Partnerschaft, von der wir uns viel versprechen.

Das Thema Nachhaltigkeit bezeichnen Sie als Herzensangelegenheit. Was macht Fiege in dem Bereich?

Ich freue mich, dass neben 20.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch 850 Millionen Bienen für uns tätig sind! Wir beherbergen und pflegen insgesamt 18 Bienenvölker an 12 unserer Standorte. Spaß beiseite, wir sind auf einem guten Weg bei der Klimaneutralität unserer physischen Logistikstandorte. Wir haben bei der Nachhaltigkeit die höchsten Baustandards, unser Strom ist CO2-neutral, und wir haben viele Fotovoltaikflächen. Und wir überlegen schon, wie wir den Strom zur Wasserstoffgewinnung einsetzen können, vielleicht auch im Transport.

Was planen Sie dort?

Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Wir haben zwar keine große eigene Flotte, aber wir steuern die Transporte für unsere Kunden. Daher arbeiten wir mit unseren Dienstleistern an Lösungen, und wir sind auch mit den Herstellern im Gespräch. Auf der Kurzstrecke sehen wir eine Zukunft für den batterieelektrischen Antrieb, generell halten wir auch Wasserstoff für einen vielversprechenden Ansatz im Transport. Das sehen wir in der Schweiz. Wünschenswert wäre daher auch in Deutschland eine branchenweite Initiative, um das Thema im Rahmen einer Kooperation voranzubringen. Fakt ist, dass Klimaschutz für meinen Cousin und mich eine Generationenaufgabe ist. Unsere Väter sind mit dem Thema Nachhaltigkeit schon losgelaufen, und wir beide tragen den Staffelstab weiter. Unser klares Ziel ist, ein klimaneutrales Unternehmen an die nächste Generation zu übergeben.

Das Unternehmen

  • Gegründet 1873, hat die Fiege-Gruppe aktuell rund 20.000 Mitarbeiter an 133 Standorten in 13 Ländern und einen Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Euro (2020)
  • Kernbranchen: Fashionlogistik, Healthcare, Industrie, Konsumgüter, Reifenlogistik, Medienlogistik und Online-Retail
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