Sennder-Chef über Millionen-Invests in die Zukunft

Sennder-Chef Nothacker plant
Digitalspedition pumpt Millionen in die Zukunft

David Nothacker, Gründer und CEO von Sennder, über Lkw-Kapazitäten und die künftigen Investitionen der Digitalspedition.

Digitalspedition pumpt Millionen in die Zukunft
Foto: Sennder
Herr Nothacker, nach der letzten Finanzierungsrunde wurde Sennder mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet und in die Riege der wertvollsten Digitalunternehmen Europas erhoben. Wie lebt es sich mit diesen Erwartungen?

Natürlich ist die Erwartungshaltung groß. Wir haben da ziemlich große Schuhe angezogen, in die wir weiter hineinwachsen müssen. Andererseits gibt uns die Finanzierungsrunde wieder zwei bis drei Jahre Zeit und Luft, uns weiterzuentwickeln.

Sennder ist eine der wenigen digitalen Speditionen, die es als Start-up auf dem deutschen Markt geschafft haben.

In unserer Anfangszeit waren wir nur eine von fünf digitalen Speditionen am Markt, und wir mussten uns weitaus mehr beweisen, weil wir vergleichsweise spät und anfangs noch von einer anderen Richtung her aktiv wurden. Nachdem wir unser Geschäftsmodell angepasst haben und heute als digitaler Spediteur gewerbliche Verlader mit Spediteuren verbinden, haben wir uns aber durchgesetzt und das Glück, dass wir nun deutlich größer und fortschrittlicher sind als unsere Mitwettbewerber. Das gilt besonders durch das Joint Venture mit der Poste Italiane und die Übernahmen von unserem französischen Wettstreiter Everoad und dem europäischen Frachtgeschäft von Uber Freight Europe.

Bei der letzten Finanzierungsrunde hat Sennder 160 Millionen Dollar eingesammelt. Was machen Sie mit dem Geld?

Insgesamt investieren wir über 100 Millionen US-Dollar in das Thema Tech. Der Großteil – etwa 50 Prozent – geht in die Weiterentwicklung unserer Tech-Plattform-Entwicklung. Ein weiterer Fokus ist der Ausbau unseres Bestandsgeschäfts mit Komplettladungen in ganz Europa. Auch bei unseren anderen Aktivitäten gibt es spannende Themen, die wir testen und ausbauen wollen, etwa unsere Software-as-a-Service-Plattform, außerdem unsere Value-added-Services für die Partnerspeditionen. Bisher mussten wir im Grunde immer aufholen – der Umsatz war immer so groß, dass wir organisatorisch erst mal hinterherkommen mussten. Das können wir jetzt angehen und dabei weiterwachsen und bei Carriern und Frachtführern weiter Vertrauen aufbauen.

Sind weitere Übernahmen geplant?

Die Übernahmen von Uber Freight Europe und Everoad 2020 waren eigentlich nicht so geplant, da hat auch Corona seinen Teil dazu beigetragen. In den nächsten Jahren wollen wir auch mal ein paar kleinere Asset-light-Unternehmen kaufen, also Sofaspeditionen ohne Lkw mit 20 bis 80 Mitarbeitern, die es uns ermöglichen, schneller in gewissen Regionen ein Netzwerk aufzubauen oder dort effizienter zu werden. Wir könnten noch schneller wachsen, wenn wir ausreichend Kapazitäten hätten.

Sennder
David Nothacker, CEO und Gründer von Sennder.
Und wo sind noch weiße Flecken auf der Karte von Sennder?

Unter anderem durch die Übernahmen sind wir auf sieben Standorte angewachsen. Da haben wir gemerkt, dass die Standortkomplexität doch immens ist. Weiße Flecken sind etwa noch Großbritannien, Skandinavien und Teile von Osteuropa wie Rumänien. Generell wollen wir natürlich in jedem größeren europäischen Land vertreten sein. Wir suchen aber auch in Deutschland Unternehmen – wenn es kleinere sind, sehr gerne auch in Berlin.

Welches sind die hauptsächlichen Unterschiede zwischen einer herkömmlichen und einer digitalen Spedition?

Was wir machen, ist eigentlich identisch zu einer analogen Spedition, aber der Unterschied liegt darin, wie wir es machen. Im ersten Schritt haben wir alle Kernprozesse digitalisiert, jetzt digitalisieren wir unser Partner, also die kleinen Frachtführer, die regelmäßig für uns fahren, ebenso wie die großen Kunden.

Stand bei Sennder am Anfang nicht auch eine App?

Dass das in diesem Geschäftsfeld nicht so einfach ist, haben wir schnell gemerkt. Das war letztlich auch die Herausforderung für Uber Freight Europe, weil die ihr Modell mit einer App für den selbstfahrenden Fahrer nicht einfach auf den europäischen Markt übertragen konnten. In Europa bestimmen die Disponenten über die Aufträge.

Wie viel Digitalisierung ist bei den Frachtführern im Spiel?

Alles ist digital abgebildet – die Anmeldung auf der Plattform, die Annahme des Transportauftrags, das Hochladen der Transportpapiere. Das ist für die Frachtführer der erste Schritt. Wir haben aber das System weiterentwickelt und bieten jetzt mit unserer SaaS-Plattform sennOS ein komplettes Operating-System an, über das Frachtführer ihr ganzes Geschäft komplett digital und transparent abwickeln können, auch Transporte für Dritte und auch von unseren Wettbewerbern. Aber auch das reicht nicht aus, um das Thema Adoption zu beschleunigen, daher bieten wir über die Plattform auch die Möglichkeit von Rechnungsstellungsfakturierung an. Auch Rechnungen von anderen Systemen können hochgeladen werden.

Wie sieht der SaaS-Ansatz aus?

Derzeit nutzen sennOS nur Partner, die schon länger für uns arbeiten. Zeitfracht ist einer der ersten großen Kunden, denen wir die Plattform als Lizenz anbieten. Wir verkaufen ja „Tech for Non-Techies“. Dafür muss man in kleinen Schritten das Vertrauen aufbauen, damit die Frachtführer auch den Vorteil in dem System sehen. Das sehen Sie beispielsweise auch bei dem Thema Rechnungsfakturierung. Das funktioniert super und überzeugt auch kritische Anwender, weil sie eben nach drei Tagen ihr Geld haben. Im nächsten Schritt wollen wir sennOS daher für Dienstleister mit bis zu 100 Lkw als SaaS frei anbieten. Die Idee dahinter ist, dass die Frachtführer die Technologie gut annehmen und wir damit auch Zugriff auf mehr Kapazitäten haben.

Wo sehen Sie Sennder in fünf Jahren?

Schön wäre sozusagen eine Standard-Technology-Holding über allem und dann eine Einheit mit unserem Hauptgeschäft, was wir als Brokerage oder als Sofaspedition bezeichnen. Die zweite Einheit wäre dann SaaS, das andere Speditionen und große Kunden als Plattform nutzen. Die dritte Einheit wären die Value-added-Services wie Versicherungen oder Tankkarten zum günstigeren Kraftstoffeinkauf. Alle drei sollten unabhängig voneinander sein, aber gleichzeitig ineinandergreifen. Da wollen wir hin.

Bleiben Sie weiterhin bei der Vermittlung von Komplettladungen oder geht es auch in Bereiche mit besseren Margen, etwa Lagerlogistik?

Der Fokus bleibt auf FTL, also Lkw-Komplettladungen. Weil wir uns auf eine Sache konzentriert haben, konnten wir so schnell wachsen. Es ist aber vorstellbar, dass wir in dem Segment Straßentransport 2021 auch mal den Bereich Teilladung testen oder vielleicht Paletten. Unsere Marge wird durchaus auch durch die beiden Säulen SaaS und Value-added-Service getrieben, deswegen können wir im Transport auch die gängigen Industriemargen akzeptieren.

Wie ist denn das Jahr 2020 für Sennder gelaufen?

Das Jahr war natürlich für unsere Frachtführer nicht immer einfach. Zum Umsatzergebnis machen wir keine Angaben, aber durch unsere Übernahmen sind wir umsatzmäßig dreimal gewachsen. Allein in Italien machen wir etwa mit Poste Italiane einen Umsatz von 100 Millionen Euro. Sennder hat aber auch davon profitiert, dass viele Frachtführer aufgrund der Pandemie erstmals mehr remote gearbeitet haben und sich auch Kunden erstmals getraut haben, etwas Neues auszuprobieren. Und das Jahr war auch deshalb für uns spannend, weil wir sehr viele Talente akquirieren konnten, allein in Berlin 80 Entwickler und Produktmanager, die in der Krise von anderen Start-ups kamen.

Noch eine letzte Frage: Was macht eigentlich eine digitale Spedition, wenn es irgendwo zwischen Verlader und Dienstleister mal klemmt?

Wenn es richtig brennt, greifen auch wir zum Telefon. Weil wir effiziente, transparente Prozesse haben, kommt es aber oft gar nicht so weit. So können wir über die Technologie etwa rechtzeitig sehen, ob eine Entladung sich derart verspätet, dass für einen Lkw die Anschlusstour gar keinen Sinn macht, und dann rechtzeitig vorplanen. Zudem haben auch wir eine kleine Flotte, wenn auch gechartert, die wir im Notfall losschicken können.

Zur Person

  • David Nothacker ist CEO und Mitbegründer von Sennder.
  • Er hat einen Bachelor in Economics & Management der italienischen Universität Bocconi, einen Masterabschluss in Management der London School of Economics (LSE) und in Internationalem Management von der ESADE Business School sowie einen MBA von der französischen INSEAD in Fontainebleau.
  • Noch während seines Studiums gründete er 2015 Sennder. Die Geschäftsidee: Waren per Flixbus zu transportieren.
  • Während seiner Tätigkeit bei der Strategieberatung Roland Berger lernte er Nicolaus Schefenacker und Julius Köhler kennen, mit denen er das Sennder-Geschäftsmodell 2017 entwickelte.
  • Heute bietet die Digitalspedition gewerblichen Verladern Zugang zu einer vernetzten Flotte von Tausenden von Lkw.

Das Unternehmen

  • Sennder ist nach eigenen Angaben die führende digitale Spedition in Europa und mit 10.000 Lkw vernetzt.
  • 2021 sollen bis zu eine Million Full-Truck-Load-Sendungen in 31 Ländern umgesetzt werden. 2025 soll ein Umsatzziel von zwei Milliarden Euro erreicht werden.
  • Das Unternehmen hat aktuell 840 Mitarbeiter und neben dem Hauptsitz Berlin (Tech-Hub) Standorte in Paris (Tech-Hub), Madrid, Riga, Mailand und Breslau.
  • In puncto Nachhaltigkeit will Sennder kleinen Frachtführern künftig helfen, etwa durch garantierte Auftragskilometer für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben oder Unterstützung bei der Anschaffung entsprechender Fahrzeuge.