Cargoline: Zwei Generationen, ein Ziel

KI-Einsatz im Stückgutbereich
Zwei Generationen, ein Ziel

Prognose im Stückgut: Heiner Hoffmann, der auf eine lange Karriere bei Cargoline zurückblickt, und Start-up-Gründer Pascal Dietrich von Cargocast im Gespräch.

Zwei Generationen, ein Ziel
Foto: Cargoline, Cargocast
trans aktuell: Herr Hoffmann, Herr Dietrich, wie kam es zur Zusammenarbeit von Cargoline und Cargocast?

Dietrich: Ich habe Cargoline 2019 im Rahmen eines studentischen Projektes der Universität Paderborn kennengelernt. Zu der Zeit habe ich mich mit Machine-Learning und KI beschäftigt. Die Problemstellung von Cargoline war typisch für Stückgutnetzwerke – die hohe Sendungsvolatilität führte immer wieder zu Schwierigkeiten in der Kapazitätsplanung. Es schien, als habe das Problem auf uns gewartet.

Hoffmann: Die Probleme mit den sprunghaft angestiegenen Mengen gab es schon seit Urzeiten, früher beim klassischen Weihnachtsgeschäft. Mittlerweile hat das sich in das Frühjahr verlagert – irgendwann kommt eine Sendungsmenge auf uns zugerollt, mit Gartengrills, Rasenmähern und mehr. Bekannt war immer, dass mehr Volumen in das Netzwerk kommt, aber was und wie, das war immer wie eine Blackbox.

Dietrich: Das haben wir schnell begriffen. Die Idee von uns war daher eine KI-basierte Sendungsprognose, um vor allem im Sammelguteingang mehr Sicherheit zu schaffen und die Planungen nicht zuletzt auch im Nahverkehr zu verbessern. 2022 haben wir Cargocast gegründet und haben für die Arbeit an unserem Tool von Cargoline eine Menge sehr guter Daten erhalten.

Herr Hoffmann, auf welcher Basis wurde davor geplant?

Hoffmann: Früher basierten unsere Planungen auf den Mengen-Zahlen aus dem Vorjahr. Ein weiterer Faktor war, auf welches Datum das Ostergeschäft fiel, und daraus haben wir die Planungen abgeleitet. Grob gesagt, sind jeweils Mitte März und Mitte September die Volumina nach oben gegangen. Aber was kam, war oft eine Überraschung. Unter anderem auch, weil wir etwa bei Neukunden mit größeren Volumen gar keine Erhebungen hatten, was da in das Netz kommt. Als Pascal also das Prognosetool erstmals vorgestellt hat, habe ich mich gefragt, wie das funktionieren kann. Inzwischen ist die Arbeit mit dem Tool Alltag – und ich bin begeistert von der Genauigkeit.

Was war wichtig, um das Tool zu modellieren?

Dietrich: Auch wenn die Probleme offensichtlich waren, mussten wir erst einmal den Stückgutmarkt verstehen. Logistik war bis dato für mich ein Lkw, der Ware von A nach B bringt. Wir mussten die fachliche Expertise der Spediteure und das Wissen der KI unter einen Hut bringen. Dabei galten wir als die jungen Wilden

.Hoffmann: Ich muss zugeben, eine gewisse Skepsis war anfangs vorhanden. So ganz haben wir den Datenmodellen nicht getraut, aber mit der Zeit wurden die Aussagen immer genauer, das hat uns überzeugt.

Wie nutzen Sie das Tool in Ihrern Arbeit?

Hoffmann: Aktuell bekommen wir eine Voraussage über die nächsten vier Wochen, einmal für die komplette Cargoline – da sehen wir, wie sich die Sendungsströme im Netzwerk bewegen. Das lässt sich dann auf die einzelnen Partner auf die einzelnen Tage herunterbrechen, und das eben vier Wochen im Voraus. Danach richten wir etwa unsere Fahrzeugplanung im Verteilerbereich aus. Wenn für ein Depot zehn Prozent mehr Sendungen erwartet werden, müssen wir entsprechend zwei bis drei Fahrzeuge mehr einplanen. Auch ein Sendungsrückgang, etwa in der Urlaubszeit, ist Teil der Prognose. Die Ergebnisse in der Operative umzusetzen, war am Anfang ein Lernprozess. Aber eine Abweichung von nur 1 oder 1,5 Prozent ist schon unglaublich genau. Und in dem Arbeitskreis Produktion arbeiten wir zusammen an einer weiteren Verbesserung.

Dietrich: Abweichungen ergeben sich meistens in den Tageswerten, etwa, wenn sich eine Linie verschiebt, oder wenn kurzfristig neue Großkunden aufgeschlossen werden oder ein Partner eine Sonderaktion in das Netz speist. Solche Daten wollen wir auch digitalisieren und standardisiert abgreifen, um sie in die KI einfließen zu lassen.Hoffmann: Das ist wichtig. Auch Frachtmengen von Dritten können problemlos verarbeitet werden, so dass der Disponent über alle Mengen die Prognose hat. Dietrich: …denn mittlerweile sind auch Depots angebunden, die keine Cargoline-Sendung haben, sondern in anderen Kooperationen Mitglied sind. Aktuell läuft im Stückgut noch viel über bilaterale Absprachen, künftig soll es dafür eine entsprechende Plattform für den Informationsaustausch geben.

Was ist die nächste Entwicklungsstufe von Cargocast?

Dietrich: Ein neuer Produktlaunch fnoch im April. Bislang müssen die Beteiligten die Informationen aus der gelieferten Sendungsprognose noch bewerten: Was heißt das für die Urlaubsplanung, was bedeutet das für die Performance, was steht aktuell auf der Halle, was muss zusätzlich berücksichtigt werden? Der nächste Schritt ist daher, diese Themen zusätzlich aufzunehmen, so dass am Ende des Tages nicht nur eine Prognose, sondern auch schon ein dementsprechender Handlungsvorschlag geboten wird - etwa zur Anpassung der Fahrzeugplanung für übernächste Woche. Und nicht nur das, die Beteiligten erhalten auch eine nachvollziehbare Erklärung, warum die KI zu dem Vorschlag kommt. Das wird die Arbeitsweise im Netzwerk nochmals drastisch ändern, weil damit automatische Entscheidungen generiert werden, die dann von den Anwendern bewertet und eventuell auch getroffen werden.

Herr Hoffmann, wie bewerten Sie das?

Hoffmann: Das sollte wohl auch die letzten Skeptiker überzeugen – mit dieser Weiterentwicklung haben wir es in der Operativen fast perfekt.

Dietrich: Damit schaffen wir auch resilientere Planungsprozesse. Natürlich kann sich Heiner zwei Stunden hinsetzen und mit seinem geballten Stückgutwissen eine Planung machen. Aber das kostet eben Zeit. Und in den Unternehmen gibt es immer weniger Mitarbeiter, die dieses Wissen mitbringen. Deswegen sind wir auch auf First Mover wie Heiner angewiesen, die für die Technologie werben.

Herr Hoffmann, wenn Sie in Bezug auf die Stückgutprozesse noch einen Wunsch hätten….

Hoffmann: Da gibt es viele Wünsche, die wohl nicht alle erfüllbar sind. Ausreichende Fahrzeugkapazitäten etwa, oder dass der Beruf des Kraftfahrers und das Image der Unternehmen wieder attraktiver werden. Ich hoffe, dass sich mit fortschreitender Digitalisierung auch wieder mehr junge Leute angesprochen fühlen, in unserem Bereich zu arbeiten.

Herr Dietrich, müssen die Branchenunternehmen mehr in die eigenen IT-Teams investieren?

Dietrich: Bei unserem Projekt war das eigene Team der Cargoline von Anfang an dabei, da haben auch wir viel Wissen und Erfahrung mitgenommen. Aber KI hat die Programmierung grundlegend verändert. In der Summe werden in Zukunft viel weniger Programmierer benötigt, aber dafür absolute Spezialisten, die wir auch bei Cargocast ausbilden. Die haben ein sehr gutes Verständnis für die Unternehmen, das ist die Basis. Aber um die Geschwindigkeit der Entwicklung in der KI zu bewältigen, haben auch wir Leistungen ausgesourct, die von uns intern nur noch gesteuert werden. Für einen mittelständischen Spediteur ist die eigene KI-Entwicklung nicht lukrativ, denn sie ist nicht Teil des Kerngeschäfts.

Und was wäre, zum Abschluss, Ihr Wunsch?

Dietrich: Ein nochmals besserer Kommunikationsaustausch zwischen den einzelnen Partnern, denn es gibt noch ein enormes Potenzial, um Prozesse zu optimieren. Und mehr Sensibilität dafür, wie wichtig entsprechende Standards sind. Alle Kunden von uns kooperieren mit anderen Speditionsnetzwerken – für solche Kooperationen sind gemeinsame Daten- und Qualitätsstandards unerlässlich. In der Hinsicht hat sich in der Stückgutbranche schon viel geändert, aber für die Qualität im Rahmen der KI ist noch Luft nach oben. Hier muss die Branche sich noch verbessern.

Hoffmann: Als ich 1999 bei der Cargoline angefangen habe, waren Scanner und Barcode der neueste Trend, heute sind sie selbstverständlich. So wird es mit der KI auch sein.

Die Personen

  • Heiner Hoffmann (66) hat 1972 in einer Stückgutspedition eine Ausbildung zum Speditionskaufmann gemacht und arbeitet seither in dem Bereich.
  • Seit 1999 ist er bei Cargoline Bereichsleiter Produktion und Qualität.
  • Pascal Dietrich (32) hat Informatik an der Uni Paderborn studiert.
  • 2022 gründete er zusammen mit seinem Kommilitonen Simon Leontaris das Startup Cargocast.