Dr. Kobler: Heute steht beim autonomen Fahren allein die Zugmaschine im Mittelpunkt. Der Trailer wird bislang kaum berücksichtigt. Mit unserem Projekt IdenT möchten wir das ändern. Wir sind davon überzeugt, dass das sichere und wirtschaftliche autonome Fahren von Sattelzügen nur unter Einbeziehung des Trailers möglich sein wird. Das ist das Ziel des IdenT-Projekts.
Wir freuen uns sehr über die Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums, welches das Forschungsvorhaben mit 4,7 Millionen Euro bezuschusst. BPW ist dabei Konsortialführer, koordiniert die gemeinsamen Aktivitäten und fungiert als Systemintegrator. Auf wissenschaftlicher Seite arbeiten wir mit dem Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit sowie dem Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik zusammen. Ein weiterer wissenschaftlicher Partner ist das Institut für Mechatronische Systeme der Leibniz Universität Hannover, welches die echtzeitfähige Modellierung des Trailers und die darauf aufbauenden Algorithmen verantwortet.
Industrial Science ist als Spezialist für die Modellierung von Feder-Dämpfer-Systemen dabei. Viscoda bringt die Expertise für computergestütztes Sehen in das Projekt ein. TS3 ist für das Sensornetzwerk im Trailer verantwortlich. Okit bringt das Wissen über IT-Architektur, IoT und Datenübertragung ein und steuert zudem die Datenplattform bei, die das Bindeglied zwischen den Teilsystemen darstellt. Außerdem freue ich mich darüber, dass wir mit Weka Fahrzeugbau und Ansorge Logistik zwei BPW-Kunden an Bord haben, die unser Forschungsprojekt mit wertvollem Praxiswissen bereichern.
IdenT steht für Identifikation dynamik- und sicherheitsrelevanter Trailerzustände für automatisiert fahrende Lkw, besteht aus einem Sensornetzwerk für Trailer, einer cloudbasierten Datenplattform und innovativen Methoden zur Datenverarbeitung. Das IdenT-System generiert dabei zuverlässig Informationen, die heute für den Lkw aus technischen Gründen noch nicht verfügbar sind oder aufwendig vom Fahrer erfasst werden müssen, und stellt diese der autonomen Zugmaschine zur Verfügung.
Konkret fokussieren wir uns im Projekt auf vier Bereiche. Zum einen ist da die Fahrdynamik mit Gewichts- und Ladungsverteilung, dem Zustand der Ladung oder auch der Achslasten. Des Weiteren geht es um Zustände und Restlaufzeiten von funktions- und sicherheitsrelevanten Komponenten, die Rückraumüberwachung sowie die Fahrbahnbeschaffenheit.
Wenn in Zukunft ein Trailer von einer selbstfahrenden Zugmaschine bewegt werden soll, muss er in der Lage sein, umfassende Informationen zu seinem Zustand zu erfassen und an die Zugmaschine weiterzuleiten. Heute kontrolliert beispielsweise der Fahrer den Zustand des Trailers, künftig muss dies der Trailer autonom leisten.
Schäden an Reifen, Bremsen, Fahrwerk, Beleuchtung, Aufbau und Ladung müssen zuverlässig und rechtzeitig erkannt werden, um ungeplante Ausfälle und die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu vermeiden. Idealerweise sollte der Trailer in der Lage sein, Auskunft über Verschleißteile und alle funktions- und sicherheitsrelevanten Komponenten zu geben. Im IdenT-Projekt leiten wir aus diesen Anforderungen die zukünftig zu erfassenden Sensordaten ab. Dabei konzentrieren wir uns einerseits auf die sicherheitsrelevanten und andererseits auf die aus Kundensicht wichtigen Komponenten, um die spätere Marktfähigkeit unserer Lösung sicherzustellen.
Wir stehen im ständigen Austausch mit Idem Telematics, die Fracht, Fahrer und Fahrzeug mit intelligenten Telematiklösungen vernetzt. Wir prüfen regelmäßig, ob und wie wir Teilergebnisse des IdenT-Projekts in unsere Telematiklösungen integrieren und unseren Kunden frühzeitig zugänglich machen können, um so auch die Praxistauglichkeit im Feld sicherzustellen.
Sensordaten des Fahrzeugs, der Fracht und der Umgebung werden zunächst in Echtzeit von einem mathematischen Modell des Sattelzugs – also einem sogenannten digitalen Zwilling – ausgewertet und weiterverarbeitet. In Fahrsituationen, die besonders relevant für die Fahrdynamik und den Verschleiß bestimmter Komponenten sind, werden während der Fahrt online gesammelte Informationen zusätzlich über eine Cloud-Infrastruktur an einen sogenannten Offline-Zwilling gesendet. Dieser berechnet dann mithilfe detaillierterer und komplexerer Fahrzeugmodelle beispielsweise den Komponentenverschleiß und meldet ihn dem Online-Zwilling zurück.
Vorrangiges Ziel dieses Forschungsprojekts ist es, ein kunden- und marktgerechtes System anzubieten. Dazu berücksichtigen wir einerseits die Anforderungen der Fahrzeughersteller, wenn es beispielsweise um die Integration in die bestehende Trailer-Infrastruktur geht. Andererseits kennen wir auch die Wünsche der Fahrzeugbetreiber in dieser preis- und kostengetriebenen Branche. Wir agieren daher, wenn es um Hardware und Sensorik geht, nach dem Motto: so wenig wie möglich, so viel wie nötig.
Um Wissenschaft und Praxis in Einklang zu bringen, stellen wir seit Projektbeginn ein Versuchsfahrzeug zur Verfügung, an dem Lösungsansätze jederzeit unter realistischen Bedingungen getestet werden können. Dabei handelt es sich um einen dreiachsigen Planenauflieger. Er ist umfassend mit Sensorik, Messtechnik und einer Testumgebung für eigene Algorithmen ausgestattet und nach wie vor uneingeschränkt für alltägliche Transportaufgaben nutzbar. Damit schaffen wir ideale Bedingungen für unser Projekt.
Ja, das halte ich für durchaus vorstellbar, und wir sehen einige Start-ups, wie beispielsweise Einride, die genau diesen Ansatz verfolgen. Das historisch gewachsene Konzept von Lkw und Trailer bildet allerdings die Basis für den Großteil der Gütertransporte auf der Straße und wird daher nicht kurzfristig verschwinden. Zu berücksichtigen ist auch, dass es deutlich mehr Trailer als Zugmaschinen im Markt gibt – allein aus Kostengründen war diese Unterteilung also bisher sinnvoll. Aber natürlich müssen wir die heutigen Konzepte offen und lösungsorientiert auf den Prüfstand stellen.
Zur Person

- Jan-Philipp Kobler studierte Mechatronik an der FHDW Hannover und der Leibniz Universität Hannover
- Anschließend promovierte er dort an der Fakultät für Maschinenbau mit dem Themenschwerpunkt Robotik
- Seit 2015 ist der heute 35-Jährige bei BPW für die Vorentwicklung im Bereich Mechatronik verantwortlich