Überlandbusse sind robust. Überlandbusse dürfen nichts kosten. Überlandbusse sind nicht sexy. So weit das Vorurteil – oder vielmehr die drei wichtigsten Vorurteile in der Buswelt. Und alle drei treffen meist zu – zumindest in den Augen der Kunden, die auf diese tragenden Säulen des ländlichen Verkehrs landauf, landab angewiesen sind. Wobei Punkt drei eher nachrichtlich zu verstehen ist und wohl nur den Busjournalisten und Busenthusiasten interessieren dürfte.
Nun tun sich deutsche Hersteller seit Jahren schwer in dem Segment, zumal mit Produkten aus hiesiger Hochlohnfertigung. Über die vergangenen Jahre waren die Produktionsstandorte für die Alleskönner häufig in der Türkei oder Osteuropa zu finden. Seit Jahren ist der Iveco Crossway aus dem tschechischen Vysoke Myto der ungekrönte König des Segments, das regelmäßig rund ein Viertel der europäischen Busverkäufe ausmacht. Auch die Coronapandemie konnte dem Überlandbus nicht allzu viel anhaben: In Westeuropa stieg der relative Anteil sogar um 4 auf 28 Prozent, allerdings bei einem absoluten Verlust von rund 9 Prozent auf 6.764 Busse.

Allein Setra hat es geschafft, mit einer noch teilweise in Deutschland stehenden Produktion (nur das Dreiachsermodell S 418 LE business) mit seinem "Preiswert-LE" einen erstaunlichen Erfolg einzufahren und sogar den Stern-Kollegen aus Mannheim das hausinterne Zepter aus der Hand zu schlagen. Auch hier das Rezept: bewährte Technik mit wenig ansprechender Hülle. In diesem Fall sogar mit Bauteilen der vorherigen Baureihe 400, die im Reisebus schon 2012 abgelöst wurde. Ob der neue Mercedes-Benz Intouro diesem Konzept besser Paroli bieten kann als der teure und erfolglose Citaro LE, wenn die General Safety Regulation der EU 2024 dem bestverkauften Oldtimer endlich den Garaus machen wird, sei einmal dahingestellt. Schnitt. Es tritt in diesem fest gefügten Szenario auf – der unerwartete Exot: der türkische Otokar Kent U-LE. Ein klassischer Überlandbus in Low-Entry-Bauweise, nicht ganz unschön gestaltet, sicher preiswert und von den Grundanlagen wohl auch von robuster Machart. Oder wie es Thomas König ausdrückt, der für den Vertrieb in Deutschland zuständig ist: "Ein grundsolides, klassisches Überlandfahrzeug ohne Ecken und Kanten." Und das wird in der Türkei nicht nur gebaut, sondern dort auch konstruiert und verantwortet.
Otokar: Auch Elektrobusse in Planung
Der Otokar-Konzern kommt ursprünglich aus dem Rüstungsbereich und wurde vor rund 58 Jahren als Teil eines der größten türkischen Konglomerate, der Koç-Gruppe, gegründet. Seit den 80er-Jahren werden im Werk in Sarikaya, westlich von Ankara, auch Stadtbusse gebaut – insgesamt verlassen das Werk rund 2.500 Fahrzeuge jährlich. Wie alle türkischen Hersteller ist man besonders stark bei sehr kompakten Minibussen und Zweiachsern. Tatsächlich haben die Türken keinerlei Dreiachser im Angebot, von Gelenkbussen mal abgesehen. 2019 konnte das Unternehmen rund 800 Busse in den EU-30-Staaten absetzen, also ohne seinen Heimatmarkt, wo man sich als Marktführer sieht. 2020 waren es dann aufgrund der Coronapandemie nur noch 457 Busse oder 1,7 Prozent Marktanteil. Die wichtigsten Märkte sind dabei Frankreich (wo auch die Europazentrale samt Teilelager liegt), Italien und Spanien sowie Malta und Rumänien. In Deutschland selbst sieht es allerdings nicht ganz so rosig aus bisher: 2019 und 2020 setzte man 21 und 26 Busse ab, "vor allem in kleineren, regionalen Kundeninseln", so Thomas König. In Düren etwa laufen seit Kurzem neun Kent-C-Stadtbusse. Auch beim Thema Elektro will man langsam Boden gewinnen, der e-Kent scharrt schon mit der Hinterachse.

Wie alle Busse der Marke kommt der Kent U-LE, der schon ein paar Jahre auf dem Markt ist, aber 2018 in Kortrijk ein Facelift bekommen hatte, ausschließlich als Zweiachser der mittlerweile neuen Standardlänge von 12,2 Metern. Auch an der Türkonfiguration (vorn schmal, hinten breit) lässt sich nichts ändern, was gerade hinter Tür 1 zu etwas suboptimalen Sitzkonfigurationen führen kann. Die Höhe des Wagens von 3,2 Metern sorgt neben anderen Maßnahmen für die Erfüllung der ECE R66.02 sowie für einen sehr hohen und freundlichen Innenraum. Wie für einen LE-Überlandwagen typisch, sind die Haltestangen sehr hoch hängende Früchte und sorgen nach Besteigen der Podeste im Vorderwagen häufig für ungewollten Kopfkontakt. Gelochte Gepäckablagen in ähnlich schwindelerregender Höhe für die bis zu 45 Sitzenden sind Serie, Servicesets für Licht und Luft sind hier aber weder für Geld noch für gute Worte zu haben.
- Zugang zu allen Webseiteninhalten
- Kostenloser PDF-Download der Ausgaben
- Preisvorteil für Schulungen und im Shop
Sie haben bereits ein Digitalabo? Hier einloggen.
* Sie sind DEKRA-Mitglied? Dann loggen Sie sich ein und ergänzen ggf. in Ihrem Profil Ihre DEKRA-Mitglieds-Nummer.
Mitgliedsnummer ergänzen* Jahrespreis 22,65 Euro, Preis für FERNFAHRER Flexabo Digital in Deutschland,flexible Laufzeit, jederzeit kündbar.
Weiter zum Kauf