Mercedes-Benz Arocs SLT 4163 AS 8x6/4: Ein Unikat für schwere Lasten

Mercedes-Benz Arocs SLT 4163 AS 8x6/4
Ein Unikat für schwere Lasten

Im Werk Wörth hat Mercedes-Benz Trucks einen einzigartigen Arocs SLT 4163 AS 8x6/4 an den Bornheimer Schwertransportspezialisten Viktor Baumann übergeben. Im Zug-Schub-Verband sind Transporte mit einem Zuggesamtgewicht von über 1.000 Tonnen möglich. Das Besondere ist aber der Fahrerarbeitsplatz, dessen Vergrößerung Paul Nutzfahrzeuge realisiert hat.

Johannes Roller
Foto: Johannes Roller

Erfolg hat viele Väter, lautet ein Sprichwort. Auf die Schwerlastzugmaschine, die Mercedes-Benz Lkw Mitte Oktober an die Schwertransportspezialisten von Viktor Baumann übergab, trifft es hundertprozentig zu. Viele kluge Köpfe und fleißige Hände waren viele Monate lang beschäftigt, um aus einem dreiachsigen Allrad-Arocs mit schmalem Streamspace-Fahrerhaus einen vierachsigen Arocs SLT mit breiter Bigspace-Kabine zu machen, den es so nur ein einziges Mal gibt. Angefangen bei der Rheinischen Kraftwagengesellschaft (RKG), die sich vor gut anderthalb Jahren an die Erfüllung dieses speziellen Kundenwunsches machte, über die technische Beratung Schwerlasttransporter im Werk Wörth und die Umbauspezialisten von Custom Tailored Trucks (CTT) in Molsheim, die das Serienfahrgestell in einen SLT verwandelten, bis hin zu Paul Nutzfahrzeuge in Vilshofen, die den Spagat zwischen Allradfahrgestell, Motortunnel, größerer Kabine und zulässiger Gesamthöhe meisterten.

Das Ausgangsfahrzeug für dieses besondere Projekt rollte im November 2022 im Daimler-Truck-Werk Wörth vom Band: ein dreiachsiger Mercedes-Benz Arocs 3363 AS 6x6 mit einem Streamspace-Fahrerhaus von 2300 mm Breite und einem Motortunnel mit 320 mm Höhe. Angetrieben wird er vom 460 kW (625 PS) starken Euro-VI-Reihensechszylinder-Dieselmotor OM 473 mit 3.000 Nm Drehmoment und einem Hubraum von 15,6 Litern. Ab Werk verfügte das Fahrzeug bereits über einen verstärkten Rahmen, Blattfederung und den passenden Antriebsstrang für besonders schwere Lasten, darunter eine Turbo-Retarder-Kupplung VIAB von Voith.

Verwandlung in einen Arocs SLT bei CTT in Molsheim

In Molsheim im Elsass, bei Mercedes-Benz Custom Tailored Trucks, erfolgte die Verwandlung in einen vierachsigen Schwerlasttransporter (SLT). Hierzu erhielt der Arocs eine gelenkte, luftgefederte Vorlaufachse. Sie kann als Anfahrhilfe entlastet werden, um mehr Gewicht auf die angetriebenen Achsen zu verteilen. Um den erforderlichen Platz zu schaffen, wanderten einige Komponenten in den ebenfalls in Molsheim aufgebauten, charakteristischen Schwerlastturm. Darin sitzen Luftkessel, die Zusatzkühlanlage, ein 900-Liter-Kraftstofftank und die über Nebenabtrieb mit Welle angetriebene Hydraulikanlage für die Lenkung von Schwerlastanhängern. Oben auf dem Turmgestell sind mehrere rückwärtig ausgerichtete Arbeitsscheinwerfer montiert.

Bei CTT wurden außerdem die verschiebbare Sattelkupplung, die im Alltag meist unter einer Ballastpritsche von Greiner Heavy Engineering verborgen bleibt, die Anhängerkupplung (Rockinger RO 56 E) samt Querträger vorne und die heckseitige 500-Tonnen-Anhängerkupplung samt 1.000-Tonnen-Träger nachgerüstet. Die Heckkupplung wird Baumann noch in Eigenregie durch eine RO 58 E für 1.000 Tonnen Anhängelast ersetzen. Das stattliche Eigengewicht (leer: 17.191 kg, mit Ballast: 35.000 kg) der Zugmaschine eingerechnet, beläuft sich das zulässige Zuggesamtgewicht im Dreier-Verband dann auf deutlich über 1.000 Tonnen.

Nach etwa 14 Wochen waren die Arbeiten in Molsheim abgeschlossen. Jetzt stand die eigentliche Herausforderung an – die Kabinenanpassung, die Baumann-Fuhrparkleiter Matthias Kirschner den Projektpartnern ins Lastenheft geschrieben hatte. Es galt, das werkseitig auf dem Allradfahrgestell montierte L-Fahrerhaus Streamspace mit 2300 mm Breite, 320 mm hohem Motortunnel und 1635 mm Stehhöhe zu ersetzen durch ein L-Fahrerhaus Bigspace mit 2500 mm Breite. Denn Baumann legt nicht nur Wert auf Allrad, sondern auch auf möglichst viel Arbeits- und Lebensraum für seine Fahrer. Kirschner: „Mit einem 2,30-Meter-Fahrerhaus hat man halt ein Problem, wenn man im Zwei-Mann-Betrieb fährt. Und da wir das zu 80 Prozent machen, war uns das wichtig.“

Paul ermöglicht Allrad UND großes Fahrerhaus

Daraus resultieren immer wieder spannende Umbauten, zuletzt 2019, als Toni Maurer zwei MAN-TGX-Schwerlastzugmaschinen mit angetriebener Lenkachse und XXL-Kabine mit ebenem Boden für Baumann realisierte. Damals wurde das Ziel durch eine aufwendige Veränderung des Fahrgestells erreicht – während die Partner des Arocs-Projekts nun beim Fahrerhaus ansetzten und den Rahmen unangetastet ließen. „Rahmen und Triebstrang sind unverändert ab Werk so geblieben, nicht geschnitten, nicht geschweißt, nur mit vielen Verstärkungen“, erklärt Mario Kreiner, Technischer Berater Schwerlasttransporte von Mercedes-Benz Trucks.

Einen Haken hatte der Plan jedoch: Bigspace bedeutet neben der vollen Breite auch einen ebenen Kabinenboden und 1990 mm Stehhöhe. Dadurch ist dieses Fahrerhaus eigentlich nicht kompatibel mit dem Allradfahrgestell des Arocs, das nicht ohne Motortunnel auskommt, wenn man die Fahrzeughöhe von maximal 4 Metern einhalten will.

Davon ließen sich die Umbauspezialisten von Paul aber nicht abhalten. Durch Tausch der Kabine, Anpassung der kompletten Innenausstattung und Austausch von in Summe etwa 9.000 Teilen – Serienkomponenten, aber auch Einzelanfertigungen – schafften sie das Kunststück, Allradantrieb und Bigspace in diesem Unikat auf vier Achsen zu vereinen. Lediglich ein ganz kleiner Motortunnel von knapp 100 mm ließ sich dann doch nicht vermeiden. „Ich bin total begeistert, wie akkurat die Kollegen von Paul gearbeitet haben“, lobte Mario Kreiner beim Blick ins Fahrerhaus.

Dass Paul auch den schicken Dachbügel mit vier Schweinwerfern und zwei LED-Rundumkennleuchten sowie die beiden Drucklufthörner und die vier LED-Frontblitzer realisierte, gerät da schon fast zur Nebensache. Auch die rot lackierte „Schrankwand“ mit abschließbaren Staukästen, die sich an den Schwerlastturm anschließt, stammt aus Vilshofen. Mittig ist ein rechteckiges Blech eingelassen für die diversen Anschlüsse inklusive Nato-Steckdose sitzen. Zwischen Schrankwand und Ballastpritsche, auf Höhe der Vorlaufachse, kann sich der Fahrer auf einer Plattform aus Alu-Lochblech mit ausziehbarer Leiter bewegen.

Nach vier Monaten bei Paul kehrte der Arocs SLT 4163 AS 8x6/4 zurück ins Werk Wörth, wo er den letzten Feinschliff erhielt. Zur Übergabe reiste dann nicht nur die künftige Eigentümerin Sabine Baumann-Duvenbeck mit ihrem Team an, sondern auch die sichtlich stolzen Väter des Erfolgs, deren Firmenlogos nach guter Baumann-Tradition an der Frontstoßstange prangen. „Bei Baumann tauscht man nicht einfach nur ein Fahrzeug“, fasste Tobias Reinprecht, Verkaufsberater des RKG Truck Service, die vergangenen anderthalb Jahre zusammen.