Logistikplattform Transporeon: Interview mit Peter Förster

Logistikplattform Transporeon
Interview mit Peter Förster

Transporeon-Geschäftsführer Peter Förster, spricht über Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung von Großverladern und stellt seine Logistikplattform vor.

Interview mit Peter Förster
Foto: Karl-Heinz Augustin

Als Peter Förster vor 17 Jahren aus dem Studium heraus eine Firma gründete, brauchte man fürs Internet hier und da noch ein krächzendes Modem. Heute prägen digitale Angebote die Lebenswirklichkeit vieler Menschen, etwa wenn sie Waren im Internet bestellen und ständig über den Versandstatus informiert werden. Aber wie sieht es bei den Großverladern auf der letzten Meile aus? Förster freut sich zwar über mehr als 1.000 Verlader und 55.000 Speditionen, die inzwischen seine Logistikplattform Transporeon nutzen. Die Möglichkeiten der digitalen Angebote würden aber noch lange nicht ausgeschöpft.

Peter Förster
Karl-Heinz Augustin
Als Peter Förster (r.) Transporeon gründete, war das Internet noch Neuland. Heute nutzen mehr als 55.000 Spediteure seine Idee.
Wenn ein Lkw vom Hof rollt, dann können er und sein Fahrer heute mit einer Vielzahl an digitalen Angeboten vernetzt werden. Wie stark werden diese Möglichkeiten eigentlich genutzt?

In vielen Fällen sind die Prozesse heute noch sehr antiquiert. Der Einzige, der Informationen über den Status der Auslieferung und den Zustand der Ladung hat, ist der Fahrer. Sind Telematiksysteme vorhanden, dann haben auch die Disponenten in den Speditionen einen Überblick. Hier schätzen wir die Marktdurchdringung auf 50 bis 70 Prozent. Der Verlader jedoch hat meistens keinerlei Informationen über den aktuellen Stand der Auslieferung. Er steht aber bis zur Übergabe der Ware an den Empfänger in der Verantwortung, seine Leistung und sein Produkt mit dem erforderlichen Service an den Kunden zu bringen. Hinzu kommt: Wenn wir uns die typischen Branchen der Großverlader anschauen – etwa die Stahl-, Papier- und Baustoffindustrie –, dann sind der Preis und die Qualität der Produkte oft vergleichbar oder bereits im Vorfeld definiert worden. Der Touchpoint am Kunden ist deswegen ein wichtiges Differenzierungsmerkmal zwischen den Herstellern, und das Servicelevel in der Logistik gehört hier eindeutig dazu. Dieser Service ist jedoch häufig gar nicht im operativen Zugriff der Verlader. Es fehlt an Transparenz, und sie müssen sich auf ihre Spediteure verlassen.

Welche Aspekte sind beim Service gegenüber dem Empfänger denn besonders wichtig?

Servicequalität heißt ja zunächst, dass der Warenempfänger seine Lieferung pünktlich, also zum richtigen Zeitpunkt bekommen will. Digitale Tools können die Pünktlichkeit eines einzelnen Lkw zwar nicht immer verbessern, aber sie können das Fahrzeug orten, die voraussichtliche Ankunftszeit eines Lkw berechnen und diese Daten dem Verlader übermitteln – damit dieser, wenn erforderlich, Alternativen initiieren und umgehend seinen Kunden in­for­mie­ren kann. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Erfassung und Dokumentation von Schäden. Eine digitale Schadensabwicklung kann den Prozess deutlich beschleunigen: Ist die Ware beschädigt, dann kann das der Fahrer per Smartphone mit Foto und Text dokumentieren, vom Empfänger bestätigen lassen und über die App an die Reklamationsabteilung des Verladers senden. Dadurch kann der Verlader den Schaden umgehend und aktiv regulieren. Das ist Servicequalität, denn heute muss ja meist noch der Kunde im Schadensfall den Prozess anstoßen und oft erst mal tagelang auf eine Reaktion warten. Drittens spielt die Abwicklung der ganzen Papierdokumente eine wichtige Rolle, zum Beispiel des Empfangs- und Palettenscheins oder der Lademittelgutschriften. Auch hier können sich Verlader mit einem durchgängig digitalen Prozess vom Service her positiv abheben.

Jan FH
Rathmann
An der Rampe muss es schnell gehen. Transporeon setzt dabei auf ein "Mobile Order Management" via Smartphone. Per App kann der Fahrer Statusmeldungen absetzen, mit der sich die Ankunftszeit errechnen lässt. Der Disponent kann dem Kunden so qualifiziert Auskunft über den Sendungsverlauf geben.
Dieser durchgängig digitale Prozess wird auch als "Mobile Order Management" bezeichnet. Wie wollen Sie das erfolgreich umsetzen – angesichts eines stark fragmentierten Markts?

Mobile Order Management setzt bei den gerade erwähnten, ganz konkreten Problemstellungen der Großverlader an. Sie entstehen ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Lkw die Ware abgeholt hat und zum Empfänger aufgebrochen ist. Dabei geht es darum, bei der Vielzahl an Speditionen eine einheitliche Information zum Verlader zurückzubekommen. Das war bislang nicht möglich, weil es bei den Speditionen keine einheitliche Hard- und Software für Fuhrpark und Telematik gibt. In vielen Fällen ist noch überhaupt keine Hardware zur Auftragsabwicklung im Lkw vorhanden. Deswegen setzen wir seit einigen Jahren auf das Smartphone als Hardware und eine App als Verbindung zum Fahrer. Wir verwenden das Telefon, das ohnehin jeder Fahrer mittlerweile hat, um viele verschiedene Flotten und auch Fahrzeuge, die nur gelegentlich für einen Verlader fahren, in unsere Logistikplattform auf sehr einfache Art und Weise einzubinden. Mit der App kann der Fahrer dann beispielsweise Statusmeldungen absetzen, eine voraussichtliche Ankunftszeit berechnen lassen und eine Ortung ermöglichen. Wenn etwa der Empfänger bei dem Verlader anruft und nach einer Lieferung fragt, dann kann der Disponent direkt im System nach­sehen und qualifiziert Auskunft ­geben, das ist guter Kundenservice! Zudem ermöglicht das erhebliche Effizienzgewinne, weil so Standzeiten an der Rampe reduziert werden können. Denn dort kann durch den transparenten Informationsfluss schnell auf eine veränderte Situation reagiert werden.

Welche Funktionen können mit solchen Systemen in Zukunft angeboten werden?

Heute wird hauptsächlich das Tracking in Echtzeit genutzt, um etwa einem Kunden zu avisieren, dass eine Lieferung voraussichtlich 30 Minuten später ankommen wird. Außerdem werden bereits Teilprozesse papierlos abgewickelt. Mit einem Kunden sind wir beispielsweise derzeit in einem Projekt, um zusätzlich zum Echtzeittracking den Empfangsschein abzuschaffen und digital abzubilden. Der durchgängig papierlose Prozess wird aber selbst bei den Anwendern digitaler Logistikplattformen noch nicht vollständig umgesetzt. Erst, wenn das der Fall ist, können wir die nachgelagerten Prozesse in den Informationsfluss mit einbeziehen und schrittweise alle Beteiligten mit den für sie relevanten Informationen versorgen. Logistik 4.0 ist aber eine wichtige Voraussetzung, um Industrie 4.0 über die gesamte Wertschöpfungskette zu erreichen. Denn Industrie 4.0 spielt sich zwar erst einmal in einem abgegrenzten Umfeld wie einer Fabrik ab. Aber die Industrie ist sehr arbeitsteilig und es gibt viele unterschiedliche Firmen entlang der Wertschöpfungskette. Damit ein Automobilhersteller weiß, wann eine Lieferung von Auto­sit­zen in einem bestimmten Werk ankommt, muss diese Wertschöpfungskette vollständig digitalisiert sein, sonst kann das volle Potenzial nicht ausgeschöpft werden.

Was wären denn die nächsten Anknüpfungspunkte in der Logistikkette?

Das ist erstens die automatisierte, vorauseilende Übermittlung der Ankunftszeit und zweitens die ­Information darüber, was ein Lkw geladen hat. Mit dem digital verfügbaren Wissen über die Ladung kann der Warenempfänger diese dann einer Bestellung, einem nachfolgenden Produktionsauftrag oder einem anderen Prozess zuordnen. Wobei wir hier derzeit zwei Möglichkeiten sehen: erstens die digitale Übermittlung der textuellen Information des Lieferscheins. Oder, und dann wird es richtig spannend, die Kommunikation mittels Sensorik. Wenn also die Ware oder die Palette einen Sensor trägt, wird sie zum cyber-physischen System und zu einem Akteur im Prozess. Sie informiert selbstständig darüber, was und wo sie ist und in welchem Zustand sie sich befindet. Das ist das Internet der Dinge.

Die Dokumentation der Ladung in der digitalen Wertschöpfungskette ist folglich eine wichtige Voraussetzung für Industrie 4.0. Und die Wertschöpfungskette kann durchaus lang sein, zum Beispiel in der Papierindustrie: Erst wird das Altpapier vom Wertstoffhof abgeholt und landet über Rohstoffhändler in der Papierfabrik. Dann wird dort das neue Recyclingpapier produziert und für die Druckerei verladen, die das Papier verwendet. Selbst hier ist die Wertschöpfungskette noch nicht zu Ende, denn die Druckerei hat ja einen Auftraggeber, beispielsweise einen Verlag, den sie mit den Druck­erzeug­nis­sen beliefert. Wir arbeiten heute schon für alle Beteiligten dieser Kette.

Peter Förster
Karl-Heinz Augustin
Die Ladungsdokumentation ist nach Ansicht von Peter Förster innerhalb der digitalen Wertschöpfungskette eine wesentliche Voraussetzung für die Industrie 4.0.
Worin liegen die größten Vorteile einer durchgängig digital dokumentierten Wertschöpfungskette?

Nur durch die elektronische Verknüpfung und lückenlose Überwachung und Dokumentation in Echtzeit kann ich die Wertschöpfungskette auch steuern. Das ist wichtig, weil die Bestellzyklen immer kürzer werden und die Kunden immer individualisiertere Produkte wünschen, was in der Produktion zu sinkenden Losgrößen bis hin zu "Losgröße Eins" führt. Wenn etwa ein Automobilhersteller nicht weiß, welche Baugruppen zu welchem Zeitpunkt in einer bestimmten Fabrik ankommen, dann kann er seine Produktion nicht steuern. Deswegen benötigt er die Sichtbarkeit aller vorgelagerten Wertschöpfungsstufen in Echtzeit. Darüber hinaus steigen die Anforderungen der Endkunden an den Service – so erwarten sie immer häufiger die Lieferung bereits an dem Tag, an dem sie auch bestellt haben. Das erfordert einen digitalen Informationsfluss über die gesamte Zulieferkette. Am Schluss geht es darum, schnell, individualisiert und in bester Qualität ein bestimmtes Produkt zu liefern.

Bei den KEP-Verladern scheint das ja schon ganz gut zu funktionieren. Was können Großverlader von den KEP-Verladern lernen?

Diese Frage ist sehr relevant, denn viele Menschen haben sich in ihrem privaten Umfeld ja bereits an ein hohes Servicelevel gewöhnt. Diese Erwartungen übertragen viele auch auf ihr berufliches Umfeld. Die KEP-Verlader haben aber eine viel homogenere Hardware- und Softwarelandschaft: Eine überschaubare Zahl von Anbietern arbeitet mit ihren jeweiligen Hardware- und Softwaresystemen. Dadurch können sie den Logistikprozess schon seit längerer Zeit komplett digital abbilden. Das ist so nicht auf die Großverlader mit ihrer oft großen Anzahl an Transporteuren und der daraus resultierenden sehr zerklüfteten Systemlandschaft übertragbar. Doch genau hier setzen wir an: Wir wollen mit unserer Plattform eine Schicht einziehen, die die verschiedenen Anbieter und Systeme zusammenführt.

Welche Bedienkonzepte eignen sich dafür am besten?

Der Fahrer ist am besten über eine App angebunden, die sehr einfach bedienbar sein muss und die ihn schrittweise durch den Workflow leitet. Der Workflow, also die Art und Reihenfolge der Prozessschritte, ist exakt auf die jeweiligen Abläufe beim Verlader angepasst und der Fahrer wird intuitiv durch den Prozess geführt. Für die Belieferung ­einer Baustelle sieht er beispielsweise ganz anders aus als für die Belieferung eines Automobilwerks. Obers­tes Ziel ist immer eine schnelle Akzeptanz durch den Fahrer. Sonst besteht die Gefahr, dass das System nicht durchgängig genutzt wird. Die Disponenten beim Verlader und in der Spedition arbeiten über ihren Browser mit einem webbasierten System – und die ERP-Systeme der Verlader sind über Schnittstellen integriert. Sobald eine neue Information auf dem Server eintrifft, wird diese über einen automatischen Refresh an den Browser ausgeliefert. Auch wenn hier die Akzeptanzfrage weniger relevant ist, sollte ebenfalls eine gute Bedienbarkeit im Vordergrund stehen.

Wo liegt die größte Herausforderung im Mobile Order Management?

Die größte Herausforderung für die Echtzeitverfolgung und die durchgängig digitale Abwicklung – auch  als End-to-End oder E2E bezeichnet – liegt darin, dass die Struktur im Teil- und Komplettladungsmarkt sehr komplex ist. Nicht immer gibt der Verlader einen Auftrag direkt an den Spediteur, der diesen dann mit seiner Flotte ausführt. Vielmehr gibt es ganz unterschiedliche Spielarten, wie die Ware letztlich zum Empfänger gelangt. Zum Beispiel wird der Auftrag häufig vom Spediteur an einen Subunternehmer weitergegeben. Dieser wiederum arbeitet nicht nur mit eigenen oder fremden Fahrzeugen, sondern mitunter auch mit weiteren Subunternehmern. Alle diese Anbieter müssen in das System einbezogen werden. Und wird ein Auftrag über eine Frachtenbörse an einen Subunternehmer weiter vergeben, dann muss ein Dienstleister auch ganz spontan ins System integriert werden können. In den letzten Jahren haben wir hier einige Erfahrungen sammeln können. Und die sagen uns: Auch um dieses komplette Ökosystem abdecken zu können, verspricht der Weg über Smartphone und App am meisten Erfolg.