Expressbusse Hessen: Großer Grenzverkehr

Expressbusse Hessen
Neuorientierung wegen Corona

Report: In der Coronapandemie orientieren sich viele Busunternehmer neu, vor allem in Richtung der sicheren Linienverkehre. Der Trend zu neuen Expressbuslinien und On-Demand-Verkehren wie beim hessischen RMV könnte sie dabei unterstützen.

Expressbusse Hessen
Foto: Thorsten Wagner

Stefan Lyding ist keiner, der schnell aufgibt. Er ist einer dieser Machertypen, die sich schon in jungen Jahren mit einer Leidenschaft selbstständig gemacht haben, in seinem Fall dem Busfahren. Den Busschein besitzt er, seit er 23 Jahre alt ist – er hat ihn wie so viele bei der Bundeswehr erworben. Vorher hatte er eine kaufmännische Ausbildung gemacht. "Mit 23 habe ich dann sofort meinen ersten Bus gekauft, einen Setra S 215 HD, und habe gleich losgelegt, ohne bei irgendeinem anderen Unternehmer zu fahren." Das war vor 32 Jahren. Zum Jubiläum 2019 leistete er sich einen neuen MAN Lion’s Coach, der mit Fotos seiner bisherigen Busse beklebt ist. Einer der Reisebusse fährt die Würzburger Kickers zu ihren Auswärtsspielen. Auf die Frage nach dem Warum des Blitzstarts muss er lachen: "Mein Gott, vielleicht bin ich einfach einer von diesen Busverrückten." Heute betreibt sein Unternehmen in Zellingen bei Würzburg mehr als 40 Busse, er beschäftigt 10 Mitarbeiter und unter normalen Umständen bis zu 80 Fahrer und wickelt vor allem die Begleitung von Flusskreuzfahrten über Viking Tours ab.

Zeit, um die Hände in den Schoß zu legen also und die Früchte der Arbeit zu genießen? Nein, er fährt morgens noch selbst im Linienverkehr ab sechs Uhr einen Gelenkbus – derzeit meistens allerdings ohne Fahrgäste. "Die Coronasituation hat uns sehr zugesetzt – vor allem, weil wir rund 70 Prozent vom Tourismus abhängig waren. Die restlichen 30 Prozent waren ÖPNV. Daher haben wir uns direkt nach Beginn des Berufsverbots 2020 um Ausschreibungen im Linienverkehr gekümmert, um dieses Verhältnis möglichst umzudrehen." Das rechtlich nicht ganz einwandfreie Wort "Berufsverbot" benutzt Lyding mit Bedacht, er sieht sich und die gesamte Branche um ihren Verdienst gebracht. "Es kann nicht sein, dass wir seit Jahren viel Geld in umweltfreundliche Busse investieren und jetzt auf wackeliger Rechtsgrundlage verboten bekommen, zu fahren." Daher hat Lyding auch die auf Coronafälle spezialisierte Anwaltskanzlei Steinbock & Partner aus Würzburg beauftragt, den Freistaat Bayern auf Schadensersatz zu verklagen. "Ich habe ein recht gemischtes Gefühl, was den Ausgang betrifft, aber ich gehe damit zur Not auch bis vor den BGH, da wir ja durchaus im Recht sind."

Lyding: Zunehmende Fokussierung auf den abgesicherten Linienverkehr

Aber Stefan Lyding wäre ein schlechter Selfmade-Unternehmer, wenn er sich auf Justitia und die Überbrückungshilfen des Staats von insgesamt rund 300.000 Euro plus weiterem KfW-Kredit verließe. "Klar, der KfW-Kredit hat das Weiterbestehen meines Unternehmens gesichert, aber den muss ich ja zurückzahlen, das hilft langfristig also kaum. Der Staat tut schon was in Sachen Überbrückungshilfen, aber die waren fast alle zu spät."

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Thorsten Wagner
Stefan Lyding ist entschlossen, vom Freistaat Bayern Entschädigung einzuklagen.

Der Zukunftsplan, den er und Sohn Marcel, der heute ungefähr so alt ist wie Lyding bei Unternehmensgründung, erarbeitet haben: die zunehmende Fokussierung auf den abgesicherteren Linienverkehr. "Ich habe mich gleich auf acht Ausschreibungen gestürzt und Tag und Nacht daran gearbeitet. Die erste und intensivste Ausschreibung hat dann geklappt, auch wenn die Unterlagen eine Minute vor Abgabefrist durch das Fax liefen", erinnert sich Marcel, der in Mittelhessen jetzt leitend tätig ist. Sie erhielten den Zuschlag für neue Expressbuslinien in Mittelhessen rund um Biedenkopf, die vom RMV ausgeschrieben worden waren – die Nachricht erreichte sie auf dem Weg zur großen Verbände-Demo gegen die Einschränkungen im Busreiseverkehr am 17. Juni in Berlin.

Es ist ein wenig wie eine Rückkehr ins nahe Hessen, kommen doch Lydings Eltern aus Kaufungen und Frankfurt. "Trotzdem war es den meisten hiesigen Unternehmen ein großer Dorn im Auge, dass wir als Ortsfremde diese Linien gewonnen haben", erläutert er. Es gab sogar eine Rüge diesbezüglich beim RMV. "Das wurde aber alles sehr professionell abgehandelt, der Umgang mit dem RMV ist sehr gut und reibungslos." Gleich zwei Mitarbeiter und Sohn Marcel lassen sich denn auch beim Verband zum "RMV-Fachtrainer" ausbilden, um ihre Kenntnisse dann an die Fahrer weiterzuvermitteln. Das Team aus 16 Kollegen für den neuen Standort in Dautphe-Wolfgruben, wo Lyding einen Betriebshof inklusive Wohnhaus angemietet hat, besteht aus deutschen und polnischen Fahrern, die teilweise auch dort wohnen. "Das ist ein tolles Team, die leben, grillen mal und arbeiten eben zusammen. Nur so können wir direkt vor Ort agieren und mit wenigen Leerkilometern kalkulieren." Die Expressbuslinien sollen größere Städte wie Biedenkopf, Gladenbach, Dillenburg und Herborn mit schnellen Verbindungen versorgen, die durch Bahnstilllegungen verloren gegangen waren. Zum Linienstart Ende 2020 kamen denn auch alle verantwortlichen Politiker sowie RMV-Geschäftsführer André Kavai nach Dautphetal. Der langjährige Lahn-Dill-Kreis-Landrat Wolfgang Schuster ist sich sicher: "Wenn jede Milchkanne angefahren wird, dann sind solche Buslinien nicht sehr attraktiv. Da wächst jetzt zusammen, was zusammengehört, und das mit einer langfristigen Perspektive. Nur so steigen Fahrgäste vom Auto auf den Bus um."

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Thorsten Wagner
Die sieben neuen Iveco-Crossway-LE-Busse am Standort Dautphe laufen über 18 Stunden am Tag und legen dabei insgesamt rund 3.000 Kilometer im Auftrag des RMV zurück.

Mit den Fahrzeugen hatte Lyding Glück, einer der Wettbewerber hatte im Eifer des Gefechts schon Busse bestellt, die Bauplätze waren bei Iveco in Vysoké Myto also bereits reserviert. "Wir haben wegen der wenigen Haltestellen und der relativ einfachen Topografie auf den Crossway mit dem kleinen 320-PS-Motor gesetzt, was sich mit klasse Verbräuchen von um die 26 Liter auszahlt." Probleme gab es bisher nur mit Türsteuerungen und einem ausgefallenen Turbolader – übliche Kinderkrankheiten. Und die Auslastung der Linien bisher? "Dazu kann man derzeit noch nichts sagen, die Situation ist derzeit einfach noch zu verzerrt durch Corona."

Das Konzept der Lydings gegen die Pandemie scheint trotzdem aufzugehen. Ende März gewann Lyding weitere 14 lokale Linien in Marburg und Umland. Auch für diesen Standort sucht er jetzt nach einem Betriebshof, idealerweise mit Wohnungen für Fahrer. Wie es weitergeht mit den Planungen für den Busbetrieb in den nächsten Monaten? "Das kann keiner so genau sagen, wir planen mal mit 20 Prozent des Geschäfts von 2019 für den August", sagt der Unternehmer, für den scheinbar unüberwindbare Hürden nur ein weiterer Ansporn sind.

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