Vom himmelhohen Hype zum tiefen Tal der Ernüchterung. So könnte man die Geschichte der Wasserstoff-Technologie im Schwerlastverkehr böse überschreiben, wenn man dieser Tage vorschnell einen Schlussstrich ziehen würde.
Erst waren viele überzeugt, dass Sattelzüge nicht sinnvoll batterieelektrisch fahren könnten. Zu groß die Last, zu weit die Distanzen. Die Brennstoffzelle war der Heilsbringer. Dann aber kam die rasante Akku-Entwicklung dazwischen. Und die bis dato auf hohem Niveau verharrenden Preise im Wasserstoff-Bereich. Die Anschaffungskosten eines Brennstoffzellen-Lkw sind immer noch vier- bis fünfmal so hoch wie beim Diesel. Das Kilo Kraftstoff schlägt mit über 15 Euro zu Buche, bei einem Verbrauch von neun bis zehn Kilo pro 100 Kilometer. Dazu wird der Wasserstoff aktuell meist mittels fossiler Energieträger produziert, nicht mit grünem Strom, wie es in Zukunft sein muss, um die CO2-Emissionen zu reduzieren.
Kein Wunder, mag man da sagen, dass so manchem Wasserstoff-Start-up die Luft ausgegangen ist – von Quantron aus Augsburg über das internationale Hyzon bis zur Renault-Tochter Hyvia und zuletzt dem ehemaligen amerikanischen Joint-Venture-Partner von Iveco, Nikola. Gehört Wasserstoff also abgeschrieben für Lkw? Nö, sagen neben BMW und Iveco viele Branchengrößen wie Daimler Truck und MAN. Und selbst von den kapitulierenden Start-ups ist mitunter zu hören, dass sie weiter an die Technologie glauben. Nur die Märkte seien nicht so schnell hochgefahren, wie das ohne dicke Kapitaldecke nötig gewesen wäre.
Iveco setzt ein Zeichen
In diesen schwierigen Wasserstoff-Zeiten setzen BMW und Iveco also ein Zeichen mit dem Start der Praxisläufe im Rahmen des von der EU geförderten H2Haul-Projekts, das 16 Brennstoffzellen-Lkw umfasst, wovon zwölf von Iveco beigesteuert werden. "Die Auslieferung unserer ersten beiden S-eWay Fuel Cell Sattelzugmaschinen an BMW ist ein wichtiger Schritt, um die Praxistauglichkeit und Skalierbarkeit des wasserstoffbetriebenen Fernverkehrs unter Beweis zu stellen", erklärt Giandomenico Fioretti, Leiter der Geschäftsentwicklung Alternative Antriebe bei Iveco, zur Übergabe im BMW-Werk Leipzig.
BMW fühlt sich in seiner Strategie bestätigt. "Auch in der globalen Logistik ist die richtige Wahl des Transportmittels wichtig, um zukunftsorientiert und effizient unterwegs zu sein. Entsprechend spiegelt sich Technologieoffenheit in der BMW Group auch in der Transportlogistik wider", so Michael Nikolaides, Leiter Produktionsnetzwerk und Logistik bei BMW. E-Lkw seien bereits im Einsatz für BMW, dazu setze man auf HVO 100 und nun auch auf Wasserstoff. Wasserstoff-Lkw können laut des Autobauers dank der kurzen Betankungszeit und der hohen Reichweite eine wichtige Ergänzung zu E-Lkw sein. Außerdem sei der flexible Logistikeinsatz hervorzuheben, unabhängig von Ladeinfrastruktur und Netzausbau.
BMW selbst hat in Leipzig seit 2013 Gabelstapler und Routenzüge mit Brennstoffzelle im Einsatz. Der Hintergrund: das schnelle Tanken, mit dem flexibler agiert werden kann als mit Batterie-Fahrzeugen, für die man Ladezeiten einplanen müsste oder den Tausch der schweren Akkus. In der Lackiererei kommen Brenner zum Einsatz, die auch Wasserstoff nutzen. 2026 will BMW das Werk in Leipzig an das Wasserstoff-Kernnetz anschließen. 2028 soll die Serienproduktion eines Brennstoffzellen-Pkw folgen. "Wir sehen die Notwendigkeit für Brennstoffzellen-Fahrzeuge neben batterieelektrischen Modellen", erklärt Michael Rath, Leiter Wasserstoff-Fahrzeuge bei BMW. Batteriefahrzeuge seien effizienter. Aber Strom werde nicht immer dort und dann produziert, wo und wann er gebraucht wird.
H2-Duell in der BMW-Logistik
Auch innerhalb der Wasserstoff-Technologie zeigen sich Iveco und BMW technologieoffen. Iveco hat zur IAA Transportation zwei S-Way mit Wasserstoff-Verbrenner-Konzepten zur Schau gestellt. BMW wiederum ist nicht nur im H2Haul-Projekt aktiv. Auch im Rahmen des vom Bund geförderten Forschungsprojekts HyCET schaut der Autobauer auf Wasserstoff-Lkw, nur nicht mit Brennstoffzelle, sondern mit Verbrenner. Ein 18-Tonner mit Deutz-Triebwerk wird alsbald in der BMW-Logistik eingesetzt und zwei Sattelzüge, die von Volvo Trucks und Keyou auf die Räder gestellt werden. BMW erwartet bei den Verbrennern einen höheren Verbrauch, sieht dank der technischen Nähe zum Diesel aber Vorteile bei den Produktionskosten. Der Plan: Die Lkw werden auf der gleichen Strecke zum Einsatz kommen und die gleichen Tankstellen nutzen. So soll der "bestmögliche Einsatzbereich" der jeweiligen Technologie in der BMW-Logistik gefunden werden.
Doch zurück zu den H2Haul-Lkw von Iveco: Sie entstammen noch dem mittlerweile von Iveco übernommenen Joint-Venture mit Nikola, sind also mit einem Armaturenbrett mit XXL-Display ausgestattet. Dazu gibt’s eine bullige Aero-Front und einen schicken Tankturm hinter der Kabine. Mächtig wirkt die Sattelzugmaschine samt lenkbarer dritter Achse so – und sie ist es auch. Auf eine Gesamtlänge von 18,05 Metern erstreckt sich der Truck samt Auflieger in Standardlänge. Keine Sondergenehmigung nötig, sagt Iveco. Der S-eWay Fuel Cell hat schließlich eine windschnittige Front, darf also länger sein und mit 42 Tonnen ebenso wie E-Lkw auch zwei Tonnen schwerer.
Diesen Bonus kann er gut gebrauchen: Unter dem Fahrerhaus ist eine Bosch Twinbox-Brennstoffzelle mit 224 kW montiert, die eine Tonne auf die Waage bringt. Sie leitet den aus der chemischen Reaktion (Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser) gewonnenen Strom über die 164 kWh fassenden Pufferbatterien an die 1,8 Tonnen schwere E-Achse der Iveco-Schwester Fiat Powertrain weiter. Iveco spricht von einem Leergewicht von 11,6 Tonnen. Die Nutzlast soll bei einem Gesamtgewicht von 42 Tonnen bei 22,7 Tonnen liegen.
Die E-Achse des S-eWay Fuel Cell ist baugleich zu jener, die auch im batterieelektrischen S-eWay zum Einsatz kommt. Sie umfasst zwei Motoren und gibt ihre Kraft mit einer starren Übersetzung an die Räder weiter. Im Brennstoffzellen-Modell ist sie aber auf "nur" 400 kW / 544 PS gedrosselt, weil die kleinere Pufferbatterie nicht mit einer noch größeren Leistungsabfrage beaufschlagt werden will. Statt mit zusätzlichen Akkuzellen ist der S-eWay Fuel Cell – na klar – mit Drucktanks bestückt. Insgesamt fassen sie unter 700 bar 70 Kilo Wasserstoff, was laut Iveco gut sein soll für eine Reichweite von bis zu 800 Kilometern. Im Anschluss sollen an der Tanke keine 20 Minuten vergehen, bis die Speicher wieder voll sind.
Auch Tanke und Trailer stehen
Aber an welcher Tanke eigentlich? An zwei neuen Stationen von Teal in Leipzig und Hormersdorf nahe Nürnberg, die zeitgleich zur Auslieferung der S-eWay Fuel Cell ans Netz gegangen sind. Teal ist ein Joint-Venture von Total Energies und Air Liquide mit aktuell 35 Mitarbeitern und europaweit 15 Wasserstoff-Tankstellen. Bis 2027 soll das Netz auf 30 Stationen anwachsen, eine passende Tankkarte kann das Unternehmen schon vorweisen.
Im H2Haul-Projekt werden die S-eWay Fuel Cell aber natürlich nicht nur lustig von Tankstelle zu Tankstelle rollen. Sie transportieren unter der DHL-Flagge ebenso Stückgut wie Teile für die BMW-Produktion in Leipzig. Dafür werden sie zwischen besagtem Leipzig, Landsberg in Sachsen-Anhalt und Nürnberg pendeln. Und zwar mit speziellen Fliegl-Aufliegern: Sie stehen auf zwillingsbereiften SAF-Achsen mit Mini-Rädern und verfügen über eine Hydraulikrampe innen, mittels derer Gabelstapler auf den Schwanenhals fahren können. Ein Kompromiss, weil die Brennstoffzellen-Lkw nicht als Lowliner konfiguriert sind und damit nicht mit einem für den Automotive-Bereich üblichen Mega-Auflieger kombiniert werden können.
Von diesen Aufliegern über die Tankstellen, die S-eWay Fuel Cell zur breiten Wasserstoff-Agenda von BMW: Das H2Haul-Projekt ist wahrlich akribisch vorbereitet. Glück auf also für die Partner! Auf dass sich die Wogen glätten, die Preise allmählich sinken und Wasserstoff aus grünen Quellen endlich sprudelt.