Autobahnkanzlei: "Wer A sagt…"

Autobahnkanzlei: Lkw-Fahrer vor Gericht
"Wer A sagt…"

90 Euro und 1 Punkt wegen 0,4 Sekunden über Rot? Das will Jasmin nicht akzeptieren und sucht Rat in der Autobahnkanzlei Schwegenheim.

Autobahnkanzlei FF 6/2020.
Foto: Autobahnkanzlei

Jasmin kommt am Abend in die Autobahnkanzlei in Schwegenheim. Sie ist völlig verstört und durch den Wind. Autobahnanwältin Heike Herzog fragt sie, ob sie einen Espresso oder einen Filterkaffee will. Wie gewohnt geht sie zum Espressoautomaten. Jasmin möchte lieber einen Filterkaffee. Das gab es schon lange nicht mehr. Die Autobahnanwältin geht zum Schrank und wühlt den Kaffeefilter, die Filtertüten und den Kaffee heraus. Danach gießt sie den Kaffee auf und klappt den Mülleimer auf, um die gebrauchte Filtertüte zu entsorgen. Aus dem Augenwinkel schaut sie dabei auf Jasmin, die langsam etwas zur Ruhe kommt.

Mit der Kaffeetasse in der Hand setzt sich Heike zu Jasmin. Die schildert, dass sie gerade in Karlsruhe an einer Ampelkreuzung geblitzt wurde. Sie befürchtet, dass sie bei Rot gefahren ist. Sie hat 0 Punkte. Ihr Problem ist, dass ihr mit 1 Punkt durch ihren Arbeitgeber eine ordentliche Jahresprämie verloren geht. Deswegen will sie keinesfalls einen Punkt haben. Von der Jahresprämie wollte sie unter anderem für ihren 10-jährigen Sohn ein neues Fahrrad kaufen. Der Verlust der Prämie passt gar nicht in ihr Finanzkonzept.

Mist! Heike Herzog probiert, beruhigend auf sie einzuwirken. Zuerst mal muss jetzt der Anhörungsbogen abgewartet werden. Wenn dort in der Paragraphenzeile 132 BKat steht, droht kein Fahrverbot. Gefährlich wird es bei 132.3 BKat. Heike erklärt ihr, dass es sich dann um einen qualifizierten Rotlichtverstoß handelt, weil die Rotphase bereits länger als 1 Sekunde andauerte. Das möchte Jasmin allerdings ausschließen. Wenn Rot, dann nur ganz kurz.

Ein paar Tage später steht Jasmin wieder vor der Tür. Sie hat jetzt einen Anhörungsbogen bekommen. Dort heißt es nur 132 BKat, aber egal, auch das gibt einen Punkt und kostet 90 Euro. Also auf in den Kampf gegen den einen Punkt. Heike Herzog meldet sich als Verteidigerin, beantragt Akteneinsicht und stellt fest, dass es nur um einen Bagatellverstoß mit einer Rotzeit von 0,4 Sekunden geht. Mit der Stoppuhr probiert Heike nachzuempfinden, wie kurz 0,4 Sekunden sind. Das ist in der Tat nur ein Wimpernschlag, den man eigentlich gar nicht wahrnehmen kann. Schon übel, dass so eine Kleinigkeit die Finanzpläne der gesamten Familie durchkreuzen kann.

Der Bußgeldbescheid lässt auch nicht lange auf sich warten. Wie erwartet 90 Euro und kein Fahrverbot. Die Autobahnkanzleianwältin legt natürlich Einspruch ein. Monate später folgt dann die Hauptverhandlung. Hier läuft alles ganz fix. Nach wenigen Minuten hat sich die Tür zum Gerichtssaal leise geöffnet. Rechtsanwalt Möller, der gerade in der Pfalz ein paar Tage bei seiner Mutter verbringt, ist in den Gerichtssaal gekommen und hat sich neben Autobahnanwältin Heike Herzog gesetzt, um diese zu unterstützen. Die Richterin nimmt es zur Kenntnis und führt aus, wer A sage, müsse auch B sagen. Wer bei Rot über eine Ampel fährt, muss die Konsequenzen auch in Kauf nehmen.

Rechtsanwalt Möller mischt sich ein und fragt "Wer sagt das?". Die Richterin reagiert etwas echauffiert und meint, dass es doch bekannt wäre. Rechtsanwalt Möller schüttelt den Kopf und meint: "Gestern war ich bei meiner Hausärztin. Ich hatte Halsschmerzen und sie wollte mir in den Hals gucken und bat mich, A zu sagen. Von B war gar nicht die Rede." Die Richterin fragt: "Wollen Sie mich veräppeln Herr Möller?". Rechtsanwalt Möller antwortet: "Um Gottes Willen, das würde ich mich nie trauen, Frau Richterin. Aber vielleicht können wir jetzt mal zur Sache kommen und solche plakativen Äußerungen wie, wer A sagt muss auch B sagen, bringen uns sicher nicht vorwärts. Vorwärts bringt uns aber ein Blick auf die sogenannte Tat. 0,4 Sekunden, das ist minimal."

Autobahnanwältin Heike Herzog unterstreicht das noch einmal und zieht die Stoppuhr aus der Tasche. 0,4 Sekunden sind kaum wahrnehmbar. Rechtsanwalt Möller weist darauf hin, dass er sich den Tatort schon angeschaut habe, dass die Gelbphase 3 Sekunden gedauert habe, zieht er in Zweifel. Das müsse ein Sachverständiger überprüfen.

Man merkt, dass der Richterin der Geduldsfaden langsam reißt. Ich werde doch wegen diesem Kram kein Gutachten einholen, meint sie. Rechtsanwalt Möller fordert sie auf, dann den Bagatellverstoß einzustellen. Das weist die Richterin zunächst von sich und will das ausschließen. Über die 0,4 Sekunden mit denen Jasmin A gesagt haben soll, wird noch eine Zeit lang diskutiert. Autobahnanwältin Heike Herzog weist darauf hin, dass Jasmin null Punkte im Register habe. Mit Blick auf die weiße Weste von Jasmin hat die Richterin ein Erbarmen und ist bereit, das Verfahren einzustellen. Kein Punkt, kein Bußgeld! Da kann sich der Kleine auf das neue Fahrrad freuen. Zum Abschluss des Verfahrens gibt es noch einen Kaffee im Café "Recht".

Weitere kurze Fälle aus der Autobahnkanzlei

Gnade vor Recht: Obwohl das Gesetz für Rotlichtverstöße über 1 Sekunde ein Fahrverbot vorsieht, beschließt Heike Herzog genau hiergegen zu kämpfen. Patrizia* hat Tränen in den Augen. Sie weiß echt nicht, wie es ohne Führerschein 1 Monat lang weitergehen soll. Autobahnanwältin Heike Herzog führt aus, dass hier der Falsche bestraft werde. Mit dem Fahrverbot würde die siebenjährige Tochter von Patrizia bestraft, die schwerstbehindert ist, in die Schule gefahren werden und außerdem regelmäßig in die Uni-Klinik gebracht werden muss. Die Richterin hört sich das alles mit offenen Ohren an, verweist aber auf 132.3 BKat. Die Erkrankungen weist Patrizia mit einem Arztattest nach. Am Ende sieht auch die Richterin, dass hier der Bußgeldkatalog auf dem Rücken des Falschen durchgesetzt würde. Sie verhängt ein Bußgeld von 55 Euro. Der Führerschein bleibt, wo er ist, und Patrizias Tochter kann zur Schule und Klinik gefahren werden.

AG Neustadt/Weinstraße Az.: 2a OWi 5788 Js 1312/25

Zu nah drauf: Lkw-Fahrer Basti* ist auf der Autobahn unterwegs. Vor ihm fährt recht langsam ein Pkw. Der Fahrer hat offensichtlich viel Zeit. Dahinter ein Transporter. Als Basti zum Überholen ausschert, entschließt sich der Fahrer des Transporters ebenfalls zum Überholen und zieht sehr knapp vor ihm raus. Dabei unterfahren beide hintereinander eine Brücke, von der aus ihr Fahrzeugabstand gemessen wird. Weit unter 50 Meter! Scheibenkleister. Das soll Basti 1 Punkt und Bußgeld kosten. Dabei hat sich der andere doch knapp vor ihn gesetzt. Autobahnanwältin Heike Herzog trägt das beherzt in der mündlichen Verhandlung vor und kann am Ende den Richter überzeugen. Der schlägt vor, nur eine Geldbuße von 55 Euro zu verhängen. Damit wäre der Drops gelutscht. Gesagt, getan, 55 Euro, kein Punkt. Basti ist glücklich.

AG Karlsruhe Az.: 6 OWi 100 Js 9365/24

Brandgefährlich: Dittmar* soll mit seinem beladenen Lkw bei Rot über die Ampel gefahren sein. Er weiß nicht, was er anders hätte machen sollen, und ist sich keiner Schuld bewusst. Immerhin hatte er Stickstoff geladen. Und damit eine Vollbremsung zu machen, ist brandgefährlich. Rechtsanwalt Alexander Rietesel aus der Autobahnkanzlei in Berg meint auch, dass die Gelbzeit von 3 Sekunden hier nicht eingehalten wurde. Er hat sich vor die Ampel gestellt und die Gelbzeit gestoppt. Am Ende blieb Dittmar auf jeden Fall mit Blick auf seine schwergefährliche Ladung nichts anderes übrig. Der Richter erkennt, dass es sich hier um keinen Normalfall handelt und dass Dittmar, der keine Eintragungen im Fahreignungsregister hat, durchaus verantwortungsbewusst gehandelt hat. 55 Euro also, kein Punkt. Dittmar ist zufrieden, Rechtsanwalt Alexander Rietesel auch.

AG Rudolstadt Az.: 6 OWi 250 Js 17455/25

Ihre Vorteile mit Digitalabo
  • Zugang zu allen Webseiteninhalten
  • Kostenloser PDF-Download der Ausgaben
  • Preisvorteil für Schulungen und im Shop

Sie haben bereits ein Digitalabo? Hier einloggen.

DEKRA Mitglieder0,00 Euro*

* Sie sind DEKRA-Mitglied? Dann loggen Sie sich ein und ergänzen ggf. in Ihrem Profil Ihre DEKRA-Mitglieds-Nummer.

Mitgliedsnummer ergänzen
Digitalabo
ab
1,88 Euro*pro Monat

* Jahrespreis 22,65 Euro, Preis für FERNFAHRER Flexabo Digital in Deutschland,flexible Laufzeit, jederzeit kündbar.

Weiter zum Kauf