Warnung vor Gefahrenstellen: Ein Gamechanger

Warnung vor Gefahrenstellen
Ein echter Gamechanger

Daimler Truck ist in Bezug auf die Vermeidung schwerer Lkw-Unfälle auf den Autobahnen wieder einen Schritt weiter. Zusammen mit Dieter Schäfer durfte ich die Möglichkeiten des geodatenbasierten Connected Traffic Warning in einem Versuchsfahrzeug rund um Wörth bereits kennenlernen.

Daimler ist bei der Vermeidung von Auffahrunfällen wieder einen Schritt weiter.
Foto: Jan Bergrath / Montage: Monika Haug

Der Termin in Wörth war von langer Hand geplant. Dieter Schäfer, Geschäftsführer des Vereins „Hellwach mit 80 km/h“, der sich seit 2018 für die Verhinderung von schweren Auffahrunfällen vor Baustellen auf den Autobahnen einsetzt, war von Daimler Truck zusammen mit mir auf meine Anfrage am 6. Mai eingeladen, um uns exklusiv das aktuelle geodatenbasierte System Connected Traffic Warning anzusehen. Es soll in Zukunft noch schneller und effektiver vor Gefahrenstellen auf den Autobahnen warnen, insbesondere vor den mobilen Warntafeln der Autobahn GmbH.

Just am Tag zuvor passierte auf der A 38 bei Bleicherode in Thüringen wieder so ein folgenschwerer Unfall, bei dem ein Actros ungebremst in eine dieser mobilen Warntafeln einer Wanderbaustelle der Autobahn GmbH raste und an den Folgen dieses Aufpralls verstarb. Ein Video, das derzeit in den sozialen Medien verbreitet wird und das ein anderer Lkw-Fahrer aus seiner mitlaufenden Dashcam mittlerweile der Polizei zur Verfügung gestellt hat, dokumentiert, dass der Fahrer des Gliederzugs, der laut Angaben der Autobahnpolizei Thüringen in Deutschland zugelassenen war, überhaupt nicht auf die drohende Gefahr reagiert hat. Auf Anfrage teilte die Polizei mit, dass der Actros erstmals im Juli 2020 zugelassen wurde. Daher musst er einen serienmäßigen Active Brake Assist (ABA) 5 verbaut haben. Nach dem aktuellen Erkenntnisstand hat der Fahrer kurz vor der Kollision mit dem Schilderwagen eigenständig die Bremse betätigt. Warum er so spät reagierte und warum das System nicht reagiert hat, wird aktuell ermittelt.

Unterwegs in einem Versuchsfahrzeug

Nach einem spannenden Vortrag im Kundencenter von Daimler Truck in Wörth über die grundsätzliche Funktionsweise und die Vorteile dieses Systems, das aktuell schon mit den ersten Fahrzeugen unterwegs ist, durften wir wenig später in einem Actros 1853, einem Versuchsfahrzeug mit einem eigenen Büro als Heckballast und einer Rückbank mit Sicherheitsgurten, live auf der A 65 erleben, was das System für Möglichkeiten bietet. Am Steuer: Stefan Engelen, Entwicklungsingenieur in der Vorentwicklung bei Daimler Truck, zuständig für die Entwicklung von Connectivity Anwendungen, auf dem Beifahrersitz die Softwareentwicklerin Kristina van Capelle, Dieter Schäfer und Carola Pfeifle aus der Presseabteilung, die diesen Termin ermöglicht hatte.

Im Vorgespräch noch dabei war Dr. Christan Ballerin, Leiter der Vorentwicklung Software und Konnektivität, dem wir für meinen kurzen Film, der die entscheidenden Vorteile des Systems in vier kurzen Clips herausstellt, den Ausschnitt der Abfahrt aus dem Werk zu verdanken haben. Um es gleich vorauszustellen: die Fahrt war höchst beeindruckend.

Akustische Warnungen zehn Sekunden vor dem jeweiligen Ereignis

Die Idee: Die neue Funktion Connected Traffic Warnings kann dazu beitragen, die Sicherheit im Straßenverkehr durch die Erkennung und Weitergabe von Gefahrenwarnungen zu verbessern. Ist der Dienst im Fahrzeug verfügbar, so erhalten die Fahrerinnen und Fahrer von Merces-Benz-Lkw aktuelle Verkehrsereignisse auf einer digitalen Fahrzeugkarte oder als Popup-Fenster im Cockpit. Dazu kommen akustische Warnungen zehn Sekunden vor dem jeweiligen Ereignis, den Events. Das Modul kann vor verschiedensten Gefahrentypen warnen.

„Connected Traffic Warnings ist ein Feature, das in unseren neuen Lkw über den Service TruckLive zur Verfügung steht“, so Engelen. „Die über eine Cloud verbundenen Fahrzeuge oder entsprechende Infrastrukturbetreiber wie die Autobahn GmbH, können sich gegenseitig vor Gefahrensituationen warnen, die sich auf der aktuellen Route befinden. Das funktioniert grundsätzlich auch, wenn diese sich noch nicht im Sichtfeld des Fahrers befinden, also etwas hinter einer Kurve, einer Kuppe oder im Nebel.“

Warnungen aus der Wolke

Der Dienst kann Gefahrensituationen, wie zum Beispiel einen Unfall, automatisch im Fahrzeug anhand von internen Signalen erkennen und schickt diese an die Connected Traffic Warnings Cloud. Diese verteilt die verfügbaren Gefahrenmeldungen an alle Fahrzeuge, die in deren Umkreis unterwegs sind und die Information über das Ereignis empfangen können. Im Fahrzeug wird die Gefahrenmeldung auf der Navigationskarte dargestellt und falls sich die Gefahr auf der aktuellen Route befindet, wird der Fahrer zusätzlich per Warnhinweis im Instrument und per akustischer Sprachmeldung („Achtung Gefahrensituation voraus“) gewarnt.

Als weitere Datenquelle werden Warnmeldungen mit Drittanbietern, wie beispielsweise andere Fahrzeughersteller, Bosch, Infrastrukturbetreiber oder Straßenbauunternehmen. So konnte Kristina van Capelle noch während der Testfahrt über ihr Smartphone einen demnächst zu erwartenden Starkregen simulieren, der letzten Endes über die Frequenz der Scheibenwischer in dem System angeschlossenen Fahrzeugen über die Cloud (Wolke) zur Verfügung gestellt wird.

Grundvoraussetzung ist das neue Multimedia Cockpit Interactive 2

„Zur Nutzung benötigt der Kunde einen Actros mit dem neuen Multimedia Cockpit Interactive 2 mit Navigationsdienst und einem aktiven TruckLive-Vertrag. Der Austausch der Gefahrenwarnung zwischen Fahrzeug und der Connected Traffic Warnings Cloud erfolgt über unsere Telematikplattform per Mobilfunkverbindung“, so Engelen. „Das System kann aktuell vor folgenden Gefahrensituationen warnen“, ergänzt van Capelle, „einem Unfall, einer Panne, einer Baustelle, einer Gefahrenstelle, es reagiert auf die Notbremsung eines vorausfahrenden Fahrzeuges, auf einen Falschfahrer, auch wenn es der eigene Lkw sein sollte, Starkregen, eine glatte Fahrbahn und Nebel.“

Es funktioniert auch mit Fahrzeugen anderer Hersteller

„Wir haben in einem interdisziplinären, globalen Team bestehend aus Vorentwicklung und Fahrzeugentwicklung ein Serienprodukt auf die Beine gestellt, dessen ersten Fahrzeuge nun bereits unterwegs sind“, so Engelen. „Das ganze Team strebt nach diesem ersten Meilenstein weitere Applikationen an.“ Das System ist offen und kompatibel für andere Fahrzeughersteller.

Die Autobahn GmbH, die ihrerseits vor rund vier Wochen offiziell ankündigte, bis Ende Juni diesen Jahres 1.200 fahrbare Absperrtafeln mit dem C-ITS-Dienst auszustatten, worüber ich bereits vor gut zwei Jahren in einem Brennpunkt des Magazins Fernfahrer anlässlich eines schlimmen Auffahrunfalls auf der A 81 berichtet hatte, sagte recht kurzfristig ihre Beteiligung an unserer Fahrt durch eine vorbereitete Tagesbaustelle auf der A 5 ab. „Für die Vorstellung dieses Systems benötigt Daimler Truck keinen mit C-ITS ausgestatteten Vorwarner der Autobahn GmbH, da es sich bei Connected Traffic Warnings und C-ITS um zwei unabhängige, nicht verknüpfte Systeme handelt.“

Viele Möglichkeiten auf dem Weg zur Vision Zero

Auf meine Rückfrage, wie viele Lkw-Hersteller denn bereits auf C-ITS zurückgreifen, erhielt ich leider bis Redaktionsschluss dieses Blogbeitrags keine Antwort. „Unseres Wissens nach sind wir der erste Lkw-Hersteller, der ein solches System anbietet“, so Engelen. „Im Pkw sind vergleichbare Systeme bereits verbreitet. Mit diesen teilen wir bereits die Gefahrenhinweise. Denn die frühzeitige Information über Gefahrenstellen auf der Straße eröffnet viele Möglichkeiten, um die Vision vom unfallfreien Fahren weiter voranzutreiben“, so Engelen. Daher ist die Nutzung des Connected Traffic Warnings Services laut Daimler Truck für drei Jahre im Preis der Navigation enthalten. Anschließend besteht die Möglichkeit einer jährlichen Verlängerung.

Die tödliche Gefahr – Ablenkung und Sekundenschlaf

So spricht auch Dieter Schäfer noch während der Testfahrt bereits von einem Gamechanger, also hier einer technischen Entwicklung, die die Verhältnisse grundlegend ändert oder etwas Althergebrachtes auf völlig neue Art umsetzt. So wie er es sich in seinem Buch „40 Tonnen Verantwortung“ bereits ausgemalt hatte. „Wir wissen, dass nahezu alle tödlichen Unfälle, bei denen der Fahrer ums Leben kommt, ungebremst und mit Anlauf geschehen, heißt, der Fahrer war abgelenkt oder in Sekundenschlaf verfallen. Die Notbremsassistenzsysteme warnen erst 1,4 bis 2,1 Sekunden vor dem berechneten Bremspunkt.

Das führte oft zu reflexartigen Fehlern beim Fahrer. Das geodatenbasierte Connected Traffic Warning übermittelt erfasste Events, also Gefahrensituationen, nahezu in Echtzeit binnen fünf Sekunden an die Cloud. Fährt der neue Actros mit dem Multimedia Interactive Cockpit 2 in einen Bereich mit Gefahrenmeldung ein, erhält der Fahrer in einem Radius von zehn Kilometern eine Warnmeldung im Display angezeigt. 500 Meter vor der Gefahrensituation wird er laut und gut vernehmbar in seiner im System einstellbaren Muttersprache gewarnt. Er kann sich also darauf einstellen.“