Unfallprävention: Strategien gegen tödliche Unfälle

Unfallprävention
Strategien gegen tödliche Unfälle

Bei der 22. Tagung der Verkehrsunfall-Opferhilfe in Köln haben Experten für die Lkw-Fahrer Partei ergriffen und deren erhebliche Belastungen deutlich gemacht. Die Zielgruppe für eine bessere Prävention sind letztlich die Unternehmer.

Strategien gegen tödliche Unfälle
Foto: Jan Bergrath

Als die Grußworte zur Eröffnung der 22. Expertentagung der Verkehrsunfall-Opferhilfe (VOD) in der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW in Köln gesprochen werden, hat der tägliche Irrsinn auf Deutschlands und hier insbesondere Nordrhein-Westfalens Autobahnen längst ein Ausrufezeichen gesetzt. Durch einen schweren Unfall in den frühen Morgenstunden des 27. Novembers auf der A 3 in Höhe der Raststätte Königsforst. „Demnach wollte ein Lkw-Fahrer auf die Autobahn 3 in Richtung Oberhausen auffahren. Dabei musste er jedoch einem Lastwagen, der auf dem Beschleunigungsstreifen abgestellt war, ausweichen.“

Eklatanter Mangel an Lkw-Parkplätzen

Und schon ist eines der sieben Themen dieser Expertentagung mit rund 150 Teilnehmern, die unter der Moderation von Kirsten Lühmann die Belastungen für die deutschen und zunehmend internationalen Berufskraftfahrer diskutieren, im vollbesetzten Saal allgegenwärtig. Denn so heißt es in der vorab verfassten Pressemeldung: „Ruhezeiten der Lkw-Fahrer können nur eingehalten werden, wenn ausreichend viele und geeignete Stellplätze zur Verfügung stehen. Zurzeit fehlen in Deutschland etwa 20.000 dieser Plätze. Pro Nacht gibt es etwa 94.000 abgestellte Lkw. 74.500 Fahrer nutzen, laut einer Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenverkehr, dazu Rastanlagen – deren Kapazitäten betragen aber nur 51.600 Stellplätze.“

Jan Bergrath

Moderatorin Kirsten Lühmann, neue Präsidentin der Deutschen Verkehrswacht, forderte eine stärkere Präsenz der Verkehrspolizei auf den Autobahnen.

In einer aktuellen Meldung spricht das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) allerdings von 61.800 Lkw-Abstellmöglichkeiten auf den Rastanlagen und rund 20.700 Lkw-Abstellmöglichkeiten in der Nähe der Autobahnen etwa auf Autohöfen. Der Ausbau geht langsam voran. Was offenbar immer noch nicht reicht. „In der Not“, so beklagt die VOD, „werden Ein- und Ausfahrten oder Halteverbotszonen für die Ruhezeiten genutzt, was höchst gefährlich ist und schon zu schlimmen Unfällen geführt hat.“ Konkreter kann die Beweisführung für eine These nicht sein.

Die Gefahrenpotentiale in der Nacht

Landauf, landab sind die zuständigen Autobahnpolizeien aber nicht konsequent in der Lage, diese Gefahrenpotentiale vor allem in der Nacht und den frühen Morgenstunden auf Grund der Masse an Fahrzeugen zu entschärfen. Die VOD spricht von täglich rund 1,3 Millionen Lkw auf deutschen Autobahnen, andere Quellen wie der BGL von rund 800.000. Und mittlerweile liegt der Anteil der ausländischen Lkw laut Mautstatistik nicht mehr bei 30 Prozent, sondern bei rund 50 Prozent. Für die zuständige Polizei auf den Hauptachsen ist es kaum lösbar: Sie würden die Fahrer, die in den Ein- und Ausfahrten parken zwar wecken und weiterschicken, wie es diverse Filmberichte immer wieder zeigen, aber nur ins nächste Dilemma ein paar Kilometer weiter. So bleibt es dem neuen Leiter der Autobahnpolizei Köln, Carsten Gesthüsen, zum Auftakt vorbehalten, die nackten Zahlen auf die Projektoren zur werfen. Laut einer Auswertung der Polizei NRW sind Lkw an fast einem Drittel der Unfälle auf Autobahnen beteiligt. Die drei altbekannten Hauptgründe: Abstand, Fahrstreifenwechsel und Geschwindigkeit. „Würden Lkw nur geradeaus fahren, gäbe es deutlich weniger Unfälle“, so Gesthüsen.

Der beste Opferschutz ist die Prävention

Bemerkenswert für mich an dieser Tagung ist der grundsätzliche Ansatz der VOD um die Vorstandsmitglieder Ute Hammer und Peter Schlanstein. „In Deutschland sind etwa 6,2 Prozent der zugelassenen Fahrzeuge Lkw, die aber zu 21 Prozent der Unfälle mit Toten beteiligt sind“, so Schlanstein. „Lkw-Unfälle sind besonders folgenschwer, denn sie haben ein überproportionales Schadenspotential. Wir müssen also sehen, dass wir an den richtigen Schrauben drehen, um die größten Schäden zu vermeiden.“

Jan Bergrath

Ute Hammer und Peter Schlanstein aus dem Vorstand der VOD wollen das Thema der Unfallprävention mit Hilfe des DVR in die Politik bringen.

So ergreift die VOD diesmal gewissermaßen Partei für die oft gestressten und überlasteten Fahrer und betont zugleich, „dass die meisten Berufskraftfahrerinnen und -fahrer im Allgemeinen verantwortungsbewusst sind und das Prinzip der Eigenverantwortung beherrschen.“ Der beste Opferschutz sei daher die Prävention und die Frage nach den Gründen. „Eine Verbesserung der Situation für die Lkw-Fahrer kann es nur geben, wenn in den Unternehmen des Güterverkehrs zuträgliche Arbeitsbedingungen herrschen und alle Beteiligten, vor allem die verantwortlichen Unternehmer, dafür sorgen, dass Sicherheit vorgeht.“

Ein Rekordhoch an alkoholbedingten Lkw-Unfällen

Anlässlich des aktuell dramatischen Rekordhochs an alkohol- und leider auch drogenbedingten Lkw-Unfällen auf deutschen Autobahnen bei einem guten Dutzend Polizeimeldungen allein über Lkw-Fahrer, die in Schlangenlinien unterwegs waren, lag der Spitzenreiter aus Bulgaren bei 4,3 Promille. Es war in Köln ein nur am Rande angesprochenes Thema, das ich im Brennpunkt des am 12. Dezember erscheinenden Magazins FERNFAHRER, Heft 1/2025, eben aus Sicht der Unternehmerverantwortung auch in deutschen Flotten beleuchte.

In schauriger Aktualität passt dazu auf den ersten Blick leider die verheerende Unfallserie am vergangenen Samstag, bei der ein polnischer Lkw-Fahrer mit seinem polnischen Lkw auf der A 46 und A 1 zwischen Neuss und Hagen mutmaßlich unter Einfluss von Alkohol oder Drogen ein katastrophales Chaos mit über 50 zerstörten Fahrzeugen und fast 30 verletzten Personen anrichtete. Es ist genau der Massenanfall an Verletzten (ManV), vor dem unter anderem Dieter Schäfer und ich seit Jahren gewarnt haben. Bis zur Veröffentlichung dieses Blog-Artikels war allerdings die genaue Alkoholkonzentration noch nicht geklärt, ein toxikologisches Gutachten zu möglichem Drogenkonsum könne bis zu einer Woche dauern.

Ablenkung und Sekundenschlaf

Alles hängt mit allem zusammen, das wird an diesem Tag klar. Dieter Schäfer von „Hellwach mit 80 km/h“ zeigt in seinem Vortrag noch einmal auf, wie die zehn Max-80-Regeln aus seinem nun in dritter Auflage erschienenen Buch „40 Tonnen Verantwortung“, das natürlich an alle Teilnehmer, viele aus dem Umfeld der Polizei, verteilt wurde, Unfälle verhindern können. Und mit welcher Zerstörungskraft ein Lkw, der ungebremst mit über 80 km/h in ein Stauende rast, einen Pkw dazwischen zermalmen kann. „Die schlimmsten und oft tödlichen Unfälle finden dabei ungebremst mit großem Anlauf statt“, so Schäfer. „Die Unfallfolgen bei zu geringem Abstand sind meist nicht so gravierend.“

Jan Bergrath

Dieter Schäfer von der Initiative „Hellwach mit 80 km/h“ schilderte in seinem Vortrag die drastischen Auswirkungen von Auffahrunfällen am Stauende.

Das große Missverständnis

Dabei erwähnt Schäfer auch das große Missverständnis oder die partielle Unwissenheit selbst in der Politik, dass nun seit diesem Oktober das Abschalten des eigentlich lebensrettenden Notbremsassistenten zwar verboten ist und mit einem dreistufigen Bußgeld von 100 bis 145 Euro belegt wird – was aber faktisch nicht kontrolliert werden kann. Das basiert auf einem krassen Fehlwissen über den Unterschied zwischen dem Abstandregeltempomaten und dem Notbremsassistenten. In einem weiteren Vortrag über die grundsätzlichen Auswirkungen der modernen Fahrerassistenzsysteme beschreibt Rüdiger Wollgramm, dass moderne Fahrzeuge, natürlich auch Lkw, das Fahren an sich immer eintöniger machen und die Kunst des Fahrens an sich immer weiter verlernt wird. Was die älteren Lkw-Profis am Steuer natürlich gerne bestätigen.

Das große Thema Müdigkeit

„Besonders die Müdigkeit ist ein unfassbar riesiges Thema für die gesamte Branche“, betont Ute Hammer, langjährige Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR). Das sei besonders deutlich geworden. Denn in seinem eindringlichen Vortrag beschreibt Dr. Bernd Mützel, seit 2024 Leiter der Abteilung Arbeitsmedizin, Verkehrsmedizin und Arbeitspsychologie bei der BG Verkehr in Hamburg, der zuständigen Berufsgenossenschaft für die Verkehrsbranche, die weiter unterschätzte demografische Gesundheitsgefahr des „Obstruktiven Schlafapnoe Syndroms“.

Jan Bergrath

Dr. Bernd Mützel, Arbeitsmediziner bei der BG Verkehr, wies eindrucksvoll auf die in der Branche unterschätzten Gefahren der Obstruktiven Schlafapnoe hin.

Einmal mehr wird klar: Die Zahl der Lkw-Unfälle am Stauende in Deutschland reißt weiter nicht ab. In den offiziellen Unfallstatistiken taucht aber etwa der Sekundenschlaf als Ursache kaum auf, da die Fahrer sich ja selbst beschuldigen müssten, was rechtliche Konsequenzen nach sich ziehe. Zu den beliebtesten Ausreden zähle daher das plötzlich auftauchende Reh. Auch ich appelliere daher an die Unternehmen, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Etwa durch regelmäßige betriebsärztliche Untersuchungen. Was vor allem die gut organisierten mittelständischen Speditionen wie beispielsweise Schröder in Ebernhahn auch umsetzen.

Sozialdumping und Wettbewerbsverzerrung

Doch wie soll das für die Mehrzahl der deutschen und in seinem Fall belgischen Unternehmen gehen, wenn die Wirtschaft spürbar abschwächt und die krasse Wettbewerbsverzerrung im nationalen und internationalen Gütertransport eher zunimmt? „Die Straße ist längst ein Kriegsgebiet“, formuliert es der belgische Hauptinspektor Raymond Lausberg von der Autobahnpolizei Battice ziemlich drastisch. Seit 2013 kämpft er gegen das Sozialdumping, war zu Gast bei der deutschen Verkehrspolitik und ist weiter gern gesehener Vortragsredner. Er zeigt schnell das größte Problem auf: Mit seinem kleinen Team auf der E 42 zwischen Aachen und Lüttich und einem Teilstück der Ardennenautobahn kontrolliert er pro Jahr gezielt rund 5.000 Lkw. Bei drei Millionen Fahrzeugen im Jahr. „Das EU-Mobilitätspaket sei im Grunde der richtige Weg, aber die zahlreichen Kompromisse hätten sich zu Lasten der Fahrer vor allem auf den in Osteuropa zugelassenen Lkw entwickelt.

Trotz hoher Strafen für die Unternehmer keine wirkliche Verbesserung

Nach wie vor wochenlange Abwesenheiten von der Heimat bei Nettolöhnen von 50 bis 80 Euro pro Tag, weiterhin technisch komplett defekte Fahrzeuge, drastische Probleme bei der Ladungssicherung, osteuropäische Lkw, die nach wie vor mit gefälschten Hauptuntersuchungen in Belgien auffliegen und weiterhin massive Verstöße gegen das Verbot, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen.

Lausbergs Vortrag deckt sich teilweise mit meinem Blog-Artikel „Schutzvorschriften im politischen Vakuum“, der am Ende zeigt, dass auch in Belgien trotz der dort viel höheren Bußgelder, die im Gegensatz zu Deutschland allein die Unternehmen zahlen müssen, auf Grund der schieren Masse an Fahrzeugen aus Osteuropa die Arbeitsbedingungen für die Fahrer vor allem aus den Drittstaaten nicht besser werden. So sind die „Quellen“ für alkoholbedingte Trunkenheitsfahrten oder brutale Schlägereien mit Todesfolge vor allem Gewerbegebiete, die deutschen Terminals des Kombinierten Verkehrs oder, so wie etwa in Neuss, die Binnenhäfen.

Das Fazit des Tages

„Viele teils bekannte Erkenntnisse wurden bei der Tagung noch einmal auf den Punkt gebracht“, betonen Ute Hammer und Peter Schlanstein als Fazit des Tages. Ohne meine eigenen aktuellen Ergänzungen. Der DVR will das Thema Lkw und Unfälle in den kommenden zwei Jahren auf dem Weg zur „Vision Zero“ zu einem besonderen Schwerpunkt für die politische Arbeit machen. „Wir müssen alle mitwirken. Alle, die in der Verkehrssicherheit arbeiten, müssen mehr und besser zusammenarbeiten. Wir als Dachverband geben die Informationen weiter, die Polizeibeamten sollen es in der Praxis umsetzen.“ So bleibt noch die Forderung der VOD nach einer Erhöhung der Kontrolldichte auf Autobahnen, Landstraßen und innerorts. Doch die gäbe es nicht kostenlos, sondern nur mit Erhöhung der Personal-Ressourcen bei der Polizei.

„Wie brauchen klarere Regeln, was die Verantwortung von Speditionen angeht“, so die ehemalige Polizistin Lühmann, seit dem 6. November neue Präsidentin der Deutschen Verkehrswacht. „Und wir brauchen dazu das Personal bei der Polizei.“ Verkehrsüberwachungseinheiten für die Autobahnen, das bestätigt auch Schäfer, würden allerdings immer öfter als Quelle genommen, die speziell für Lkw-Kontrollen geschulten Leute herauszuziehen, um sie bei für innerstädtische Aufgaben oder bei Großereignissen einzusetzen. „Das geht nicht“, warnt Lühmann. „Diese Leute haben eine wichtige Aufgabe und müssen auch die Zeit haben, diese Aufgabe zu erfüllen.“