Die Pressemeldung des Polizeipräsidiums Ludwigsburg zu einem schweren Lkw-Unfall auf der A 81 vom 2. Mai ist eindeutig: Kräfte der Straßenmeisterei Herrenberg sowie ein 52-jähriger Mitarbeiter einer beauftragten Firma überprüften gegen 10.40 Uhr den Asphalt im Bereich der Anschlussstelle Böblingen-Hulb auf Schäden. Um die Arbeiten abzusichern, kam zunächst im Bereich der Anschlussstelle Böblingen/Sindelfingen ein sogenannter Vorwarner zum Einsatz. Auf Höhe der Anschlussstelle Böblingen/Hulb befand sich auf dem rechten Fahrstreifen ein Lkw der Autobahnmeisterei mit Warnanhänger, an dem ein gelbes Blinklicht auf die Sperrung der rechten Spur und ein Pfeil auf den Spurwechsel hinwiesen. In diesem Lkw saß ein 34 Jahre alter Fahrer. Vor dem Lkw stand ein ebenfalls zur Autobahnmeisterei gehörender Ford.
Der 52-Jährige und ein 26-jähriger Mitarbeiter der Autobahnmeisterei führten die Überprüfungen des Asphalts durch und hielten sich etwa 50 Meter vor dem Lkw der Autobahnmeisterei auf dem rechten Fahrstreifen auf. Mutmaßlich übersah ein 28 Jahre alter Silo-Sattelzuglenker, der etwa 25 Tonnen Estrich geladen hatte, den Warnanhänger und fuhr nach derzeitiger Ermittlungen nahezu ungebremst auf den Anhänger und den Lkw sowie den Ford auf. Der Pkw wurde in der Folge nach links abgewiesen. Der Lkw der Straßenmeisterei erfasste im weiteren Verlauf die beiden Männer. Der 52-Jährige verstarb noch an der Unfallstelle. Die beiden 26- und 34-jährigen Mitarbeiter der Autobahnmeisterei sowie der Sattelzuglenker, der mutmaßlich nicht angeschnallt war, erlitten schwere Verletzungen.
Hersteller und Fuhrunternehmen halten sich bedeckt
Auf Anfrage gab eine Sprecherin des Polizeipräsidiums das Datum der ersten Zulassung des weißen Actros bekannt: 30. März 2023. Damit steht fest, dass der Lkw einer Spedition aus NRW mit dem kamera-radarbasierten Active Brake Assist ABA 5 ausgestattet gewesen sein muss. Ob er auch auf das Hindernis reagiert hat, ist noch nicht bekannt. Die Polizeisprecherin: "Durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben. Insbesondere die technischen Aspekte werden in diesem Gutachten beleuchtet. Die Ermittlungen zum Unfallhergang können erst mit Vorlage des Gutachtens abgeschlossen werden. Die Fertigstellung wird allerdings noch mehrere Wochen in Anspruch nehmen." Der Hersteller selbst hält sich bedeckt. "Unsere Kollegen aus der Unfallforschung kennen den Fall natürlich", sagte eine Sprecherin der Daimler Truck AG. "Da hier die Ermittlungen noch laufen, können wir dazu verständlicherweise nichts sagen."
Das betroffene Unternehmen wollte sich ebenfalls auf Anfrage nicht zu dem Unfall äußern. Entgegen erster Meldungen war der osteuropäische Fahrer nicht alkoholisiert. Ob er auf die Assistenzsysteme geschult war und ob die Fuhrparkleitung das potentielle Problem kennt, ist daher vorerst nicht zu klären. "Etwa fünf bis sechs Prozent aller schweren Lkw-Auffahrunfälle auf Autobahnen geschahen auf fahrbare Absperrtafeln." Diese Erkenntnis des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) beruht auf Auswertungen von Unfalldaten auf niedersäschischen Autobahnen in den Jahren 2017 bis 2021 durch Dr. Erwin Petersen. Und mittlerweile scheint sich ein Verdacht, der bereits im Blogbeitrag "Zu spät gebremst" auf eurotransport.de erörtet wurde, zu bestätigen. Manche Notbremsassistenzsysteme reagieren offenbar erst auf den Lkw vor dem Pfeilanhänger, den diese offensichtlich nicht erkennen – und daher nicht rechtzeitig bremsen.
Systeme müssten eigentlich reagieren
Die Notbremsassistenten der Hersteller sollten laut der geltenden UNECE-Regel 131 eigentlich bereits auf die fahrbaren Absperrtafeln als Anhänger reagieren. "Das wird mit der Neuregelung der UNECE R 131 spätestens ab 2028 für neue Fahrzeuge Pflicht", sagt Barend Wolf, seit Sommer 2021 Referatsleiter Fahrzeugtechnik beim DVR in Berlin. Eine Studienidee, die 1.500 Anhänger der Autobahn GmbH mit Radarreflektoren zu bestücken, wurde laut Wolf verworfen. "Mit der Einführung dieser Reflektoren könnte die Zahl der Fehlalarme der AEBS zunehmen. Durch die Reflektion könnten Fahrzeuge, die sich in unmittelbarer Nähe zum Sicherunngsfahrzeug befinden, zudem überdeckt und vom System nicht korrekt erkannt werden." Die Hoffnung ruht nun auf früherer Warnung der Fahrer durch moderne Kommunikation.
Die Zahl der Auffahrunfälle auf Baustellen soll durch die Ausstattung aller fahrbaren Absperrtafeln mit C-ITS bis Ende 2023 reduziert werden. Über diese "Baustellenwarner" werden Signale, die derzeit auf dem WLANp-Standard basieren, ausgesendet, um den Verkehr frühzeitig und zuverlässig vor nahenden Arbeitsstellen zu warnen. Zusätzlich werden diese Informationen über Mobilfunk (4G/LTE, 5G) auf der Mobilithek zur Verfügung gestellt. Um die Potenziale der C-ITS-Technologie zur Erhöhung der Verkehrssicherheit in vollem Umfang ausnutzen zu können, empfiehlt der DVR allerdings die Umsetzung der folgenden Maßnahmen:
- Durch netzbasierte Kommunikation kann die Sicherheit von Baustellen deutlich erhöht werden. Neben der direkten Nahbereichskommunikation stellt die Autobahn GmbH ihre Daten über die Mobilithek zur Verfügung. Damit auch Fahrzeuge, die nicht über eine WLANp-Kommunikation verfügen, vom Sicherheitspotenzial des C-ITS profitieren können, müssen die an die Mobilithek übertragenen Daten von Dienstanbietern zur Warnung per Netzübertragung genutzt werden.
- Es wird mindestens ein Service-Provider (wie z.B. Here, SAS) benötigt, der auf der Grundlage der Daten in der Mobilithek einen Dienst bereitstellt, die Qualität der In-formation überwacht und Warnungen für Systeme bereitstellt, die in den Fahrzeugen genutzt werden. Das BMDV sollte die Lösungen der Service-Provider entsprechend fördern.
- Die Fahrzeughersteller sollten Neufahrzeuge – insbesondere Lkw – konsequent mit C-ITS ausstatten. Zudem sollten Transportunternehmen bereits vorhandene Lkw mit Nachrüstlösungen zur Warnung vor Bau- und Gefahrenstellen ausrüsten.
- Das BMDV sollte entsprechende Erstausstattungen sowie Nachrüstlösungen über ein Sonderprogramm fördern.
- Das BMDV sollte sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, die europäische "Data for Road Safety"-Initiative zu einem Erfolg zu führen. Dazu sind auch neue Business Modelle für SRTI-Daten zu betrachten. Mittelfristig kann durch die geplante Lösung der "Data for Roadsafety"-Initiative, an der Deutschland und deutsche Fahrzeughersteller beteiligt sind, die Qualität der Daten durch zusätzliche Sensordaten von Fahrzeugen weiter erhöht werden und insgesamt die Nutzung der Dienste auch für andere Fahrzeuge bereitgestellt werden.
- Das BMDV sollte eine entsprechende Ausrüstungsvorschrift für C-ITS prüfen und auf europäischer Ebene anstoßen.
- Das BMDV sollte die Empfehlungen des DVR-Beschlusses "Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Vehicle-to-X-Kommunikation" vom 25.10.2021 umsetzen und eine nationale Strategie zur Einführung von Vehicle-to-X (V2X) etablieren.
- Vor dem Hintergrund der beabsichtigten Erweiterung der Regelungen zum Autobahn-Pilot für Nutzfahrzeuge (Automated Lane Keeping Systems, UN-Regelung Nr. 157 ab Zulassung 01.09.2024) sollte von der Bundesregierung ein Pilotprojekt gefördert werden, das die Reaktion der Systeme auf fahrbare Absperrtafeln untersucht. Fahrzeughersteller, speziell die Hersteller von Güterkraftfahrzeugen sollten parallel im Rahmen der Weiterentwicklung ihrer Notbremsassistenzsysteme (NBA, AEBS) die Erkennung und Klassifizierung von fahrbaren Absperrtafeln und anderen kollisionsrelevanten Sicherungsfahrzeugen verbessern und die Neuerungen der UN-Regelung Nr. 131-02 – unter anderem die bedarfsweise Verkürzung der Kollisionswarnphase und die Übersteuerung nur durch eine robuste Aktion – möglichst zügig umsetzen.
Wie schnell wird das funktionieren?
Alles eine Vision? "Bis wann die C-ITS-Technologie, das heißt WLAN oder Mobilfunk/ 5G, flächendeckend in Fahrzeugen zu finden sein wird, ist Stand heute kaum seriös vorherzusagen", sagt Wolf. "Zwar sollen bis Ende 2023 alle fahrbaren Absperrtafeln der Autobahn GmbH mit C-ITS ausgestattet sein. Wie lang der Weg noch ist, zeigt sich aber darin, dass bislang nur neuere Pkw-Modelle des VW-Konzerns in der Lage sind, diese auf WLAN-basierenden Signale zu empfangen. Lkw bislang noch gar nicht."