Joachim Fehrenkötter: Wir haben uns in den Coronajahren stark weiterentwickelt. Heute kümmern wir uns nicht allein um die Gesundheit von Lkw-Fahrern, sondern vermehrt auch um deren Arbeitsbedingungen. Wir wollen die Fahrer ganzheitlicher unterstützen. So halten wir Hygiene und erholsamen Schlaf für ganz wichtige Faktoren. Ein Beispiel für unsere Aktivitäten in diesem Bereich sind Toiletten, Duschen und Parkplätze, wo wir mit unserer Initiative Sanistop und der Brancheninitiative #LogistikHilft dazu beigetragen haben, dass Fahrern an Logistikzentren und Parkplätzen, aber auch bei Speditionen kostenlose Duschen zur Verfügung stehen.
Aber auch das Impfen bewegt uns. In Österreich hat unser neues Vorstandsmitglied Jarno Bor es dank seiner politischen Kontakte geschafft, auf Autohöfen und Speditionshöfen zahlreiche Impftermine zu organisieren. In Deutschland haben wir im letzten Jahr eine Impfaktion gemeinsam mit dem Impfzentrum Krefeld auf der Raststätte Geismühle an der A 57 durchgeführt, und im März dieses Jahres konnten wir gemeinsam mit dem BGL und der Covid-Impfeinheit des Kreises Wesel mehrere Impfaktionen auf Raststätten organisieren.
Werner Bicker: Und was unser Netzwerk betrifft: Das Netz in Österreich ist inzwischen sehr engmaschig. Da hat Jarno Bor mit seinem Team in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet. Auch in Frankreich haben wir gemeinsam mit Save Assistance ein Netz an Ärzten und Parkplätzen aufgebaut. Zudem sind wir mit Organisationen in den Beneluxländern im Gespräch. Doch auch hier in Deutschland wollen wir unser Netzwerk weiter ausdehnen.
Fehrenkötter: Vor allem wollen wir das Netzwerk noch engmaschiger machen. Wir suchen deshalb weiterhin nach Partnern, allen voran nach klassischen DocStop-Anlaufpunkten, also Unternehmen oder Privatleute, die einen Lkw-Parkplatz zur Verfügung haben und einen Arzt in der Nähe kennen, der Kraftfahrer im Krankheitsfall zeitnah behandelt. Das ist – neben der Information der Fahrer und der Ausweitung in weitere europäische Länder – weiterhin unser zentrales Anliegen.

Auch bei der Kommunikation mit der Zielgruppe Fahrer haben wir uns weiterentwickelt. Seit diesem Jahr verstärkt die Autobahnpolizistin Andrea Möller den DocStop-Vorstand und betreut intensiv unseren Social-Media-Auftritt auf Facebook und Instagram. Dadurch konnten wir unsere Kommunikation auf diesen Kanälen deutlich verbessern, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Sie schafft es, die Fahrer bei ihren Themen abzuholen. Uns ist wichtig, dass die Themen Gesundheit und Sicherheit im Vordergrund stehen und nicht einzelne Personen aus dem Verein.
Fehrenkötter: Wir merken bei der Bearbeitung unserer Ärzteadressen, dass der ein oder andere Arzt wegfällt. Es ist aber nicht so, dass es in der Fläche signifikante Löcher gibt. In den strukturschwachen Gebieten sind allerdings auch wir nicht gut aufgestellt. Und selbst im Ruhrgebiet ist es so, dass teilweise 40 bis 50 Kilometer zwischen zwei DocStop-Anlaufpunkten liegen. Deshalb ist es für uns nach wie vor sehr wichtig, weitere Ärzte für unser Netzwerk in Deutschland zu gewinnen.
Fehrenkötter: Über das Thema Testen und Impfen sind viele Transportunternehmer auf uns zugekommen und haben uns um Unterstützung gebeten. Anfangs wurden wir häufig gefragt, ob wir Testtermine für Fahrer unterwegs anbieten können. Wir haben auch tatsächlich gemeinsam mit Partnern einzelne Covid-Testaktionen organisiert. Später kam auch das Thema Impfen dazu. Wir haben innerhalb unseres Ärztenetzwerks ein zusätzliches, zugegeben kleines Netzwerk mit Arztpraxen aufgebaut, die Impftermine für Fahrer anbieten. Das Thema Impfen ist uns wichtig. Allerdings würden wir uns vonseiten der Politik hier mehr Unterstützung erhoffen.

Bicker: Wir sind bei dem Versuch, Impfaktionen zu organisieren, leider allzu häufig an den Zuständigkeiten gescheitert. Bundesverkehrsministerium oder Bundesgesundheitsministerium: Keiner wollte für Fahrerimpfaktionen zuständig sein.Fehrenkötter: Und keiner wollte die Verantwortung übernehmen. Ich finde es traurig, wenn wegen Formalitäten die Fahrer allein gelassen werden und sich nicht impfen lassen können. Wo man doch gerade in der Pandemie gesehen hat, wie sehr wir die Fahrer brauchen. In England, wo vor Weihnachten Tankstellen und Supermarktregale leer blieben, wurde dies besonders deutlich.
Fehrenkötter: Einfacher wurde es ab dem Zeitpunkt, wo wir Zugang zur Politik bekommen haben, vor allem mit einem pragmatischen Staatssekretär im Verkehrsministerium. Das hat manches erleichtert und beschleunigt.
Bicker: Verändert hat sich auch die Internationalität, auch dank der handelnden Personen, die jetzt bei DocStop mit an Bord sind. Nehmen wir unser neues Vorstandsmitglied Jarno Bor von Service 24 aus Österreich. Er engagiert sich nicht nur in seiner Heimat sehr erfolgreich für den Auf- und Ausbau des DocStop-Netzwerks. Er unterstützt dank seiner internationalen Kontakte zu anderen Assistance-Dienstleistern auch massiv die DocStop-Expansion in weitere europäische Länder. Bei Save Assistance in Frankreich profitieren wir sehr von der sehr engagierten Arbeit von Sophie Dewez. Nur mit Menschen mit einer Leidenschaft für die Berufsgruppe können wir DocStop ausbauen.
Generell haben wir uns international neu orientiert. Wir haben gelernt, dass es nicht in jedem Land notwendig oder sinnvoll ist, DocStop als gemeinnützigen Verein nach deutschem Vorbild zu organisieren. Vielmehr adaptieren wir unser Konzept inzwischen an die örtlichen Gegebenheiten. Beispiel Österreich: Dort gibt es ein anderes Gesundheitssystem und eine andere Vernetzung der Ärzte. Darauf können wir als DocStop zurückgreifen, um unser Ziel der medizinischen Unterwegsversorgung für Lkw-Fahrer zu erreichen. Ebenso in Frankreich. Dort benötigen wir kein freiwilliges Ärztenetzwerk. In Frankreich gibt es ein von der Gesundheitskasse organisiertes Netzwerk. Über dieses Netzwerk erhalten erkrankte Fahrer immer und überall Zugang zu einem Arzt. Der Knackpunkt war bisher die Verknüpfung von Lkw-Parkplätzen und Arzt in der Nähe. Dafür benötigen wir die Unterstützung der Autobahnbetreiber. Mit Save Assistance haben wir in Frankreich einen Partner gefunden, der nicht nur die kostenlose Hotline für Frankreich betreibt, sondern der dank seiner guten Beziehungen auch Autobahnbetreiber mit ins Boot geholt hat. Wenn wir, wie in Österreich und Frankreich, Assistance-Dienstleister als DocStop-Organisatoren gewinnen können, haben wir in vielen Ländern, wo wir bisher nicht vorangekommen sind, ganz andere Möglichkeiten. Übrigens: Diese Assistance-Dienstleister arbeiten für DocStop ehrenamtlich und ohne Entgelt.
Wenn ich das richtig verstehe, musste den Franzosen eigentlich nur bewusst werden, dass Kraftfahrer, die unterwegs krank werden, Hilfe benötigen. Das Ärztenetzwerk war ja eigentlich schon da.
Fehrenkötter: Ja, aber neben dem Zugang zu den Ärzten brauchten wir auch jemanden, der Zugang zu den Autobahnparkplätzen hat, damit die Fahrer ihre 40-Tonner sicher parken können. Das können nur die Autobahnbetreiber. Save Assistance hat da sehr gute Arbeit geleistet.
Bicker: Ein zusätzlich wichtiger Aspekt bei der Ausweitung des DocStop-Ärztenetzwerks in weitere Länder Europas ist unsere international einheitliche, kostenlose Rufnummer. Heute können erkrankte Fahrer in allen Ländern Europas die Hotline 008000 DOCSTOP (008000 3627867) wählen und bekommen auf jeden Fall Hilfe, sogar in Ländern, wo es noch kein DocStop gibt.
Fehrenkötter: Hinter der Nummer steht ein professionelles Assistance-Team. Die Hotlinemitarbeiter fragen zunächst den Fahrer, was ihm fehlt, um dann gezielt helfen zu können. Assistance-Dienstleister sind Spezialisten in pragmatischer, schneller Hilfe. Die telefonieren in kürzester Zeit so viele Ärzte ab, bis einer zustimmt, den Fahrer zu behandeln. Notfalls rufen sie auch einen Rettungswagen. Bis jetzt hatten wir noch keinen Fall, wo wir nicht helfen konnten.
Fehrenkötter: Solche Statistiken gibt es, aber sie sagen wenig über die tatsächliche Zahl von Fahrern, die die Hilfe von DocStop in Anspruch genommen haben. Denn außer der Hotline können sich Fahrer ja auch in vielen Apps über einen DocStop-Anlaufpunkt mit Arzt in der Nähe informieren. Von vielen App-Betreibern, die das Verzeichnis der DocStop-Punkte in ihrer App haben, hören wir, dass DocStop das am meisten genutzte Angebot ist.
Wir haben auch eine Umfrage unter den Ärzten in unserem Netzwerk gemacht, um herauszufinden, wie viele Patienten über DocStop in die Praxen kommen. Es sind etwa 4.000 bis 5.000 pro Jahr. Es gibt eine gewisse Unschärfe, weil nicht jeder Fahrer in der Praxis angibt, dass er über DocStop gekommen ist. Wichtiger als eine Statistik ist uns aber ohnehin, dass wir möglichst viele Ärzte finden, die sich beteiligen, und dass viele Fahrer von dem Angebot einer medizinischen Versorgung unterwegs erfahren.
Bicker: Wir erhalten deutlich mehr positive Rückmeldungen als negative, sowohl von den Ärzten wie auch von Fahrern. Und wenn Fahrer uns rückmelden: "Mir ist geholfen worden", dann ist das für uns auch eine gewisse Erfolgskontrolle.
Fehrenkötter: Erst kürzlich haben wir eine Postkarte von einem Fahrer aus Spanien erhalten, der in Deutschland über DocStop einen Arzt gefunden hatte und dem geholfen wurde. Der hat geschrieben: "Wahnsinn, dass es euch gibt!" Ein solches Lob ist uns wichtiger als Statistiken und motiviert uns, DocStop weiter voranzutreiben.
Fehrenkötter: Das Beispiel #LogistikHilft hat gezeigt: Am Ende geht es darum, zu helfen. In dieser Initiative engagieren sich viele. Dort arbeiten wir sehr kooperativ beispielsweise auch mit dem BGL zusammen, der ja auch ein Verein ist. Aber ob ein Teil der Spenden direkt zu #LogistikHilft fließt oder bei uns ankommt und dann aufgeteilt wird, spielt keine Rolle. Uns geht es nicht darum, wer die schönste Organisation hat, sondern um das Ergebnis: dass den Fahrern geholfen wird.
Bicker: Zwischen den Initiativen, beispielsweise auch Hellwach mit 80, gibt es kein Konkurrenzdenken. Man spricht miteinander, ergänzt sich. Gerade beim Thema Sicherheit ist Zusammenarbeit enorm wichtig.
Fehrenkötter: Wir sind offen für Kooperationen. Wir unterstützen auch andere Vereine, die sich für Lkw-Fahrer einsetzen. Nehmen wir das Beispiel Weihnachtsaktion. Wir fahren seit Jahren am ersten Weihnachtsfeiertag auf Rast- und Autohöfe und überraschen die dort gestrandeten Fahrer mit kleinen Geschenken. Wenn nun ein anderer Verein nach Tragetaschen für seine regionale Weihnachtsaktion fragt, dann bekommt er selbstverständlich welche. Auch die Polizei hat von uns 100 Beutel für ihre Weihnachtsaktion erhalten.
Bicker: Für unsere Arbeit ist es sehr hilfreich, wenn jetzt immer mehr Menschen im Land DocStop kennen und uns darauf ansprechen, wie sie helfen können. Ob es Helfer für eine Weihnachtsaktion sind oder ein Unternehmen, das seinen Parkplatz und Sanitäreinrichtungen für Fahrer zur Verfügung stellt: Letztlich geht es all diesen Menschen ebenso wie uns darum, die Gesundheit und die Arbeitsbedingungen der Kraftfahrer und damit auch die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu verbessern.