Als Unfallverursacher steht sofort Schuld im Raum. Schuld, dass ich meiner Verantwortung nicht gerecht geworden bin. Ich trage die Verantwortung für den Unfall und möglicherweise für Schäden, Verletzungen oder den Tod eines anderen Menschen. Ein Unfall mit tödlichem Ausgang kann für den Unfallverursacher eine extrem belastende und traumatische Erfahrung sein. Die Sinneseindrücke, die man in solch einer Situation verarbeiten muss, können vielfältig sein und starke emotionale Reaktionen auslösen. Die Frage ist, was sind das für mögliche Sinneseindrücke?
Da wären die visuellen Sinneseindrücke: Der Anblick des Unfallortes, des zerstörten Fahrzeugs und der verletzten oder getöteten Person kann sehr schockierend sein. Bilder von Blut, Trümmern und Verletzungen können sich tief ins Gedächtnis eingraben und später zu Albträumen oder Flashbacks führen.
Die Geräusche eines Unfalls, wie das Brechen von Glas, das Knirschen von Metall oder das Schreien von Verletzten, können ebenfalls starke emotionale Reaktionen auslösen. Das Heulen von Sirenen und die Stimmen von Rettungskräften können ebenfalls präsent sein und zur allgemeinen Unruhe beitragen.
Oder nehmen Sie die taktile Wahrnehmung: Das Gefühl von Schock oder Schmerz, wenn man selbst verletzt ist, oder das Zittern und Schwitzen, das durch Angst und Adrenalin verursacht wird, kann ebenfalls Teil der sinnlichen Erfahrung sein. Die Flut von Emotionen, die ein Unfallverursacher erleben kann, ist überwältigend. Angst, Schuld, Trauer, Wut, Verwirrung und Hilflosigkeit sind nur einige der Gefühle, die auftreten können. Diese Emotionen können die Verarbeitung der Sinneseindrücke zusätzlich erschweren.
Ein Transportunternehmen kann in solch einer Situation mehrere Schritte unternehmen, um die Lage zu bewältigen und sicherzustellen das alles gut verläuft. Vor den klassischen Maßnahmen wie Versicherung informieren, Anbieten rechtlicher Unterstützung, Zusammenarbeit mit den Behörden, Fahrzeugbergung, Ersatzfahrzeug losschicken und Kundenkommunikation ist es wichtig, die Familie des Lkw-Fahrers über den Vorfall zu informieren. Wird ein Ersatzfahrzeug auf den Weg gebracht, könnte ein Familienangehöriger mitfahren. An die Krisenintervention kann man die Bitte stellen, so lange beim Fahrer zu bleiben, bis jemand vor Ort ist. Das sollte in Ausnahmesituationen möglich sein. Wenn sich die Krisenintervention darauf einlässt, habe ich eine Bitte an die Unternehmer: Gebt eine großzügige Spende an den Rettungsdienst.
Es ist wichtig zu beachten, dass jeder Mensch unterschiedlich auf solche Situationen reagiert und die Verarbeitung von Sinneseindrücken individuell ist. Checklisten helfen hier wenig. Unfallverursacher können von professioneller niedrigschwelliger und hochschwelliger Hilfe wie Beratung und Psychotherapie profitieren, um diese traumatischen Erfahrungen zu bewältigen und mit den emotionalen Folgen umzugehen.
Niedrigschwellig bedeutet Betreuung und Beratung durch Kollegen. Das heißt, dass das Unternehmen ein Special Assistance Team, kurz: S.A.T., notfallpsychologisch ausgebildet hat. Gibt es kein S.A.T., dann rufen mich Spediteure an und ich komme als Externer zur Unterstützung dazu. Kommt das S.A.T oder in dem Fall ich zum Schluss, dass es mehr fachliche Unterstützung braucht, wird die Berufsgenossenschaft (BG) mit einbezogen. Die sollte über ein Netzwerk von Trauma-Therapeuten verfügen, die spätestens 24 Stunden nach Anforderung Kontakt mit dem Betroffenen hat. Im letzten Jahr habe ich es jedoch erlebt, dass der anforderte Trauma-Therapeut der BG erst nach 14 Tagen angerufen hat. In dem Fall war der Lkw-Fahrer psychisch wieder stabilisiert. Erfahrungsgemäß ist die psychische Belastung in der Mehrheit der Fälle in den ersten zehn Tagen am höchsten. Da muss agiert und unterstützt werden.
Dieses Denken der ‚harten Kerle‘ ist katastrophal, was wir auch aus der Rettung und von Lokführern sehr gut kennen. Unternehmer, Disponenten, die Lagerleitung und spätestens die Sicherheitsfachkraft sollten den Kontakt zum Betroffenen halten. Der morgendliche Kaffee eignet sich bestens dazu, um einfach mal zu fragen: ‚Kollege, wie geht es dir um Moment? Wie kommst du mit der Situation klar? Wo kann ich dich unterstützen?‘ Zeit nehmen ist elementar wichtig. Gemeinsam Lösungen finden.
Ja, der Unternehmer beziehungsweise das Transportunternehmen hat in der Tat eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern. Nach einem tödlichen Unfall sollte das Unternehmen auf alle Fälle angemessene Unterstützung und Hilfe für den betroffenen Fahrer bereitstellen oder die Suche nach professioneller Hilfe unterstützen. Mein Team und ich erleben eine sehr, sehr enge Mitarbeiterbindung ans Unternehmen, wenn Unternehmer in solch einer zum Teil extrem belastenden Situation Unterstützung anbieten. Diese Unterstützung nehmen auch die anderen, nicht betroffenen Mitarbeiter wahr. Sie glauben gar nicht, wie positiv sich das aufs Betriebsklima auswirkt.
Am Unfallort ist die regionale Krisenintervention und die Notfallseelsorge aktiv, die mittlerweile parallel zur Unfallmeldung von der Leitstelle alarmiert wird. Am jeweiligen Unternehmensstandort gibt es je nach Unternehmensgröße eventuell Zugang zu professionellen psychologischen Beratungs- oder Unterstützungsprogrammen, wie Betriebspsychologen, betrieblicher Sozialdienst und Betriebsarzt. Möglichweise gibt es Angebote von Fahrergewerkschaften oder Berufsverbänden. Einfach mal nachfragen – und das am besten vor einem Unfall. Die Berufsgenossenschaften unterstützen mit hochschwelligen Angeboten wie der Vermittlung an Trauma-Therapeuten, die jedoch nur in zwei Prozent der Fälle gebraucht werden, wenn niedrigschwellige Hilfe vorher genutzt wurde.
Und dann sind da noch die externen Spezialisten, so wie wir, die jedoch im deutschsprachigen Raum rar gesät sind. Der Vorteil von externen Profis: Sie sind genau für diese Situationen notfallpsychologisch ausgebildet, bringen Rettungserfahrung mit, haben bestenfalls eine Sanitäterausbildung, wissen, wie Blaulichteinheiten funktionieren, haben den emotionalen Abstand zu den Mitarbeitern und verfügen über ein exzellentes Netzwerk, wie zum Beispiel Krisenkommunikation und Trauma-Therapeuten.
Ulrich Welzel: Zur Person

Als Experte für „Trauma am Arbeitsplatz“, ausgebildet in psychosozialer Notfallversorgung, Sanitäter, Hospizbegleiter und Moderator „Ethik im Gesundheitswesen, betreut Ulrich Welzel Unternehmen beim Aufbau des Special Assistance Team (S.A.T.) kollegiale Hilfe und deren Mitarbeiter nach stark belastenden Ereignissen wie Unfällen. Ziel ist es, mit wertschätzender Kommunikation bei existenziellen Krisen von Mitarbeitern Ruhe und Stabilität zu vermitteln, um die psychische Gesundheit Betroffener zu erhalten.