Bundesfachgruppenleiter Verdi: Interview mit Stefan Thyroke

Gewerkschaft setzt sich für Fahrer ein
Interview mit Stefan Thyroke von Verdi

Seit August 2016 ist Stefan Thyroke Bundesfachgruppenleiter der Fachgruppe Speditionen, Logistik und Kurier-, Express-, Paketdienste. Er setzt sich auf viele Arten für die Fahrer ein.

Stefan Thyroke, Bundesfachgruppenleiter von Verdi, Interview FF 2/2018.
Foto: Jan Bergrath

Stefan Thyroke ist 42 Jahre alt und seit Januar 2000 Gewerkschaftssekretär. Er ist gelernter Bankkaufmann und ehemaliger Jugendvertreter sowie Betriebsrat seines Unternehmens, der Berliner Bank. Er arbeitete zwölf Jahre als Gewerkschaftssekretär im Bezirk Berlin und war danach fünf Jahre lang als Tarifsekretär im Fachbereich Sozialversicherung beschäftigt. Dort führte er Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der gesetzlichen Krankenversicherung. Seit 2007 ist Thyroke ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht Berlin und ebenfalls seit 2007 Prüfer für kaufmännische Berufe bei der IHK Berlin. Seit August 2016 leitet er die Bundesfachgruppe Speditionen, Logistik und Kurier-, Express- und Paketdienste. Zudem ist Stefan Thyroke Unternehmensbetreuer von Schenker Deutschland und UPS. Des Weiteren ist er Mitglied im Aufsichtsrat von DB Schenker und Vorstandsmitglied der Berufsgenossenschaft Verkehr.

Sie sind seit 16 Monaten Bundesfachgruppenleiter für Speditionen, Logistik und KEP. Wie empfinden Sie das grundsätzliche Klima in der Transportbranche aus Sicht eines Arbeitnehmervertreters?

Im Vergleich zu anderen Branchen weht in unserer Branche schon ein rauer Wind. Die Gegebenheiten der Jobs, seien es die des Kraftfahrers im Fernverkehr oder die von Kollegen im Lager, sind nicht gerade die besten. Viele Abwesenheiten von zu Hause, dazu Lärm, Stress und körperlich schwere Arbeit zeichnen unsere Branche aus. Mein Respekt gilt allen Kolleginnen und Kollegen, die diesen Job täglich machen.

Die Fahrer sagen, verdi tut nichts für Sie. verdi sagt, die Fahrer müssen erst Mitglieder werden, dann können wir sie vertreten. Wie kann dieses Dilemma gelöst werden?

Das stimmt nur zum Teil. Wir machen eine ganze Menge für die Fahrer. Wir setzen uns zum Beispiel für ihre Belange ein, wenn es darum geht, Gesetzesvorhaben auf nationaler und auf EU-Ebene zu begleiten und die Pläne der Politik, die selten Verbesserungen beinhalten, abzuwehren. Unsere Fahrer, die schon Verdi-Mitglied sind, haben aus eigener Initiative Verdi-Kraftfahrerkreise gegründet, die fast flächendeckend regelmäßig stattfinden. Auch hier können interessierte Kollegen hinkommen, die noch kein Mitglied sind. Anders sieht es beim Thema Rechtsberatung und Vertretung vor Gericht aus. Das geht nun wirklich nur für Mitglieder. Tarifverhandlungen ohne Mitglieder zu führen, heißt nichts anderes als kollektives Betteln beim Arbeitgeber. Wir wollen aber erfolgreich Tarifverhandlungen führen. Und das klappt ausschließlich mit vielen Mitgliedern.

Stefan Thyroke, Bundesfachgruppenleiter von Verdi, Interview FF 2/2018.
Jan Bergrath
Beim ersten Treffen der Kraftfahrerkreise in Kassel war Verdi als Gast der Organisatoren geladen. 2018 will Verdi nun dort selbst Gastgeber sein und damit der langsam gewachsenen Fahrerorganisation Aufwind geben.
Die Themen, über die Verdi Beschlüsse trifft, werden auch von den ehrenamtlichen Vertretern vorgegeben. Warum ist in diesem Gremium kein Fahrer mehr vertreten? Verschenkt diese Berufsgruppe damit nicht ihren Einfluss auf Entscheidungen?

Das kann man laut sagen. Verdi hat noch nie jemanden zurückgewiesen, der gesagt hat, er oder sie wolle mitarbeiten. Und in der Tat lebt Verdi vom Engagement der Mitglieder. Den Beitrag zu zahlen, ist das eine, aber wenn sich darüber hinaus niemand ehrenamtlich einbringt, wird man als Mitglied entweder schlecht oder gar nicht vertreten. Und gerade im Moment geht es bei Verdi wieder los mit den Wahlen. Betriebsgruppen und Bezirksvorstände im Fachbereich werden neu gewählt. Ich bin gespannt, wie viele Fahrerinnen und Fahrer wir ab 2018 bundesweit in unseren Gremien haben werden.

2016 hat Verdi beschlossen, die Kraftfahrerkreise (KFK) in Deutschland zu unterstützen, aber über die Landesfachbezirke und nicht über die Bundeszentrale. Mittlerweile gibt es zwölf KFK, einige bekommen regionale Unterstützung, andere nicht. Woran liegt das? Wie kann man das besser lösen?

Das ist so nicht ganz richtig. Wir haben beschlossen, dass sich Kraftfahrerkreise aus den Ländern heraus bilden können und sollen. Wir wollten keinen Beschluss von oben, der per Anweisung sagt: "Ihr gründet jetzt einen KFK." Mein Kollege Ralph Werner und ich unterstützen und koordinieren dies von der Bundesebene aus. So werden wir für Frühjahr 2018 alle Aktiven der Kraftfahrerkreise nach Kassel einladen. Letztes Jahr waren wir dort noch Gast, diesmal wollen wir Gastgeber sein und ein Zeichen setzen. Die Arbeit im Bereich der Fahrer ist wichtig für Verdi. Aber sie muss eben durch die Fahrer mit Leben gefüllt werden.

Der BGL und der DSLV beklagen einen zunehmenden Mangel an qualifizierten Fahrern, erste Lkw bleiben sogar stehen. Wäre jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt, Forderungen der Fahrer, etwa zur Verbesserung der Situation an den Rampen, gemeinsam mit diesen beiden Verbänden durchzusetzen?

Das sind auch unsere Beobachtungen. Erste Aufträge können nicht oder nur zeitverzögert ausgeführt werden. Der aktuelle Fahrermangel wird sich bis 2020 auf 120.000 fehlende Kollegen auftürmen. Gerade Ende November haben wir schon zum zweiten Mal in diesem Jahr versucht, mit den Arbeitgeberverbänden im Branchendialog darüber zu sprechen. Wir fordern, den Beruf attraktiver zu machen. Mehr Einkommen, Übernahme der Ausbildung und der Weiterbildungsscheine, familienfreundlichere Arbeitszeiten usw. Nur leider ist es so, dass wenn es ums liebe Geld geht, die Not bei den Arbeitgebern scheinbar doch noch nicht so groß ist. Schon im November 2016 standen wir mit dem Thema beim BGL auf der Matte. Leider haben die Landesverbände offenbar kein Interesse, das Problem wirklich zu lösen und Verbesserungen für diese Berufsgruppe umzusetzen.

In manchen Bundesländern gibt es wieder Tarifverhandlungen. Das bedeutet, dass etwa 20 bis 30 Prozent der Transportunternehmer, die Mitglied im Verband sind, höhere Löhne zahlen müssen und damit teurer werden als die Konkurrenz auch aus den eigenen deutschen Reihen. Wird es nicht endlich Zeit für eine Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge in der Branche?

Dieser Auffassung sind wir allerdings auch. Zumal diese Allgemeinverbindlichkeit dann auch für Anbieter aus dem Ausland gelten würde. Es wäre also eine sichere Variante, dem Lohndumping in jeder Form endlich ein Ende zu bereiten. Aber auch bei diesem Thema haben wir uns als Gewerkschaft bei den Arbeitgebern der Branche am 21.11. im Branchendialog leider eine Absage eingefangen. Offensichtlich ist das Misstrauen untereinander auf der Arbeitgeberseite stärker verbreitet als der Wunsch nach besseren Bedingungen für alle.